Von seinem Schreibtisch aus überblickt Reinhard Ploss das weitläufige Gelände. Umgeben von Wiesen und einem angelegten See im Süden von München arbeiten knapp 4500 Leute am Campeon, eine Wortschöpfung aus Campus und Infineon. Seit sieben Jahren lenkt Ploss den Halbleiterkonzern. In dieser Zeit wurden 15.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und der Umsatz mehr als verdoppelt. Nun wurde der 63-Jährige abermals als Infineon-Vorstandschef bestätigt bis Ende 2022.

Wie stark spüren Sie die Disruption der Automobilindustrie, als wichtigste Branche? Der Aktienkurs gab spürbar nach.
REINHARD PLOSS: Natürlich spüren wir die Schwäche des Automobilmarktes, aber unser Wachstum kommt überwiegend von der steigenden Menge an Elektronik im Auto. Generell hängen wir als Konzern insgesamt von der Entwicklung der Weltwirtschaft ab, und für die erwarten die meisten Konjunkturexperten erst eine Erholung in 2020. Unsere derzeitige Marktkapitalisierung von rund 20 Milliarden Euro sehen wir vor diesem Hintergrund als akzeptabel an, aber natürlich wollen wir den Wert des Unternehmens kontinuierlich steigern.

Trotz des Abflauens des globalen Wachstums halten Sie Ihre Wachstumsprognose aufrecht und beim 1,6-Milliarden-Projekt in Villach den geplanten Kurs ein?
Grundsätzlich treffen wir unsere Entscheidungen über neue Reinräume für die Fertigung oder auch Forschung und Entwicklung aufgrund langfristiger strategischer Erwägungen. Bei mehr als zwei Jahren Vorlaufzeit bis Produktionsstart kann man nicht auf Basis schwankender Märkte entscheiden. Die neue Fabrik in Villach ist ein wichtiges Zukunftsprojekt für Infineon. Es läuft alles plangemäß, so viele Betonfahrzeuge hat man dort lange nicht gesehen. Es hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit und damit von der Nachfrage nach unseren Produkten ab, wann die Fertigung in der neuen Fabrik genau anlaufen wird. Wir gehen nach wie vor vom Jahr 2021 aus.

Umsatzziel 8 Milliarden

Gerade schloss Ende September das Geschäftsjahr 2018/19. Ihr Umsatzziel von 7,6 auf acht Milliarden Euro haben Sie erreicht?
Da muss ich Sie noch um etwas Geduld bitten. Wir werden unsere Bilanz bei unserer Jahrespressekonferenz am 12. November vorstellen.

Auch für die Umsatzrendite, die Sie im Frühjahr von 17,5 auf 16 Prozent zurücknahmen?
Das werden Sie ebenfalls Mitte November erfahren. Aufgrund der Kapitalmarktregeln können wir nicht früher darüber sprechen.

Deutschland in Rezession, die Welt in Unruhe. Wo schauen Sie beunruhigter hin: Auf Nachrichten aus Hongkong oder Tweets von Donald Trump zum Handel?
Wir lassen uns nicht von der tagespolitischen Aktualität treiben. Davon abgesehen hat der Disput zwischen den USA und China zur Abschwächung des Wirtschaftswachstums weltweit beigetragen. So sind in China die Stückzahlen verkaufter Autos zurückgegangen, was der wesentliche Grund für die Schwäche des globalen Automobilmarktes ist. Die USA und andere Märkte laufen gar nicht so schlecht. Allerdings erwirtschaften wir etwa 50 Prozent unseres gesamten Umsatzes in Asien und davon die Hälfte in China.

Neue Lösungen in Autos

Das Geschäft mit Automotive-Halbleitern macht bei Infineon 40 Prozent vom Umsatz aus. Es trifft sie nun mit voller Breite?
Wir merken zwar, dass die Zahl der verkauften Autos sinkt. Die Marktanalysten von IHS gehen bei der weltweiten Fahrzeugproduktion von minus fünf Prozent in diesem und einer weiteren leichten Abschwächung für 2020 aus. Gewisse Produkte, etwa der Auslöser für Airbags oder die Steuerung der Fensterheber, hängen durchaus von der Anzahl der produzierten Fahrzeuge ab. Gleichzeitig profitieren wir aber mit unseren Lösungen von der wachsenden Nachfrage nach Komfortfunktionen, etwa für Assistenzsysteme oder das autonome Fahren.

Mit einem autonom fahrenden Audi Elaine sind Sie zum Spatenstich ihrer 1,6-Milliarden-Investition in Villach vorgefahren. Hat aber die deutsche Automobilindustrie die E-Mobilität gegenüber China verschlafen?
Es ist schon beeindruckend, wenn sie in großen chinesischen Metropolen wie Shenzhen die vielen grünen Kennzeichen der Busse, Taxis und Autos sehen. Denn das sind alles elektrische Fahrzeuge. Sicher ist dieses Wachstum der Elektromobilität in China auch auf regulatorische Eingriffe der Regierung zurückzuführen. In Europa entscheidet der Konsument sich im Moment noch anders, doch auch hier findet langsam ein Umdenken statt. Besonders bei der jüngeren Bevölkerung ziehen immer mehr aus Überlegungen zum Klimaschutz ein E-Fahrzeug in Betracht. Vom Angebot her für elektrisches Fahren steht die deutsche Automobilindustrie nicht schlecht da, in der nächsten Zeit werden wir sicher mehr Modell mit Hybrid- oder rein elektrischem Antrieb kaufen können.

