Mehr als 100 Nachrichten und zahlreiche Anrufe hatte Michael Gogl auf seinem Mobiltelefon, als er sich nach der 15. Etappe ausgelaugt in den Teambus gesetzt hatte. „Das tut den ganzen Tag richtig weh und am Abend wird es dann ein bisschen besser“, erzählt er mit einem Lachen. Der Oberösterreicher war formatfüllend im TV zu bestaunen, immerhin fuhr er bei der 107. Tour de France zum wiederholten Mal in einer Fluchtgruppe und zeigte auch einen feinen Soloritt an der Spitze. „Wenn die Gruppe geht und das Feld sie nicht weglassen will, musst du abartig radieren. Dann heißt es nur: Schädel runter und treten“, erzählt er.

Eine mögliche Sensation am Grand Colombier verhinderte auch Übermacht Jumbo-Visma, das im Feld das Tempo hoch und den Abstand zu Gogl und Co. kurz hielt. „Wahrscheinlich sind sie so schnell gefahren, weil sie Egan Bernal vor dem Ruhetag aus den Schuhen fahren wollten – was ja auch passiert ist. Wenn das der Plan war, haben sie alles richtig gemacht.“ Der Kolumbianer kann sich die Titelverteidigung bereits jetzt in die Haare schmieren und die Dominanz von Ineos – vormals Sky – ist verpufft. „Was genau los ist, weiß ich nicht, aber ich habe das Gefühl, dass sie beim Lockdown den Rhythmus verloren haben.“

Rund um Gelbträger Primoz Roglic aus Slowenien fährt Jumbo diese Tour in Grund und Boden. „Die sind abartig drauf. Wenn es in den Bergen richtig losgeht, sind fünf Jumbo-Fahrer übrig, wenn die anderen Klassementfahrer schon hinten rausfallen. Das sind ja auch keine Amateure“, sagt Gogl. Eintönig wird die dritte Woche deshalb auf keinen Fall – auch nicht im Kampf um das Gesamtklassement. „Es geht noch viel bis Paris und ich denke, dass es durchaus noch Überraschungen geben wird. Ich vermute zwar nicht, dass Tadej Pogacar oder Roglic einbrechen, aber dahinter kann sich was tun. Das Rennen um das Podium wird heiß. Es ist eine extrem interessante Tour zum Zusehen.“

Tadej Pogacar ist nicht nur Landsmann von Roglic (30), sondern mit 21 Jahren auch der Einzige, der dem ehemaligen Skispringer samt Phalanx Paroli bieten kann. „Der Typ ist unfassbar“, sagt Gogl, „er hat echt noch das Zeug, dass er Gelb holt. Ich bin mir sicher, dass Pogacar nichts unversucht lassen wird. Und er ist auch slowenischer Zeitfahrmeister.“

Gogl selbst will bis Paris offensiv fahren. „Ich scheue mich nicht davor, dass ich mich wieder vorn hinausschmeiße“, sagt er wieder mit einem Lachen, „es wird sicher noch ordentlich Rambazamba geben, weil jetzt auch Ineos-Fahrer wie Michal Kwiatkowski freie Fahrt haben.“ Mit seiner Form wäre Gogl ein würdiger Kapitän für das WM-Team gewesen, doch er hat verzichtet. „Ich habe mich mit meinem Team darauf geeinigt, dass ich mich auf diese Rennen konzentriere – es ist ein spezielles Jahr“, sagt er. Platz neun bei der Strade Bianche und die Tour-Performance lassen auf die Kapitänsrollen in den Klassikern hoffen. „Man muss natürlich schauen, wie ich aus der Tour komme, aber noch bin ich zuversichtlich, dass ich eine mörderische Form mitnehme, und dann ist viel möglich.“

Ein Grund für seine Form ist die Ernährung. „Die habe ich heuer im Winter umgestellt. Grundsätzlich verzichte ich auf Fleisch und Fisch, bin aber nicht ganz vegan. Weil auf ein ,Omeletterl‘ kann ich nicht verzichten.“ Aktuell hält er bei einer Größe von 1,86 Metern bei gerade einmal 68 Kilogramm. „Ich habe gewusst, dass ich gut drauf bin, aber so ein Rennen ist auch immer eine Lotterie.“