Die Spannung unter allen Fans des American Football steigt. Der Höhepunkt der Saison steht mit dem Super Bowl vor der Tür und in diesem Jahr bekommen Zuseher erneut ein packendes Duell mit spannender Vorgeschichte präsentiert. Pünktlich zur Einstimmung stellen wir mit den Los Angeles Rams jenes Team vor, das die NFC im größten Einzelsportereignis der Welt repräsentiert.

Die Erfolgs-(Sehn-)Sucht der L.A.-Fans

Kurt Warner und „The Greatest Show on Turf” brachten St. Louis im Jahr 2000 den bisher einzigen Sieg im Super Bowl. Seit damals scheiterten die Rams zweimal (2002, 2019) an den New England Patriots. Das heißt aber auch, dass Los Angeles noch keinen Super-Bowl-Sieger beheimatet hat! Eine Farce für die größte Stadt des Staates Kalifornien. Nun gingen die LA Rams All-In. Nach Texas ist Kalifornien wohl am footballverrückteste Staat der USA. Dieser Misserfolg schlägt sicher aber auch in der Fan-Bereitschaft wieder. Im NFC-Championship-Spiel im Heimstadion der Rams hatten die Fans von San Francisco die Oberhand – und das, obwohl einige LA-Promis Ticketbesitzer gebeten haben, die Tickets nicht an 49ers-Fans zu verkaufen.

Für NFL-Network-Experte und Ex-NFL-Head Coach Steve Mariucci ist das auch ein Mitgrund, warum die LA Rams so unbedingt einen Super-Bowl-Sieg wollen und brauchen. In den USA wird als "Bandwagon-Fan" ein Zuseher bezeichnet, der auf diesen Wagen aufspringt, wenn ein Team plötzlich stark oder sympathisch ist – auf gut Deutsch würde man "Erfolgsfan" sagen, wobei es etwas positiver gemeint ist als das deutsche Pendant. Mariucci nennt diesen "Bandwagon" als wichtiges Tool für die Rams, mehr Fans im Großraum Los Angeles an sich zu ziehen. Mit sechs (NFL Chargers, MLB: Angels & Dodgers, NHL: Kings, NBA: Lakers & Clippers) anderen großen Sportteams in diesem Areal ist der Markt heiß umkämpft. "Ein leeres Stadion tut weh. Deshalb haben die Rams diese Mentalität: All-In, wir wollen und müssen jetzt gewinnen."

Mit so vielen glorreichen Teams sind die Fans aus Los Angeles nicht nur den Erfolg gewöhnt, sondern fordern ihn sogar ein. Als die LA Lakers im NBA-Spiel unter der Woche gegen die Milwaukee Bucks unter die Räder kamen, waren die Ränge großteils leise, es gab keine Motivationsgesänge für die Spieler. Aber als die Lakers um Lebron James im vierten Quarter ins Spiel kamen, hatten auch die Fans Lust, ihr Team anzufeuern. Merke: Wenn der Erfolg ausbleibt, ist es schwierig, die Fans für sich zu gewinnen.

Gerade in einer so unvorhersagbaren Football-Saison wie dieser haben die Rams mit einer "Win-Now-Strategie" vielleicht sogar höhere Chancen, einen Triumph zu erringen. Diese Mentalität des Managements schlug sich mitten in der Saison nieder, als sie zunächst am 1. November für Star-Passrusher Von Miller von den Broncos tradeten. Damals postete der Twitter-Account einen Jetzt-Schon-Klassiker unter NFL-Tweets:

Keine zwei Wochen später setzten sie sogar noch einen drauf, als sie Odell Beckham Jr. für sich gewinnen konnten, nachdem er von den Cleveland Browns entlassen wurde. Kurz darauf verletzte sich WR2 Robert Woods das Kreuzband und die Rams hatten Glück im Unglück, da sie mit OBJ bereits den Ersatz hatten. Beckham schlug wahrscheinlich geldreichere Angebote aus, um bei den Rams einen Titel zu holen. Sofort fällt einem der Vergleich zu Lebron James ein, der von den Cleveland Cavaliers nach LA gekommen war und in seiner zweiten Saison den Titel erringen konnte. OBJ kann das bereits im ersten Jahr.

