1400 Grad heiß schießt die Flamme aus dem Brenner. Ein Zischen ist zu hören. Behände nimmt Karl Wilfinger eine dünne Glasröhre zur Hand und hält sie in die Flamme. Mit gekonnten Handgriffen beginnt er die Glasröhre, die zu glühen begonnen hat, zu drehen.

Jetzt muss es schnell gehen. Er führt das eine Ende zum Mund, sofort bildet sich am anderen Ende eine Blase. Mit jedem Atemzug wird sie größer. Nach wenigen Sekunden ist das Glühen erloschen, die Kugel ist fest. Es knackt. Der Glasbläser entfernt den Stil von der Kugel.

Karl Wilfinger heizt dem Glas ordentlich ein
Karl Wilfinger heizt dem Glas ordentlich ein © KLZ / Veronika Teubl-lafer

Jedes Stück ein Unikat

Gefüllt mit Stroh, Blumen, Fotos, persönlichen Sprüchen ist jede Kugel nicht nur ein filigranes Kunstwerk, sondern auch ein Unikat. Seit 47 Jahren ist Karl Wilfinger Glasbläser - und das aus Leidenschaft. 2010 gründete er gemeinsam mit Tochter Christina Pacher-Wilfinger seine eigene Glasbläserei in Puch bei Weiz an der oststeirischen Apfelstraße.

15 Lehrlinge hat er in den vergangenen Jahren ausgebildet, er schuf Kunstwerke für Moderator Thomas Gottschalk, Fernsehkoch Johann Lafer und den Haribo-Gründer Hans Riegl. Seit zwei Jahren ist der 63-Jährige in Pension, der Betrieb wird unter neuem Namen „Marchri Glasbläserei“ von Tochter Christina und ihrem Mann Markus weitergeführt.

Einzigartige Kunstwerke entstehen in der Glasbläserei Marchri in Puch bei Weiz
Einzigartige Kunstwerke entstehen in der Glasbläserei Marchri in Puch bei Weiz © KLZ / Veronika Teubl-lafer

Ganz vom Glas kann der Pensionist die Finger aber nicht lassen. Vor allem bei Workshops, Schulungen und Vorführungen ist er im Einsatz. „Wir wollen den Leuten die Faszination der Glasbläserei näher bringen und mehr Aufmerksamkeit auf diesen aussterbenden Beruf legen“, so Wilfinger. 2023 wurde das filigrane Handwerk von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt.

Langsam wächst die Kugel aus dem flüssigen Glas
Langsam wächst die Kugel aus dem flüssigen Glas © KLZ / Veronika Teubl-Lafer

Jahrtausende alte Tradition

Neben dem Kunsthandwerk ist die technische Glasbläserei eines der Hauptstandbeine des Betriebs. Gefertigt werden Glasapparate, technische Labor- und Messgeräte - alles per Hand und Mund. „Viele wissen gar nicht, dass sowas überhaupt möglich ist“, sagt Christina Pacher-Wilfinger.

Chefin Christina Pacher-Wilfinger mit ihrem Vater und Senior-Chef Karl Wilfinger
Chefin Christina Pacher-Wilfinger mit ihrem Vater und Senior-Chef Karl Wilfinger © KLZ / Veronika Teubl-Lafer

Auch Upcycling spielt eine große Rolle. Für spezielle Trinkgläser werden alte Flaschen wiederverwendet, die von Gastrobetrieben aus der Region bezogen werden. „Die jahrtausendealte Tradition des Glasblasens soll bei uns modern interpretiert werden“, erklärt die 34-Jährige, die von ihrem Vater das Glasblasen erlernt hat.

Das Glas, der Bläser und das Feuer

Zurück zur Christbaumkugel: Was macht die perfekte Kugel aus? „Das Wichtigste ist, dass der Glasbläser mit Glas und Feuer eine Symbiose eingeht. Sonst wird es nix.“ Außerdem wichtig: die Erfahrung. Denn auch Wilfingers erste Kugel war kein Meisterstück.

Zur Demonstration hält der Senior-Chef ein weiteres Glasröhrchen ins Feuer. Er pustet hinein. Wieder entsteht eine Blase, die sich allerdings nicht rund, sondern oval formt. Sie wächst und wächst. Plötzlich zerspringt sie in tausende Splitter.

Was war passiert? „Das Glas hat einen Überdruck bekommen und die Luft hat sich den leichtesten Weg hinaus gesucht“, erklärt der 63-Jährige. Bereits im Voraus muss der Glasbläser wissen, was er wann tut. Wann er hineinbläst und wohin, wo er das Glas über die Flamme bewegt, damit die richtige Temperatur herrscht. „Nur so erhält man die perfekte Kugel. Und das ist die Kunst“, betont Wilfinger.

Zum Schluss kommt das typische Hackerl, an dem handgefertigte Christbaumkugeln erkennbar sind
Zum Schluss kommt das typische Hackerl, an dem handgefertigte Christbaumkugeln erkennbar sind © KLZ / Veronika Teubl-Lafer

Das „Hackerl“ als Kür

Der Glasbläser widmet sich wieder dem Feuer. Bei unserer Christbaumkugel fehlt noch das Hackerl. Es ist die Kür jeder handgefertigten Christbaumkugel. Wilfinger erhitzt das obere Ende, mit einer raschen Handbewegung bildet er eine Schlaufe und dreht den heißen Glasfaden ab. Fertig. Wilfinger betont: „Nur eine Kugel mit so einem Hackerl ist eine echte handgefertigte Christbaumkugel.“