Michael Gogls offener Brief:

Meine Angst wird immer größer. Ich wende mich heute mit einer persönlichen Bitte an euch. Es kann so nicht weitergehen. Wir Sportler sehen uns immer mehr Gefahr und Aggression im Straßenverkehr ausgesetzt. Brenzlige Situationen sind genauso auf meiner Tagesagenda wie die unzähligen Kilometer, die ich auf den öffentlichen Straßen abspulen muss, kann, darf. Es sterben täglich Leute auf den Straßen und es werden immer mehr Profisportler verletzt oder getötet. Hinter jedem Fahrradfahrer steckt ein Mensch, ein Sohn, eine Tochter, eventuell Familienvater oder Mutter. Würden Sie Ihre eigenen Kinder mit völlig überhöhter Geschwindigkeit und 50 Zentimetern Seitenabstand überholen? Ich kenne die Antwort. Die paar Sekunden, die man verliert, wenn man hinter einer Gruppe Radfahrer bleibt und erst überholt, wenn genug Sicht vorhanden ist, können Leben retten. Ich trainiere fast schon täglich mit Tagfahrlicht, aber meine Angst wird immer größer. Täglich höre ich viel zu schnelle Autos heranrasen und täglich überholen mich Sattelschlepper viel zu knapp. Ich trainiere großteils auf Nebenstraßen mit wenig Verkehr, um mich nicht zu gefährden. Bitte respektiert Fahrradfahrer, Sportler, Menschen auf den Straßen und denkt dran, mit eurem Handeln könnt ihr nicht nur ein Leben nehmen, sondern euer eigenes Leben ebenso zerstören! Oft sind es nur ein paar Sekunden Geduld, die wirklich jeder aufbringen kann, die ein Menschenleben beschützen können.

Was hat Sie dazu veranlasst, diesen Brief im Internet zu veröffentlichen?
Es wird auf den Straßen immer gefährlicher und kommt zu immer mehr Konfrontationen. Es sind in letzter Zeit drei Spitzensportler auf dem Rad im Straßenverkehr gestorben – ob selbst verschuldet oder nicht, sei dahingestellt. Als ich nach dem Tod von Michele Scarponi nun von Julia Viellehner und Nicky Hayden gehört habe, hatte ich das Bedürfnis, auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Haben Sie mit so massiven Reaktionen gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe mir die Kommentare durchgelesen und es sind viele positive, aber auch negative dabei. Teilweise ist es unglaublich, was die Leute von sich geben. Ich glaube, viele differenzieren gar nicht: Dass man für die Sonntagsausfahrt den Radweg benutzen soll, liegt doch auf der Hand. Aber wir können das im Training natürlich nicht.

Ist es in den letzten Jahren auf den Straßen aggressiver geworden?
Der Verkehr wurde generell immer mehr und die Stimmung ist auch angespannter. Die Leute sind immer im Stress oder machen sich einen Stress und dann wird es gefährlich. Vielleicht brauchen ein paar Menschen im Auto auch nur ein Ventil für ihre Aggressionen – und da ist ein Radfahrer ein perfektes.

Schuld sind aber nicht nur die Autofahrer ...
Niemand ist fehlerfrei und es gehören wie immer zwei dazu. Autofahrer und Radler wollen die Straße benutzen, aber keiner von beiden kann sie alleine für sich beanspruchen. Da muss man dann mit Toleranz arbeiten. Ich bin selbst auch Autofahrer, aber was manche aufführen, ist unfassbar. Ich käme nie auf die Idee, dass ich jemanden schneide, gefährlich überhole oder ausbremse. Das passiert aber leider jeden Tag. Es ist allerdings nicht nur das aggressive Fahren gefährlich. Leute schauen auf das Handy oder sind anderweitig abgelenkt. Sie übersehen Radfahrer und fahren sie von hinten zusammen. Darum fahren wir im Team nur noch mit Tagfahrlichtern.

Fehlt es an Toleranz?
Es gibt Aggressionen von beiden Seiten, aber da muss man auch ein bisschen die Radfahrer verstehen: Wir sind immer der „Zweite“. Niemand lässt sich gerne gefährden und so reagieren Radfahrer in gewissen Situationen vielleicht mit Gesten, die den Autofahrern unverständlich sind. Ich würde jedem einmal empfehlen, sich auf ein Rad zu setzen und zehn Kilometer auf der Straße zu fahren. Dann sieht er, worum es geht.

Was muss sich ändern?
Wir brauchen Respekt auf beiden Seiten und beide müssen aufpassen. Auch wenn man in Österreich nebeneinanderfahren darf, muss man es ja nicht immer. Auf viel befahrenen Straßen ist es nicht notwendig und fordert Aggressionen heraus. Lieber hintereinander oder gar nicht auf der Straße. So machen wir es auch. Zum Beispiel haben wir hier auf Teneriffa die Anweisung vom Team, die Abfahrten vor allem am Sonntag extrem vorsichtig zu fahren, denn da haben die Motorradfahrer das Messer zwischen den Zähnen.