Wie man ein Allstar-Team baut

Eine der bekanntesten Statistiken im Zusammenhang mit ihrer Strategie zum Teamaufbau lautet: Die LA Rams hatten ihren letzten First-Round Draft Pick 2016, als sie an Stelle eins QB Jared Goff wählten. Bis inklusive 2023, also sieben Jahre in Folge, haben die Rams nun keinen Erstrundenpick mehr. Nachdem sie 2018 den Pick für WR Brandin Cooks (jetzt bei den Texans) und die Picks 2020 & 2021 für CB Jalen Ramsey nach Jacksonville tradeten, erhielten die LA Rams ihr Standing. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen, ob die Rams das besser oder schlechter als alle anderen Teams machen. Seit Jahren weisen die Kritiker darauf hin, dass die Rams mit derartigen Entscheidungen und Trades ihre Zukunft auf Spiel setzen. Bisher konnten die Rams auch nicht einmal einen Super-Bowl-Sieg dagegenhalten. Vielleicht nutzen sie es aber einfach nur aus, dass sie als einziges Team einen erfahrenen Spieler höher einschätzen als das Risiko eines Erstrundenpicks – nicht jeder Spieler, der in der ersten Runde gewählt wurde, wird automatisch ein Superstar.

Nach der Super-Bowl-Niederlage 2018 holten sie sich, wie schon erwähnt, Ramsey und legten im vergangenen Winter mit dem Kracher der Offseason nach: In einem Mega-Deal schickten sie Goff und die Firstround-Picks 2022 & 2023 nach Detroit, um sich QB Matthew Stafford zu angeln. Rams-Coach Sean McVay gilt als einer der besten Offensivtrainer der Liga und konnte auch mit Goff eine der stärkeren Offensiven der Liga anführen. Was ihm allerdings fehlte, ist die "Gunslinger"-Mentalität – und da kommt genau Stafford ins Spiel. Der Quarterback gilt als einer der besten Deep-Ball-Passer in der Liga und kann Bälle am gesamten Spielfeld anbringen. Das öffnet Räume für die McVay-Offensive.

Aus Management-Sicht ist es aber dann wichtig, zwei Dinge zu beachten: Draftpicks in den „mittleren“ Runden müssen sitzen, da ein Kader schließlich aus 53 Spielern besteht und diese Plätze auch befüllen muss. Zweitens sind die Spielerverträge in den ersten vier Jahren am günstigsten und müssen zusammen mit den Verträgen der Allstars ja Platz im Salary Cap finden. Die Rams brauchen so auch die besten Finanzangestellten der Liga, denn die haben alle Hände voll zu tun, die Verträge der Spieler so umzustrukturieren, dass jedes Jahr das Teamgehalt unter dem von der Liga vorgegebenen Limit liegt. Man arbeitet damit, wöchentliche Gehälter als Vertragsunterschriftsprämien umzuschreiben. Dadurch steigen die fixen Ausgaben eines Teams, was im Fall eines Leistungsverlusts Schaden anrichtet, aber der Wert, der gegen das Salary Cap zählt, sinkt. Eine andere Variante ist, Verträgen eine längere Zahllaufzeit als Spiellaufzeit zu geben („Void Years“). In beiden Fällen verschieben die Teams damit die Probleme in die Zukunft.

Zurück zur Theorie der Treffer in den Mittel-Runden des Drafts: Mit Spielern wie RB Cam Akers, WR Cooper Kupp (Runde 3, 2017) oder CB Jordan Fuller als Aushängeschilder sind sich viele Experten einig, dass die Rams eine gute Historie in späteren Runden darlegen und es sich deshalb leisten können, die Erstrundenpicks aufzugeben. Das sind die Draftpicks der Rams über die vergangenen drei Jahren, die derzeit als Starter gelten:

  • 2021: LB Ernest Jones (R3)
  • 2020: RB Cam Akers (R2), WR Van Jefferson (R2), CB Jordan Fuller (R6)
  • 2019: S Taylor Rapp (R2), Darrell Henderson Jr. (R3), Greg Gaines (R4), Nick Scott (R7)

Man sieht, dass eigentlich nur acht der Picks derzeit Starter sind, nur einer davon ist ein Rookie. Zum Vergleich: Die Bengals haben ebenfalls acht Starter über die vergangenen drei Jahren gewählt, sieben in den vergangenen beiden. Man kann also keineswegs davon sprechen, dass die Rams besonders gut in den Mittelrunden des Drafts sind.

Das heißt dann wohl eher, dass die Rams einfach im Finanzsektor und im Verhandlungssektor sehr gut aufgestellt sind und ihre Erstrundenpicks einfach lieber für NFL-Stars verwenden als auf College-Stars.

