"Mama, ich brauche Hilfe. Komm und hilf mir. Bitte." Den Anruf ihres Sohnes mitten in der Nacht 2014 wird Sabine Mehrl nie vergessen. In dieser Nacht erfuhr die Psychotherapeutin aus St. Andrä-Höch, Bezirk Leibnitz, dass ihr damals 17-jähriger Bub drogensüchtig war. "Er rauchte zuerst Marihuana. Ich erfuhr, dass der Vater eines damaligen Freundes dies bei ihnen zu Hause erlaubte. Dann nahm er alles Mögliche, Speed, spritzte Heroin und doch hofften wir", erzählt sie.

Entzugsversuche scheiterten. Es wurde schlimmer. Immer wieder war er laut Mehrl abgängig. "Wir wussten nicht, wo er ist, wie es ihm geht, ob er noch lebt. Irgendwann haben wir aufgehört, ihn mit der Polizei suchen zu lassen", sagt sie. Die Familie gab den Sohn allerdings keine Sekunde auf. Man griff nach jedem Strohhalm. In der eigens gegründeten Familien-WhatsApp-Gruppe namens Pegasus tauschte man sich laufend aus. Neben seiner älteren Schwester haben Mehrl und ihr Mann übrigens noch vier jüngere Pflegekinder.

Reise nach Indien

Natürlich sprach sich das auch rasch in der Gemeinde herum. Doch statt verurteilende Blicke und Ausgrenzung folgten ausgestreckte Hände und bekundete Unterstützung. "In St. Andrä-Höch hilft man einander, es ist eine Gemeinschaft und ich wohne sehr gerne hier", sagt Mehrl. Schließlich flog die Südsteirerin mit ihrem Sohn nach Indien in einen Ashram. Weg von seinem Umfeld. Weg von den Drogen. Hoffnung auf Besserung. "Doch als er nach Monaten wieder daheim war, kam der Rückfall", erzählte sie.

2018 fuhr die Psychotherapeutin selbst auf Reha, am Ende ihrer Kraft. "Wir fragten uns dann als Eltern natürlich auch: 'Was habe ich falsch gemacht, was übersehen. Hätte ich es verhindern können?'", gesteht sie. In der Zeit schrieb sie den Großteil des Erlebten, ihre Gefühle, Sorgen und Ängste nieder. "Ich wollte mir zuerst einfach nur den ganzen Schmarrn von der Seele schreiben", sagt die Mutter.

"Pegasus" auf den Markt gebracht

Circa 200 Seiten und vier Jahre später bringt sie ihr Buch "Pegasus: Tagebuch einer Mutter" als E-Book via Amazon heraus. Die Namen der Protagonisten hat Mehrl geändert, so heißt ihr Sohn im Buch "Leo". Seit Kurzem ist es auf dem Markt. Unverblümt und unzensiert. In der Ich-Form nimmt sie ihre Leserinnen und Leser mit in die Zeit, als sie ihren Sohn begleitete, versuchte zu helfen und oftmals scheiterte. Eine Geschichte, die unter die Haut geht. "Viele Jahre habe ich das kranke Häuflein Elend namens Leo durch die Gegend geschleift, im verzweifelten Bemühen, ihn wieder auf die Beine zu stellen, die jedoch trotz aller Anstrengung immer wieder bildlich gesehen unter ihm zusammengesackt sind, als wären sie aus Gummi", schreibt sie etwa.

"Ich vertraue und hoffe"

Mit ihrem Buch will Mehrl enttabuisieren und Menschen in ähnlichen Situationen helfen. Mittlerweile ist ihr Sohn in einem Gefängnis in Wien, verhaftet laut Mehrl wegen Raub und Diebstahl. Fünf Jahre muss er hinter Gittern verbringen. Durch das Rauschgift kämpfe er zudem mit Psychosen. Das Positive: Ihr Sohn mache gerade die zuvor abgebrochene Lehre zum Schlosser fertig und wolle die Lehre zum Tischler beginnen. Ob er noch Drogen nimmt, weiß die Mutter nicht. Was sie allerdings weiß ist, dass man etwa keine Markenkleidung schicken soll. Das werde oft gegen Drogen im Gefängnis eingetauscht. Mittlerweile kenne sie sich etwas aus. "Ich habe gelernt, dass es seine Entscheidung ist, ob er abstinent bleibt oder nicht. Ich vertraue und hoffe, dass er sich richtig entscheiden wird."