Was bedeutet das Chaos für Jürgen Klinsmann?

Es war im Sommer 2006, als Jürgen Klinsmann der gefeierte Held Deutschlands war. Er war der Revoluzzer, der Erwecker der deutschen Nationalmannschaft: Sommermärchen! Knapp 14 Jahre später und nach seiner 76-tägigen Amtszeit samt tosendem Ende als Trainer von Hertha BSC hat sich die Sichtweise auf seine Person in Deutschland um 180 Grad gedreht.

Die Mannschaft distanzierte sich unter Klinsmann zwar etwas von den Abstiegsplätzen, zeigte jedoch äußerst unansehnlichen Fußball. Von Aufbruchstimmung war durch das permanente Gerede von der Champions League zwar reichlich zu hören, auf dem Platz aber nichts zu sehen. Dort gab es glückliche Punktgewinne oder hochverdiente Niederlagen.

Im negativen Sinne getoppt wurde diese Entwicklung zunächst durch Klinsmanns überraschenden (und wie von ihm selbst bestätigt auch überstürzten) Rücktritt am Dienstag - und dann noch einmal durch die angekündigte Fragerunde in einem Facebook-Chat , die zu einem viertelstündigen Monolog ohne eine einzige Antwort auf eine gestellte Frage wurde. Eine Farce.

Für Klinsmann entlarvend war dann auch der Auftritt der Hertha-Verantwortlichen Investor Lars Windhorst, Präsident Werner Gegenbauer und Manager Michael Preetz tags darauf. Windhorst nannte das Verhalten Klinsmanns "nicht akzeptabel" und sagte über den 55-Jährigen: "Das kann man als Jugendlicher machen, aber nicht als Erwachsener, wo man ernsthafte Vereinbarungen hat."

Genau das war es, was Klinsmann zuvor bestritten hatte. "Wir haben es leider nicht geschafft, einen Vertrag zu machen", sagte er. Gegenbauer widersprach dieser Darstellung vehement: "Natürlich gab es einen Arbeitsvertrag. Es gab einen mündlichen seit dem 27. November und seit dem 2. Dezember lag ihm auch ein schriftlicher Arbeitsvertrag als Cheftrainer vor." Gegenbauers diesbezüglich detaillierten Informationen erscheinen glaubwürdiger.

Klinsmann hat es durch sein misslungenes Engagement bei der Hertha geschafft, seinen Ruf völlig zu zerstören. Er wird es schwer haben, wieder einen Job im deutschen Fußball zu finden.

Was bedeutet das Chaos für Herthas kurzfristige sportliche Zukunft?

Alexander Nouri saß in seiner Karriere als Proficheftrainer bisher bei 51 Pflichtspielen auf der Bank, von denen er lediglich 15 gewann. Er wurde bei Werder Bremen auf Platz 17 der Bundesliga und beim FC Ingolstadt nach nur zwei Monaten auf dem letzten Platz der 2. Bundesliga entlassen. Nun soll er die Hertha zum Klassenerhalt führen, das bestätigte die Vereinsführung bei der Pressekonferenz am Donnerstag.

"Es gilt sich auf die kommenden Wochen vorzubereiten, das machen wir mit Alexander Nouri und seinem Team", sagte Manager Preetz. Die Hertha sucht in der aktuell schwierigen Situation also keinen neuen Trainer, sondern setzt voll auf den von Klinsmann installierten Nouri. Dem Vernehmen nach soll er erst im Sommer durch einen prominenteren Trainer ersetzt werden. Niko Kovac gilt nach wie vor als Wunschlösung der Hertha-Verantwortlichen.

Ein durchaus riskantes Manöver, bedenkt man sowohl Nouris bisher äußerst unerfolgreiche Trainerkarriere als auch den Umstand, dass er bereits unter Klinsmann große Kompetenzen in Sachen Trainingsinhalte und Taktik gehabt haben soll - und somit genau wie Klinsmann für den zuletzt unansehnlichen Fußball der Hertha steht.

Für Nouri geht es nun zunächst darum, den in Klinsmann-Befürworter und -Ablehner gespaltenen Kader zu einen. Es wird interessant sein zu beobachten, wie er mit Arne Maier, Niklas Stark und Salomon Kalou umgeht. Eigentlich wichtige Spieler, die sich kritisch über Klinsmann geäußert haben.

Lösen muss Nouri diese Situation schnell, denn seine wohl wichtigsten Spiele stehen direkt zu Beginn seiner Amtszeit an. Es geht mit dem SC Paderborn (A), dem 1. FC Köln (H), Fortuna Düsseldorf (A) und Werder Bremen (H) hintereinander gegen vier direkte Konkurrenten. Auf ein Auswärtsspiel gegen die TSG Hoffenheim folgt dann das Derby gegen Union Berlin.

Sollte sich die Hertha zu diesem Zeitpunkt seiner Abstiegssorgen noch nicht entledigt haben, käme ein weiterer Not-Trainerwechsel also womöglich schon zu spät. Denn anschließend warten reihenweise übermächtige Gegner.

Was bedeutet das Chaos für Herthas langfristige Big-City-Club-Pläne?

Gutgetan hat der Hertha samt aktueller Klub-Führung das Chaos der vergangenen Wochen natürlich nicht. Im Vergleich zu Klinsmann geht sie trotzdem als Gewinnerin hervor. Der öffentliche Auftritt von Windhorst, Gegenbauer und Preetz am Donnerstag wirkte deutlich fundierter als der von Klinsmann tags zuvor. Und das lag nicht nur daran, dass sie statt auf einer Holzbank zwischen Laptop und Ball auf einem ordentlichen Podium in einem Pressekonferenzraum saßen. Es lag auch daran, was sie sagten.

Einer von Klinsmann angebotenen Weiterbeschäftigung als Aufsichtsrat erteilte Windhorst eine Absage. Die richtige Entscheidung. Außerdem stellte Windhorst unmissverständlich klar, dass sich an seinen Plänen mit der Hertha durch das unrühmliche Ende des Kapitels Klinsmann nichts geändert habe. "Das Ziel für dieses Jahr ist der Klassenerhalt, das Ziel für nächstes Jahr, das ist auch klar, ist Europa, und das Ziel langfristig ist, sich in Europa zu etablieren", sagte er. "Gehen Sie davon aus, dass das Investment unserer Holding mindestens über die nächsten zehn Jahre gehen wird, es können am Ende auch 20 oder 30 Jahre sein."

Gestärkt aus der Posse hervor geht Manager Preetz, der den kurzen Machtkampf mit Klinsmann gewonnen hat. Windhorst wird jedoch genau verfolgen, wie Preetz auf dem Transfermarkt mit seinem Geld umgeht und welche langfristige Trainerlösung er präsentieren wird. Wirklich viele Glücksgriffe gelangen Preetz in seiner bereits zehneinhalbjährigen Amtszeit nämlich noch nicht: Es gab 13 verschiedene Trainer und zwei Abstiege.

Ein dritter Abstieg wäre wohl die einzige ernsthafte Bedrohung für die langfristigen Pläne Windhorsts. Spieler vom angedachten Potenzial würden sich wohl kaum für die 2. Bundesliga begeistern lassen. "Wenn sie wirklich absteigen, gehe ich nicht hin", sagte exemplarisch Lucas Tousart, der somit eine entsprechende Klausel in seinem Vertrag bestätigte. Die Hertha hat ihn im Winter für 25 Millionen Euro verpflichtet und bis Sommer an seinen bisherigen Klub Olympique Lyon verliehen.