Wie kam Messis Entscheidung zustande?

Messis Entscheidung, den FC Barcelona verlassen zu wollen, ist keine kurzfristig gefasste. Sie ist seit Monaten und Jahren gereift. Das liegt einerseits an den sportlichen Enttäuschungen und andererseits an der aktuellen Klubführung.

2018 und 2019 scheiterte Messis Barcelona in der Champions League in spektakulärer Manier an der AS Rom beziehungsweise dem FC Liverpool. Gleichzeitig wuchsen die Spannungen zwischen Messi und dem seit 2014 amtierenden Präsidenten Josep Bartomeu.

Kommentar: Koeman reißt das Pflaster ab

Mit der 2:8-Blamage gegen den FC Bayern im diesjährigen Champions-League-Viertelfinale verlor Messi offenbar jeglichen Glauben an eine baldige Besserung - anders als Bartomeu, der die Entwicklungen nicht wahrhaben wollte. "Messi will seine Karriere in Barcelona beenden. Ich spreche regelmäßig mit ihm und seinem Vater. Er ist Teil unseres Projekts", sagte Bartomeu noch vergangene Woche.

Unter dem neuen Trainer Ronald Koeman steht ein längst überfälliger Umbruch an. Dafür will Koeman jedoch die aus Messis Sicht falschen Spieler opfern, mit Luis Saurez (33) etwa seinen besten Kumpel in der Mannschaft. Ihm soll Koeman am Montag in einem lediglich einminütigen Telefonat mitgeteilt haben, dass er den Klub verlassen muss.

Am Tag darauf vermittelte Messi per Burofax seine Abschiedspläne. Bei einem Burofax handelt es sich übrigens nicht um ein Fax im deutschen Sinne, sondern ein eingeschriebenes Dokument - in Spanien die einzige nachweisbare Zustellungs-Möglichkeit einer wichtigen Botschaft.

Der FC Barcelona in der Saison 2019/20

Spiele 51 Siege 32 Unentschieden 10 Niederlagen 9 Tore 110 Gegentore 57 Titel 0

Auf welche Klausel beruft sich Messi und was besagt sie?

In Messis 2017 unterschriebenen und bis 2021 laufenden Vertrag ist eine Klausel verankert, die ihm jedes Jahr bis zum 10. Juni die Möglichkeit zur einseitigen Kündigung gibt. Dieser Stichtag ist im Jahr 2020 zwar längst vorbei, doch in Zeiten der Corona-Pandemie ist alles anders.

Der 10. Juni soll eigentlich das Ende einer gewöhnlichen Saison darstellen, die aktuelle lief aufgrund der zwischenzeitlichen Zwangspause aber bis zum Champions-League-Finale am vergangenen Sonntag. Genau das lässt Raum für verschiedene Interpretationen: Ist der Stichtag nun wirklich verstrichen, oder eben nicht?

Sollte keine der beiden Parteien einen Rückzieher machen, steht wohl ein Rechtsstreit zwischen Spieler und Klub bevor. Bekäme Barcelona Recht, müsste ein interessierter Klub die festgeschriebene Ablösesumme in Höhe von 700 Millionen Euro bezahlen.

Wie reagiert die Öffentlichkeit auf Messis Entscheidung?

Wie groß die Nachricht ist, zeigt die umgehende Reaktion des höchsten Politikers Kataloniens. Präsidenten Quim Torr twitterte direkt nach Verkündung: "Katalonien wird immer Dein Heim sein. Vielen Dank für all diese Zeiten der Glückseligkeit und des außergewöhnlichen Fußballs. Wir haben das Glück gehabt, einige Jahre unseres Lebens mit dem besten Spieler der Welt und einem noblen Sportler zu teilen. Wir werden Dich nie vergessen."

Zeitgleich machten sich hunderte Fans auf den Weg zum Camp Nou und skandierten dort mit erhobenen Mittelfingern wahlweise "Messi, bleib!" oder "Bartomeu raus!" Die in den vergangenen Tagen vorherrschende Ungläubigkeit der Fans über die Echtheit der Entwicklungen weicht langsam Angst und Wut.

© getty

In den sozialen Netzwerken meldeten sich umgehend (Ex)-Mitspieler zu Wort, die Messi zu seiner Entscheidung gratulierten. "Respekt und Bewunderung, Leo. All meine Unterstützung, mein Freund", schrieb der ehemalige Barcelona-Kapitän Carles Puyol, worauf Suarez mit Applaus-Emojis reagierte .

Welche Klubs kommen als Abnehmer in Frage?

