Mit einem Knall fliegt der Ball an die Wand des Turnsaals. "Toooooooor", schreit der Bürgermeister, die kleinen Buben lachen. Auf ukrainisch rufen sie dem Ortschef etwas zu, schon folgt ein scharfer Schuss zurück. Die Sprache ist in diesem Moment zweitrangig. Bürgermeister, Amtsleiter und zwei Gemeinderäte spielen mit den Flüchtlingskindern Fußball, der Sport verbindet. Es wird gelacht, geschwitzt, mit Händen und Füßen gedeutet. In einer Ecke steht Yana und sieht lächelnd zu. Sie winkt uns zu sich, spricht auf ukrainisch in ihr Handy. Eine Übersetzungs-App zeigt an: "Sind die Kinder glücklich, sind auch wir Eltern glücklich."

Dass der Bürgermeister der Gemeinde Pölstal in der seit Jahren geschlossenen Volksschule im Ortsteil St. Johann Fußball spielt, das hätte sich vor wenigen Wochen noch niemand gedacht. Die Flüchtlingswelle aus der Ukraine hat die 2500 Einwohner-Gemeinde mit voller Wucht getroffen. "Wir haben kurz nach Kriegsbeginn zufällig erfahren, dass schon Flüchtlinge bei uns sind. Seitdem läuft alles auf Hochtouren", schildert Ortschef Alois Mayer die Anfänge. Er gehört der ÖVP an, Parteigrenzen haben im Pölstal aber gerade keine Bedeutung. Gemeinsam mit Robert Reif, Landtagsabgeordneter der Neos, und Petra Weiß, Regionalgeschäftsführerin der SPÖ, sowie Amtsleiter Gerald Reitinger wurde ein Krisenstab eingerichtet, der die Hilfe für die Vertriebenen koordiniert.

Rund 60 Flüchtlinge sind aktuell im Pölstal untergebracht, es dürften noch mehr als 100 dazu kommen. Viele Privatquartiere wurden dem Land gemeldet, die Hilfsbereitschaft ist riesig. Die meisten Ukrainer wohnen im abgelegenen Ortsteil St. Johann am Tauern - 41, das ist ein Zehntel der gesamten Bevölkerung dort. Sie leben im ehemaligen Kirchenwirt, ein Großquartier. "Das ist nicht immer einfach", gibt Petra Weiß ehrlich zu. Sie zeigt uns die Volksschule und den Kindergarten, beide eigentlich geschlossen - weil es im Ort zu wenig Kinder gibt.

Unentbehrlich ist die Übersetzungs-App. Petra Weiß (links) mit Yana, Olga, Robert Reif und Alois Mayer
Unentbehrlich ist die Übersetzungs-App. Petra Weiß (links) mit Yana, Olga, Robert Reif und Alois Mayer © Sarah Ruckhofer

Jetzt hallt das Lachen durch die Gänge, es wird gespielt und ausgelassen getobt. "Sie verstehen überhaupt nicht, warum wir eine so schöne Einrichtung nicht nützen", schmunzelt Weiß. Mit der Übersetzungs-Software tauscht sie sich mit den Müttern aus, sie haben die Betreuung der Kinder streng geregelt. Es gibt so etwas wie einen  Kindergartenbetrieb, eine Art Alltag. Auch wenn das fröhliche Kinderlachen anderes vermuten ließe - diese Familien haben die Hölle durchlebt. Da ist etwa Oma Lysy, die ihre Enkel nach Österreich gebracht hat. "Die Eltern sind an der Front", erzählt sie. Da ist eine Frau, deren Mann im Krieg gefallen ist. Da sind Kinder, die Bomben und Schüsse gehört haben - und panisch in Tränen ausgebrochen sind, als Samstagmittag der Sirenenalarm losging.

Schicksale, die die Helfer nicht kalt lassen. "Da kommen uns oft die Tränen", erzählt Bürgermeister Mayer. Was Kraft gibt, ist der unglaubliche Zusammenhalt in der Gemeinde. "Ob Vereine, Private, Firmen, es hilft jeder mit. Das ist so toll." Eine Bäuerin bringt gerade Eier, Milch und Tee in die Schule, eine Bäckerei liefert Krapfen und Gebäck. Für Sachspenden hat man bereits einen Stop einlegen müssen, nun wurde ein Spendenkonto eingerichtet, um zielgerichtet unterstützen zu können. Je nach Versorgungsgrad bekommen die Flüchtlinge 40 bis 75 Euro - pro Person, pro Monat. Nicht genug, um Windeln für das erst sechs Wochen alte Baby zu kaufen. Nicht genug, wenn man die Heimat mit leeren Händen verlassen musste. Ein großes Problem ist die Internetversorgung in St. Johann - 40 Menschen, die täglich gleichzeitig das WLAN nützen, um ihre Männer, ihre Väter und Söhne im Krieg zu erreichen - darauf ist die Verbindung nicht ausgelegt.

Wir fahren weiter nach Oberzeiring. Im Kurort koordiniert Robert Reif die Hilfe, er stellt uns Hazam vor. Der gebürtige Ägypter ist ein zweifach Vertriebener: "Während der Revolution in Ägypten bin ich in die Ukraine geflohen, habe dort ein Leben aufgebaut. Nun herrscht Krieg, wir mussten fliehen." Weil er die Doppelstaatsbürgerschaft besitzt, durfte der Koch und Taxifahrer mit Frau und Kind ausreisen. Hazam spricht arabisch, englisch und ukrainisch, als Übersetzer ist er unentbehrlich. "Wir sind dankbar, hier sein zu dürfen. Aber ich will arbeiten, ich hoffe, dass die Kinder in die Schule gehen können."

Das sind Probleme, die auch der Krisenstab mit Sorge betrachtet. Zwar dürfen die ukrainischen Flüchtlinge arbeiten, fallen aber schon ab 120 Euro Zuverdienst aus der Grundversorgung. "Das ist wirklich unmöglich, wer soll sich das leisten können?", ärgert sich Reif. Man bemüht sich um Sprachkurse für die Kinder, um beste Integration. So wird ein Paten-System ins Leben gerufen: Je eine österreichische Familie übernimmt die Patenschaft für eine ukrainische, soll bei Alltagsproblemen - vom Sockenkauf bis zum Arztbesuch - helfen. 

Hazam und Robert Reif
Hazam und Robert Reif © Sarah Ruckhofer

Hazam kocht indes in der kleinen Küche Tee für die Besucher. Der Krieg, fürchtet er, wird nicht schnell vorbei sein. Und so beginnt er, seine vierte Sprache zu lernen - Deutsch. Das erste Wort beherrscht in seiner Familie bereits jeder: "Danke."