Der Schock saß auch am Tag eins nach der Grazer Gemeinderatswahl tief – beim Verlierer ÖVP wie beim Sieger KPÖ. Die politischen Verhältnisse sind auf den Kopf gestellt. Die Kommunisten haben sich festgelegt: Elke Kahr soll als Bürgermeisterin die Geschicke der zweitgrößten Stadt des Landes leiten. Der Haken: Das war nie der Plan. Die 60-Jährige wollte zwar gestärkt aus der Wahl hervorgehen, aber nur um sich weiter als soziales Gewissen und Korrektiv zur „Eventpolitik“ von Siegfried Nagls ÖVP zu profilieren. Nicht so sehr, um zu gewinnen.

Noch am Wahlabend versprach Kahr: „Ich werde nicht die Fronten wechseln.“ Das Signal an die Wähler: Sie bleibt eine von ihnen. Subtext: Die da oben können sich warm anziehen. Doch die Kommunisten sind jetzt die da oben. Die Pose des unpolitischen Underdogs mit plakativ-karitativer Ader reicht nicht mehr. Wer an der Spitze einer Stadt steht, hat Gesamtverantwortung, sollte das große Ganze, nicht den Klassenkampf im Auge haben.

Zunächst aber braucht es – zum Wohle der Stadt und ihres Ansehens – die unmissverständliche, uneingeschränkte Distanzierung von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die das kommunistische Regime verübt hat. Es braucht die Abkehr von einer Sowjetnostalgie, in der stets mitschwingt, „es war nicht alles schlecht ...“ Nicht in der UdSSR. Nicht in Titos Jugoslawien. Und in ihrem Grundsatzprogramm von 2012 führt die KPÖ Michail Gorbatschow immer noch gleichsam als Hochverräter und Totengräber der „sozialistischen Weltmacht“, der man nachtrauert.

Lässt sie die Glorifizierung antidemokratischer Systeme hinter sich, muss die KPÖ in die Zukunftswerkstatt: Ein boomender Wirtschaftsstandort braucht politische Zuverlässigkeit, Innovationskraft und Infrastrukturausbau. In ihrem Grazer Wahlprogramm haben die Kommunisten das Thema Wirtschaft jedoch nicht einmal mit einem Kurzkapitel bedacht. Dafür listen sie reihenweise neue Abgaben auf. Sie mokieren sich über den von Nagl mit Prestigeprojekten angehäuften Schuldenberg, fordern aber die Abkehr vom Maastricht-Schuldenpfad. Das oberste Gebot der Partei voller EU-Skepsis liegt auf der Hand: „Mehr Staat, weniger privat!“

Graz steuert auf unruhige Zeiten zu. Die Koalitionsverhandlungen werden schwierig, das Regieren kein Honiglecken. Nach fast 20 Jahren Nagl sind fast alle Spitzen im Magistrat und in städtischen Töchtern in ÖVP-Hand. Auch in Land und Bund fehlen der KPÖ alle Netzwerke, um wichtige Projekte auf den Boden zu bringen. Die FPÖ will ja – trotz Stadtregierungssitzes – als scharfe Opposition lustvoll an der Demontage der KPÖ arbeiten. Für ÖVP und Grüne, die auch ohne Koalition in der Proporz-Stadtregierung sitzen werden, stellt sich die Frage: Arbeitet man mit der KPÖ oder gegen sie? Für die Stadt oder an Neuwahlen? In Graz steht in diesem Herbst für viele Akteure eine demokratiepolitische Reifeprüfung an.

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