"Gut, dass Junge sich für Klima engagieren"

Würden Sie auch bei einer Fridays for Future Demo mitgehen?
Ich finde es sehr gut, dass sich so viele junge Menschen beim Thema Klima engagieren. Würde ich persönlich bei einer Demonstration mitgehen? Mir wäre es wichtiger, mit den jungen Demonstranten darüber zu reden, wie wir die Veränderung gestalten und wie sie auch dazu beitragen können. Wir müssen auf gesellschaftspolitischer Ebene dazu kommen. Und wir müssen umweltfreundliche Projekte schneller und effizienter umzusetzen. Da gibt es Einiges, was man tun kann und tun muss, – aber immer so, dass wir die Menschen mitnehmen. So plädiere ich dafür, eher die Nutzung von erneuerbarer Energie zu fördern, nicht die Erzeugung.

Greta Thunbergs Bewegung ist für Energiesparhalbleiter von Infineon wie geschaffen?
Ich begrüße es, weil es zu unserer Überzeugung passt. Infineon verfolgt seit 20 Jahren das Leitbild, das Leben der Menschen mit seinen Produkten einfacher, sicherer und umweltfreundlicher zu gestalten. Wir setzen nicht auf diesen oder jenen Hype. Wir agieren langfristig. Mikroelektronik ist der Schlüssel für eine lebenswerte Zukunft. Technik muss dem Menschen dienen. Für diese Aufgabenstellung arbeiten auch viele junge Menschen gerne bei uns.

Cypress-Zukauf um 9 Milliarden

Infineon kauft nun um neun Milliarden Euro Cypress Semiconductor in den USA, um in die Top-Ten der Halbleiter-Konzerne aufzusteigen. Wie rechnet sich das?
Mit dem geplanten Kauf wollen wir in eine neue Dimension wachsen und unsere Chancen im Markt noch besser nutzen. Unsere Vision bei Infineon ist: Wir verbinden die digitale mit der realen Welt. Da haben wir erst begonnen, die Potenziale für uns auszuschöpfen. Cypress-Produkte sind wichtig für das Internet der Dinge. Im Haushalt zum Beispiel für selbstgesteuerte Staubsauger oder Rasenmäher. Was braucht so ein Gerät? Einen Prozessor, der quasi als Gehirn fungiert, Sensoren, die die Umgebung erkennen, Kommunikationschips, die mit der Ladestation oder der Haussteuerung kommunizieren, und Leistungshalbleiter, damit sich das Gerät bewegt. Wir haben die Sensoren und die Leistungsbausteine, Cypress den Prozessor und die Datenkommunikation. Damit sind wir in der Lage, unseren Kunden komplette Problemlösungen anzubieten, quasi auspacken – umrühren - fertig.

Der Finanzmarkt strafte Sie für die Cypress-Acquisition aber ab.
Vielleicht gab es da etwas Verunsicherung. Aber die Logik des Deals wird am Markt verstanden. Auch die erfolgreiche Platzierung neuer Aktien im Juni und die Hybridanleihe, die wir vor Kurzem begeben haben und die unsere Eigenkapitalbasis ebenfalls stärkt, zeigen das Vertrauen der Anleger in uns. Deshalb hat sich die Aktie insgesamt wieder in der Tendenz positiv entwickelt.

Der Smartphone-Markt schwächelt auch. Wie trifft Sie das?
Das Mobiltelefon ist für uns ein Nischenelement. Hier sind wir mit spezifischen Produkten, etwa Mikrofonen oder Hochfrequenzbauelementen, vertreten, also dort wo wir mit unserer Technologiekompetenz punkten können. Neue Trends sind Gestenerkennung mit Radar, 3-D-Kameras für das Entsperren und neue Möglichkeiten bei der Fotografie. Themen bei denen wir technologisch ebenfalls kompetent sind. Insgesamt steht der Mobilfunkmarkt inklusive Infrastruktur für weniger als ein Zehntel unseres Umsatzes.

"Österreich soll Reformkurs fortsetzen"

Welche Politik fordern Sie von der neuen EU-Kommission mit Ursula van der Leyen an der Spitze?
Ursula von der Leyen ist eine sehr tatkräftige Frau. Ich habe eine sehr hohe Erwartung, dass sie die Digitalisierung zum Wohle der Bürger vorantreibt und dass sich Europa als relevanter Standort mit Zukunftstechnologien weiterentwickelt.

Welche Rahmenbedingungen erwarten Sie von der neuen österreichischen Bundesregierung?
Dass Österreich Investitionsentscheidungen dort in Erwägung zieht, wo es nötig ist, um Zukunftstechnologien im Land zu halten und voranzubringen. Der begonnene Reformkurs, etwa in der Bildung und digitalen Infrastruktur, sollte fortgesetzt werden.

Sog-Effekt in Kärnten: "Da ist noch mehr  möglich"

Vom Infineon-Milliardenprojekt in Kärnten, sagt Infineon-Austria-Vorstand Sabine Herlitschka, soll die ganze Region Nutzen ziehen. Nimmt die Region die Chance wahr?
Ich finde, der Dialog zwischen den Verantwortlichen funktioniert sehr gut. Eine Region besteht nicht nur aus der Politik, sondern auch aus der Industrie. Ein gewisser Sog-Effekt ist da schon entstanden, aber da ist sicher noch mehr möglich. So könnte man überlegen, welche weiteren Optionen es für industrielle Ansiedelungen, etwa um die Universität Klagenfurt herum, gibt. Und man könnte, ganz im Sinne von Fridays for Future, die Menschen mit einem gut nutzbaren Nahverkehr unterstützen.