Der Skandal um Dividenden-Steuertricks ("Cum-Ex") betrifft mehr europäische Länder als bisher bekannt und hat für weitere internationale Finanzkonzerne ein juristisches Nachspiel. Das ist das Ergebnis einer europaweiten Medien-Kooperation unter der Leitung des Recherchezentrums Correctiv, an der sich auch die Rechercheplattform Addendum und das Magazin News beteiligten.

Die "CumEx-Files" (www.cumex-files.com) offenbaren, dass die Steuerzahler nicht nur in Deutschland, Dänemark und Österreich geschädigt wurden, sondern auch in Belgien, Norwegen. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft Köln nach Reuters-Informationen im Juni ein Ermittlungsverfahren gegen die spanische Großbank Santander eröffnet. Sie soll als sogenannter Leerverkäufer im Zusammenhang mit "Cum-Ex"-Geschäften aufgetreten sein. Auch das australische Geldhaus Macquarie ist ins Fadenkreuz der Ermittler geraten. Die Bank selbst hält die Geschäfte von 2011 für legal. Ein Sprecher von Santander wollte sich nicht dazu äußern, ob die Bank "Cum-Ex"-Geschäfte als unrechtmäßig einstuft.

Steuern doppelt rückerstattet

Cum-Ex-Geschäfte sind ein Steuerraub mit einer ungerechtfertigten Rückerstattung von Kapitalertragssteuern auf Dividenden (Cum-Ex). Seit Jahren arbeiten Ermittler von Deutschland ausgehend einen solchen Skandal von enormem Ausmaß in Europa auf.

Das Schadensvolumen in Europa beläuft sich von 2001 bis 2016 auf mindestens 55,2 Milliarden Euro, zählt man weitere undurchsichtige Steuerkonstruktionen hinzu ("Cum-Cum"). Die betroffenen Staaten hatten das Geld zwar bereits in ihrem Säckel, haben es aber wegen des Betrugs wieder hergegeben.

Die technische Funktionsweise dieser kriminellen Deals ist extrem kompliziert, die Grundidee hingegen simpel: Riesige Mengen an Aktien werden - manchmal auch nur zum Schein - zu einem bestimmten Zeitpunkt zwischen Firmen, Banken und Zwischenhändlern im Kreis verkauft. Einziges Ziel ist es, eine Steuerrückerstattung zu erwirken, manchmal auch mehrere.

Die "CumEx-Files" offenbaren, dass die Steuerzahler nicht nur in Deutschland, Dänemark und Österreich geschädigt wurden, sondern auch in Belgien und Norwegen. In Deutschland sind dem Fiskus nach Angaben des dortigen Finanzministeriums mehr als 5 Mrd. Euro entgangen, bevor die Gesetzeslücke 2012 geschlossen wurde.

Auch Österreich betroffen

Wie hoch der Gesamtschaden in Österreich ist, ist nicht bekannt. Das Finanzministerium betonte im September 2018 in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage an die Liste Pilz, dass die Rechtslage in Österreich eine mehrfache Erstattung derselben Kapitalertragsteuer unbestrittenerweise nicht zulasse.

Aber auch hierzulande ist der Fiskus bei KESt-Rückerstattungen betrogen worden. Offenbar war Österreich aber eine Art Beiwagerl bei den kriminellen Aktivitäten beim großen Nachbar: "Österreich ist über viele Jahre parallel zu Deutschland gelaufen", zitiert "addendum" einen Insider, der jahrelang im Cum-Ex-Geschäft war. Der Staatsanwaltschaft Wien zufolge versuchten Verdächtige, das "Cum-Ex"-System aus Deutschland auf Österreich zu übertragen.

Der Insider sagt, der Austro-Markt sei zwar klein im Vergleich zum Deutschland-"Geschäft". "Ich weiß aber, dass Österreich bei vielen Tradern (Aktienhändlern, Anm.) als Beimischung auf der Agenda stand." In absoluten Zahlen dürfte jedoch auch Österreich stark betroffen gewesen sein, so "addendum" und "News". Der Insider sagt: "Österreich galt immer als sicher - im Unterschied zu Deutschland. Es war jedenfalls immer im Millionenbereich: höhere einstellige bzw. niedrige zweistellige Millionenbeträge pro Trader." Der geschätzte jährliche Gesamtschaden für Österreich: 50 bis 100 Millionen Euro. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Höchste Summer 2012

2014 brachen die Geschäfte aber ein, zuvor hatte das Finanzministerium ein Informationsschreiben zur KESt-Rückerstattung herausgegeben; auch Ermittlungen in Deutschland hatten begonnen. Wurden 2013 laut RH-Bericht unter Berufung auf das Finanzministerium noch mehr als 96 Mio. Euro KESt erstattet, waren es 2014 nur mehr gut 15 Mio. Euro. In beiden Zahlen ist aber auch der legale Anteil an Rückerstattungen erhalten. Die höchste Rückerstattungssumme - ebenso inklusive Rückerstattungen für legale Rückforderungen - gab es 2012 mit 280 Mio. Euro.