Sollte Messi die festgeschriebene Ablösesumme in Höhe von 700 Millionen Euro nicht kippen, wird sich kein Abnehmer in Europa - wo er wohl weiterhin spielen will - finden lassen. Eine solche Summe würde sich nicht einmal mit den dreistesten Tricksereien vor dem Financial Fairplay der UEFA rechtfertigen lassen. Zumindest sofern der aufnehmende Klub nicht all seine anderen Spieler verkauft. Auch bei einem ablösefreien Abgang kommen nur wenige Klubs in Frage, liegt Messis aktuelles Jahresgehalt doch bei knapp 50 Millionen Euro.

Als wahrscheinlichster Abnehmer gilt Manchester City, deren Trainer Pep Guardiola bekanntlich schon von 2008 bis 2012 in Barcelona mit Messi zusammenarbeitete und mit ihm zweimal die Champions League gewann. Nach Informationen von SPOX und Goal gab es bereits ein Gespräch zwischen Messi und Guardiola, in dem der Trainer seinen Wunsch einer Reunion kundgetan hat. Auch mit seinem argentinischen Landsmann Sergio Agüero soll Messi bereits Kontakt gehabt haben.

Außerdem im Gespräch ist Inter Mailand, das dank seines chinesischen Eigentümers Suning seit rund einem Jahr viel Geld für prominente Spieler ausgibt und sich zu einem Champions-League-Titelaspiranten mausern will. Vor einigen Wochen sendete Sunings TV-Sender PPTV ein virtuelles Plakat, auf dem der Schatten Messis auf den Mailänder Dom projiziert war und löste damit wilde Spekulationen aus. Etwa zeitgleich soll Messi gemeinsam mit Angehörigen Luxus-Immobilien in Mailand gekauft haben.

Geschäftsführer Giuseppe Marotta bewerte einen möglichen Wechsel Messis zu Inter damals aber als "Utopie" und Trainer Antonio Conte sagte: "Es ist einfacher, den Mailänder Dom zu versetzen, als Messi nach Mailand zu bringen." Und der Mailänder Dom ist durchaus stabil, ist er doch eine der größten Kirchen der Welt und steht seit 1386 unversetzt an Ort und Stelle.

Abgesehen von City und Inter wird noch das von Katar alimentierte Paris Saint-Germain als möglicher Abnehmer gehandelt. Dort könnte Messi wieder mit seinem Kumpel Neymar, den er seit dessen Wechsel 2017 immer wieder zu einer Barca-Rückkehr animieren wollte, zusammenspielen. 2015 gewannen sie mit Barcelona gemeinsam das Triple.

Was würde der Abschied für den FC Barcelona bedeuten?

Sollte Messi den Klub tatsächlich verlassen, wäre es das Ende der erfolgreichsten Ära der Klubgeschichte - und gleichzeitig eine persönliche Schmach für Bartomeu. Er würde als der Präsident in die Geschichte eingehen, der den besten Barcelona-Spieler aller Zeiten verloren hat.

Präsidentschaftskandidat Jordi Farre, der bei der anstehenden Wahl im März 2021 gegen Bartomeu antreten will, reichte bereits ein Misstrauenvotum gegen ihn ein : Sollten 66 Prozent aller Klubmitglieder unterschreiben, müsste Bartomeu sein Amt aufgeben. Bereits am Dienstagabend forderte Joan Laporta, der dem Klub von 2003 bis 2010 vorstand, bei twitter: "Bartomeu und sein Vorstand müssen sofort zurücktreten. Sie haben die Moral von Messi untergraben, um sich vor dem wirtschaftlichen und sportlichen Schaden zu retten, den sie angerichtet haben."

Den wirtschaftlichen und sportlichen Schaden löste die katastrophale Transferpolitik der vergangenen Jahre aus. Statt den Kader sinnvoll zu verstärken, kaufte Barcelona nach Namen ein. Die Transfers von Ousmane Dembele (2017, für 140 Millionen Euro), Philippe Coutinho (2018, für 145 Millionen Euro) und Antoine Griezmann (2019, für 120 Millionen Euro) brachten aber nicht den gewünschten Erfolg.

Markt für diese prominenten Spieler, die alle noch bis mindestens 2022 gebunden sind, gibt es aktuell wohl keinen. Koeman muss sie also in seine Umbruch-Pläne integrieren - was diese nicht einfacher macht. Womöglich kommt aber auch gerade diesem Trio ein Abschied von Messi (und Suarez) ganz gelegen, womöglich übernehmen sie so mehr Verantwortung und treten aus dem riesigen Schatten ihrer erfolgreichen Vorgänger heraus. Insofern könnte Messis Abschied auch eine Chance für Barcelona sein.