Sie sind Doppelstaatsbürger, ist eine zweite Politikerkarriere in Österreich auch drin?

Karl-Theodor ZU Guttenberg: Ich hatte eine intensive Politikkarriere mit allen Höhen und Tiefen und bin nun ein sehr fröhlicher Mensch in der freien Wirtschaft. Mein Verantwortungsgefühl für die kommende Generation kann ich momentan als Wahlbürger, der auch gelegentlich seine Stimme erhebt, besser einsetzen.

Vielleicht hat Sebastian Kurz schon bei Ihnen angefragt? Sie loben ihn als das Rolemodel, wie Europa in einer Welt des Umbruchs Impulse setzen kann.

Warum sollte er mich engagieren? Er führt dieses Land großartig, mit einer Mannschaft, die auch Ergebnisse liefert. Das zeigt die Steuerreform, die wir in Deutschland über Jahre so nicht liefern konnten. Das Land ist momentan in guten Händen.

Auch wenn die FPÖ mit AfD-ähnlichen Vebalausritten die Koalition immer fraglicher macht?

Ich sehe, dass der ÖVP-Teil der Regierung sehr stark agiert. Zur Koalition: Manchmal bietet sich die Chance einer Entzauberung oder Normalisierung, wobei das bei extremem Gedankengut schon sehr fraglich ist.

Bevölkerungsaustausch würden Sie als gestandener CSU-Mann im Gegensatz zu FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache auch nicht in den Mund nehmen.

Es ist zudem faktisch Blödsinn.
Das wird auch in großer Deutlichkeit vom Kanzler kritisch angesprochen. Man hat es bei Kurz und Strache doch nicht mit siamesischen Zwillingen zu tun. Nach der Ermüdung der Großen Koalition gab es die Option mit der FPÖ. Wenn nun Ergebnisse trotz eines fragwürdigen Partners stehen, muss man ein Wahlresultat wohl akzeptieren. Freilich nicht um jeden Preis.

Kurz wird vorgeworfen, Rechtspopulisten salonfähig zu machen, deretwegen Europa jetzt viele vor einer Schicksalswahl sehen.

Man könne auch sagen: Nationalisten und Populisten werden auf ein Podium gestellt, dem sie offenbar nicht gewachsen sind. Ein Podium kann auch etwas Entlarvendes haben. Eine Mehrheit für Rechtspopulisten in Europa wäre aber fatal. Ich betrachte mit Sorge die Prognosen für die EU-Wahl.

Die Rechtspopulisten peilen über 20 Prozent an. Europäische Volkspartei mit 25 Prozent laut Prognose und Sozialisten mit nur noch rund 20 Prozent hätten zusammen keine Mehrheit mehr.

Die Koalitionsbildung wird schwierig, aber manchmal hat das etwas Kathartisches. EVP und Sozialisten sind erneuerungsbedürftig. Das könnte für die EVP unter Führung von Manfred Weber erfolgversprechend sein. Das Problem ist, dass wir innerhalb des monolithischen Parteienspektrum eine unglaubliche Vielfalt haben. Die EVP reicht auch von Zentristen bis Orban. Unter den Rechtsaußenparteien muss eine Einigungsfähigkeit aber auch erst erreicht werden. Meine Hoffnung geht dahin, dass sie sich eher kannibalisieren.

Aber die Ausfransung konservativer Parteien nach rechts außen reicht von Schweden bis Spanien.

Diese Gefahr eines schleichenden und dann brachialen Enthöhlungsprozesses ist mit der Renationalisierung gegeben. Dem müssen die politischen Vertreter, die für die Mitte stehen, nicht mit Phrasen, sondern konzeptionell entgegenstehen.

An diesem Zustand geben Sie auch einem "Merkelliavellismus" die Schuld. Angela Merkel habe gut durch die Wirtschaftskrise geführt, aber Zeitfragen verkannt.

Da nehme ich Bezug auf den Soziologen Ulrich Beck. Angela Merkel hat die Schwerpunkte so gewählt, um Deutschland durch schweren Zeiten zu navigieren und Europa dennoch zusammenzuhalten. Eine größere Vision für die EU war indes nicht ihre Sache. Dem hingegen hat Sebastian Kurz auch für die deutsche Debatte maßgebliche Impulse gesetzt.

China meldet wirtschaftlich seinen globalen Führungsanspruch an, kapert den Lead auch bei Künstlicher Intelligenz. Mit Donald Trump, den Sie einen intellektuellen Wüstling nennen, erodiert das transatlantische Bündnis. Wie kann es neu belebt werden, um China gegenzuhalten?

Ich bin immer wieder erstaunt, wie unfähig man auf beiden Seiten des Atlantiks ist, auch unbestritten gemeinsame Interessen mit Stärke zu vertreten. Im Handelskonflikt mit China haben wir viel mehr kohärente Interessen, als dies dargestellt wird. Auch bei neuen Technologien. Die Europäer klinken sich aus der Debatte weitestgehend aus. So vergeigen wir Optionen. In der gemeinsamen Verteidigung sind wir auf Jahrzehnte aufeinander angewiesen. Ein europäisches Heer würde ich als sehr bedenkenswerte Option sehen, aber das kann man nicht über Nacht schaffen. Daher muss man bereit und in der Lage sein, die sicherheitspolitische Verknüpfung mit den USA aufrecht zu halten, das heißt die Nato nicht zu opfern. Trotz Trump müssen aber auch maßgebliche europäische Partner diesbezüglich mehr leisten.