Vielleicht wollen die Spieler aber auch nur unter einem Coach spielen, der ein fotografisches Footballgedächtnis hat:

Drei Spieler-Storylines

Cam Akers

Zwei Fragen: Was braucht man, um seinen Fuß zu bewegen? Die Achillessehne. Und wie bewegt sich ein Running Back fort? Er läuft. Die Achillessehne ist Belastungen von 60 bis 100 N/mm² gewachsen, das entspricht bei 80 mm² Fläche einer Tragfähigkeit von bis zu 800 kg oder teilweise bis zum Zehnfachen des Körpergewichts. Man kann sich also denken, wie schwerwiegend eine solche Verletzung für einen RB ist. Ist Akers im Sommer noch als RB1 der Rams und Geheimfavorit auf den Rushing-Yards-Titel gehandelt worden, da er in der vergangenen Saison als Rookie sein Potenzial bereits hat aufblitzen lassen, musste er den Großteil dieser Saison zusehen. Leistungssportlern wird empfohlen, mindestens sechs Monate nach der Operation zu warten, bis sie die Sehne wieder voll belasten dürfen. Akers ist nach knapp weniger als einem halben Jahr bereits wieder in einem NFL-Spiel am Platz gestanden und trägt nun die Rams Rushing-Offensive, seit sein Ersatz Darrell Henderson angeschlagen ist.

Cooper Kupp

Der Spieler, der wohl am meisten von der Ankunft von Stafford profitiert hat, ist Receiver Cooper Kupp. Bereits in den Jahren zuvor machte der 28-Jährige mit seiner Spritzigkeit und lateralen Schnelligkeit auf sich aufmerksam und galt als einer der besten Slot Receiver der NFL. Auch mit dem Ball in der Hand machte Kupp oft mehr Yards, als man zum Fangzeitpunkt erwarten würde. Heuer ging der Stern von Kupp dann komplett auf. In der Nacht auf Freitag wurde der Receiver dann mit dem Award für den besten Offensivspieler der NFL ausgezeichnet und setzte sich gegen Colts RB Jonathan Taylor, QB Tom Brady und Packers NFL-MVP Aaron Rodgers durch. 

Im Verlauf dieser Saison wurde dann die breite Öffentlichkeit auf die Spielintelligenz des Receivers aufmerksam. Auch Hall-of-Fame-Receiver Michael Irvin zeigt sich in der Woche vor dem Super Bowl beeindruckt: "Er spielt Wide Receiver, als wäre er ein Quarterback. Sein Timing ist einfach wahnsinnig gut, weiß exakt, wann Stafford ihn wann wo haben will. Ich selbst hatte nie die Fähigkeit dazu."

In dieser Saison kratze er mit 1947 Yards an der Rekordmarke von Calvin "Megatron" Johnson in Receiving Yards (1964 Yds.). Natürlich gewann er aber die Krone für Receiving Yards in diesem Jahr. Darüber hinaus führte er die Liga aber auch in Passfänge und in Receiving-Touchdowns an und ist damit gibt es seit langem wieder mal einen Triple-Crown-Sieger – ein Receiver, der sich die Krone in allen drei großen Kategorien holte.

Andrew Whitworth

Der älteste aktive Spieler der NFL heißt nicht mehr Tom Brady, sondern Andrew Whitworth. Der vor Kurzem 40 Jahre alt gewordene Offensive Tackle der LA Rams spielt seine 16. Saison in der NFL. Im Jahr 2006 wurde er von den Cincinnati Bengals in der zweiten Runde gedraftet und hütete die darauffolgenden elf Jahre die linke Seite der Offensive Line. Dann wurde er Free Agent und ging 2017 nach LA zu den Rams. Dort freundete er sich mit einem dortigen Assistent-Coach in seinem Alter gut an: Zac Taylor, seines Zeichens Head Coach der Bengals.

Der Super Bowl ist sein fünftes Aufeinandertreffen dieser beiden Mannschaften, in den bisherigen vier ging er immer als Sieger hervor: dreimal als Bengal und 2019 mit den Rams. Als er sich auf das NFC-Championship-Spiel vorbereitete, spielte sein Ex-Team gerade um den Einzug in den Super Bowl. Obwohl er natürlich als Veteran sich vorwiegend um sich und sein Team kümmerte, konnte er nur schwer widerstehen, einen Blick auf einen Fernseher zu werfen, wenn immer sich die Möglichkeit bot. Auch wenn er seine Freude professionellermaßen nicht offenkundig zur Schau stellte, freute er sich für die Bengals, als sie ins Endspiel einzogen. Aber noch mehr freute er sich offensichtlich, als auch er mit seinen Rams die 49ers schlagen konnte und nun im Super Bowl steht.

In der Nacht auf Freitag wurde der sympathische 2,01-m-Riese dann auch noch zum Walter-Payton-Man-of-the-Year ausgezeichnet. Ein Preis, der an den Spieler geht, welcher sich während der Saison am meisten/besten für einen guten Zweck eingesetzt hat.

Ein Teil seines Herzens wird immer in Cincinnati bleiben. Als Whitworth zu einer möglichen Pensionierung nach dem Super Bowl gefragt wurde, antworte er fast freudig.