"Der in Österreich tatsächlich entstandene Gesamtschaden in Zusammenhang mit der Cum-Ex-Problematik bei Aktiendeals war für den RH mangels vorhandener Daten und Informationen nicht quantifizierbar", schrieb der Rechnungshof (RH) in einem heuer im Juli veröffentlichten Bericht. Das Finanzministerium hat dem RH zufolge jahrelang bessere Kontrollen zu "Cum-Ex"-Geschäften verabsäumt. Die seit spätestens 2007 als unzureichend erkannte Personalausstattung des zuständigen Finanzamts sei über Jahre hinweg nicht verbessert worden, Lösungsvorschläge seien nicht umgesetzt worden.

Wenn große Unternehmen Dividenden an ihre Aktionäre auszahlen, liefern sie gleichzeitig Kapitalertragsteuer (KESt) an die Finanz ab. In Österreich beträgt der Steuersatz für Dividenden 27,5 Prozent. Manche Aktionäre können sich die KESt aber zurückerstatten lassen. Zum Beispiel, wenn sie in einem Land sitzen, das ein entsprechendes Doppelbesteuerungsabkommen mit Österreich hat. KESt-Mehrfachrückerstattungen sind freilich nicht legal.

Deutschen Ermittlern zufolge wurden die Aktien in einer Art Syndikat von Bankern, Investoren und Hedgefonds in schneller Folge hin- und hergeschoben, um den Eindruck mehrerer Aktienbesitzer zu erwecken. Die Rückerstattungen wurden unter den Beteiligten aufgeteilt. Um noch größere Gewinne zu erzielen, konnten sich etwa Pensionsfonds mit großen Mengen Aktien eindecken und nahmen dazu einen Kredit bei einer Bank auf.

Österreich "verschlafen"

Das Ministerium verwies in seiner Anfragebeantwortung darauf, dass Erstattungsfälle aufgerollt wurden. Bei Aufkommen von Betrugsverdacht seien die Auszahlungen gestoppt und dabei auch Auszahlungen ungerechtfertigter Erstattungen in Höhe von 38,35 Mio. Euro verhindert worden, und es sei auch in weiteren Fällen zu Aufrollungen gekommen. Damit sei bisher kein Schaden evident. Ein Insider sagt zu "addendum": "Die meisten Trader hatten den Eindruck, Österreich ist einfach verschlafen. Das waren Jäger, Tiger, blutrünstige Tiere. Für die war Österreich nicht einmal ein Frühstück."

Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Juni auch ein Ermittlungsverfahren gegen die spanische Großbank Santander eröffnet. Sie soll als sogenannter Leerverkäufer im Zusammenhang mit "Cum-Ex"-Geschäften aufgetreten sein. Auch das australische Geldhaus Macquarie ist ins Fadenkreuz der Ermittler geraten. Die Bank selbst hält die Geschäfte von 2011 für legal. Ein Sprecher von Santander wollte sich nicht dazu äußern, ob die Bank "Cum-Ex"-Geschäfte als unrechtmäßig einstuft.

In Dänemark beläuft sich der Schaden aus "Cum-Ex"-Geschäften für die Steuerzahler auf umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro. Die dänischen Behörden wollen das Geld bei Personen in den USA eintreiben. Auch gegen einen britischen Staatsbürger, der auf den Palminseln in Dubai lebt, läuft ein Verfahren. Die Fälle in Deutschland und Dänemark haben die Ermittler in anderen Ländern veranlasst, sich Dividenden-Steuerdeals ebenfalls genauer anzuschauen. Das Ergebnis: Mehrere andere Staaten sind betroffen, wenn auch weniger stark. Einer Sprecherin des belgischen Finanzministeriums zufolge wurden in dem Königreich ähnliche, illegitime Anträge auf Steuererstattungen gestellt. Dort überwies der Fiskus 201 Millionen Euro, bevor weitaus größere Rückforderungen, davon einige bis in das Jahr 2017 hinein, gestoppt werden konnten.

Europaweit haben 19 Redaktionen aus zwölf Ländern, darunter "addendum" aus Österreich, im Rahmen des Recherchezentrums "Correctiv" koordiniert ein Jahr lang zu "Cum-Ex" recherchiert. Sie sprechen davon, den größten Steuerraub in der Geschichte Europas aufgedeckt zu haben.