Wie stark verändert die Digitalisierung das Personalwesen zurzeit, Herr Barozzi?
GIANPAOLO BAROZZI: Es ist ein entscheidender Wendepunkt für Human Resources (HR), für das Personalwesen – vor allem dank maschinellem Lernen beziehungsweise künstlicher Intelligenz. Bald wird man überall den Einfluss und das Zusammenspiel von HR und maschinellem Lernen spüren. Im Marketing wird maschinelles Lernen bereits verwendet, um den Kunden maßgeschneiderte Angebote machen zu können. Im Verkauf, um zu verstehen, wohin sich die Kunden bewegen. Und in der Produktion verwendet man es, um die Entwicklung zu innovieren. HR kommt aber die viel grundlegendere Aufgabe zu, die Art und Weise, wie wir alle arbeiten, umfassend neu zu gestalten. Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sind zugleich die Antriebskräfte dieser Entwicklung als auch die Mittel, mit denen man sie beeinflussen kann.

Wo setzen Sie maschinelles Lernen heute schon ein?
Zum Beispiel bei der Erkennung und Abwehr von Cyberattacken. Im Personalbereich, insbesondere in der Personalakquise und in der Personalentwicklung, pilotieren wir erfolgreich erste Anwendungen. Die grundlegende Idee ist, es unseren Führungskräften so einfach wie möglich zu machen, ihre Teams zu kennen – deren Ressourcen, Fähigkeiten und Ambitionen. Zum anderen möchten wir die Art und Weise, wie wir arbeiten, intuitiver machen.

Wie wichtig sind Teams in einem Konzern, der weltweit mehr als 70.000 Mitarbeiter hat?
Bei Cisco haben wir uns von zwei traditionellen Schwerpunktbereichen des Personalwesens entfernt. Auf der einen Seite stand immer der Einzelne – meine Karriere, mein Bonus, meine Leistungsbeurteilung. Auf der anderen Seite waren die Themen, die alle betreffen: die Leitlinien, die Strategie des Unternehmens.

Cisco-Talente-Scout Gianpaolo Barozzi
Cisco-Talente-Scout Gianpaolo Barozzi © Cisco

Wir aber haben erkannt, dass der „Sweet Spot“, also der optimale Punkt, in der Mitte liegt, bei unseren Teams. Teams sind das Umfeld, in dem Menschen sich engagieren, ihre Stärken einsetzen können, Unterstützung erhalten. Und wo sie sich zugehörig fühlen.

Wie zukunftsfähig ist das Gefühl der Zugehörigkeit? Spielen permanente Jobs in künftigen Arbeitswelten überhaupt noch eine Rolle?
Ich glaube, dass weder permanente Jobs noch große Unternehmen verschwinden werden. Aber: Unternehmen werden sich verändern und sich in wesentlich dynamischere Gebilde verwandeln. Manche Leute werden zwei oder drei Jahre für jemanden arbeiten. Andere kommen für sechs Monate oder arbeiten ausschließlich in Teilzeit.

Dann wird’s wieder Leute geben, die für ein Unternehmen arbeiten, weggehen und wieder zurückkehren. Und nicht zuletzt jene, die für Sie und eine andere Firma gleichzeitig arbeiten. Das kommt, das passiert bereits. HR muss bereit sein, diese Diversität zu ermöglichen. Dann wird der Prozess für Unternehmen ein erfolgreicher sein – weil all diese Menschen mehr Vielfalt und Engagement in einzelne Firmen bringen. Darüber hinaus wird es für die Mitarbeiter mehr Wahlfreiheit geben, um die Arbeit an ihre persönliche Lebenssituation anzupassen.

Ist es für Sie in dieser schnelllebigen Zeit heute einfacher oder schwieriger, die richtigen Mitarbeiter zu finden?
Es ist seltsamerweise ein Mix aus beiden Dingen. Global müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es ein Nachhinken bei jenen Fähigkeiten gibt, die wir jetzt und in naher Zukunft brauchen. Die Welt und ihre Technologien entwickeln sich schneller, als es unsere Fähigkeit tut, Menschen aus- und weiterzubilden.

Was unternehmen Sie als großer, finanziell gut ausgestatteter Konzern dagegen?
Bei Cisco bilden wir vermehrt selbst in technischen Berufen aus und beziehen dazu unterschiedlichste Gruppen in unsere „Networking Academy“, die in den vergangenen 20 Jahren zwei Millionen Menschen erreicht hat, ein. In Italien gehören auch Häftlinge dazu. Aber noch einmal zurück zur Rekrutierung: Auf der anderen Seite ist diese heute nämlich einfacher, weil es viel mehr Informationen gibt und die Möglichkeit besteht, einfach eine große Masse an Menschen zu erreichen.

Was sind die Fähigkeiten, die potenzielle Mitarbeiter heute mitbringen müssen?
Ich weiß, dass Menschen Polarisierung lieben, möchte aber eine ausgewogene Antwort geben. Beides ist sehr wichtig: Soft Skills und Hard Skills. Also das Auftreten und die richtige Ausbildung. Gleichzeitig gibt es heute eine weitere Anforderung: Es braucht die Fähigkeit, Dinge schnell zu lernen. Man muss sich rasch an veränderte Arbeitswelten anpassen – auch in der Produktion oder im Finanzbereich. Führungskräfte müssen zusätzlich lernen, Ungewissheiten zu managen und offen für junge Menschen zu sein. Sie müssen verstehen, was „Millennials“ tun, wohin sie sich bewegen, wofür sie sich interessieren.

Weil Sie so oft von Tempo und der „schnellen“ Anpassungsfähigkeit sprechen: Glauben Sie eigentlich gar nicht an die Sehnsucht nach Entschleunigung?
Ich bin ein starker Anhänger des Fortschritts und weiß, dass künstliche Intelligenz disruptiv sein wird, also Dinge völlig ändert. Aber wir können die Art der Veränderung mitbestimmen. Ärzte werden ihre Jobs nicht wegen künstlicher Intelligenz verlieren. Aber sie werden sich schwertun, gegenüber anderen Ärzten, die künstliche Intelligenz verwenden, mitzuhalten. Es gibt eine dystopische und eine utopische Zukunft der Arbeitswelt – aber das passiert nicht von alleine. Wir entscheiden, wohin wir uns bewegen.

Was sollten Unternehmen tun, um diese Transformation bestmöglich zu meistern?
Wir müssen es schaffen, dass unsere Leute lernen, wie sie künstliche Intelligenz in ihrem jeweiligen Arbeitsfeld sinnvoll einsetzen können. Ich weiß, dass das eine riesige Transformation ist – und dass es nicht einfach wird. Und natürlich wird es im Zuge dieser Revolution auch einige Verlierer geben. Aber im Großen und Ganzen bin ich optimistisch.