Herr Freund, wie würden Sie die doch sehr abwechslungsreiche Saison mit dem gewaltigen Einschnitt durch die Corona-Krise und dem siebenten Meistertitel für Ihr Team aus Sicht von Red Bull Salzburg charakterisieren?

CHRISTOPH FREUND: Es war eine sehr herausfordernde, aber wieder extrem überzeugende und starke Saison von uns. Wir hatten einen tollen Start in der Liga mit außerordentlich vielen Toren, eine Super-Champions-League-Saison mit wunderbaren Erlebnissen wie etwa in Anfield beim FC Liverpool. Nach der Winterpause gab es eine kurze Schwächephase mit dem Aus in der Europa League nach einem schlechten Spiel in Frankfurt und drei nicht gewonnene Bundesliga-Spiele, als uns schon eine große Krise angedichtet wurde.

Und dann kam die Corona-Pause?

Ja, und die haben wir richtig gut genützt. Die Mannschaft hat ausgezeichnet gearbeitet und im Meister-Play-off haben wir eine überragende Performance abgeliefert und sind wieder überlegen Meister geworden, mit der höchsten Torquote der Bundesliga-Geschichte. Und das, obwohl wir einen brutalen Umbruch hatten, extrem viele Stammspieler und fast das gesamte Trainerteam verloren haben. Dann haben wir mit Haaland einen neuen Superstar geboren, ihn wie auch Minamino im Winter abgegeben. Und jetzt haben wir wieder eine Mannschaft auf das Feld gebracht, die extrem gut performt hat und in der viele junge Spieler den nächsten Schritt vollzogen haben. Alles in allem war es wieder eine überragende Saison.

Nun war sie aber doch beeinträchtigt durch die Pandemie. Im Nachhinein betrachtet ist Corona Salzburg ja eigentlich entgegengekommen, zumal das Team nach der Pause wieder groß aufgespielt, die Situation am besten bewältigt hat. Wie sehen Sie diesen Umstand?

Wir haben aus dieser sehr schwierigen Phase sportlich das Beste herausgeholt. Und es war nicht einfach, vor allem mit den vielen jungen Spielern. Die kommen aus der ganzen Welt, waren alleine hier und haben nicht gewusst, wie es weitergeht. Wir haben nicht gewusst, wann wir wieder starten. Es war sehr herausfordernd, aber wir haben es gut hinbekommen und das macht mich sehr stolz.

Würden Sie sagen, dass sich der Qualitätsunterschied durch das Fehlen von Zuschauern stärker ausgewirkt hat und Salzburg zugutegekommen ist?

Das kann ich so nicht bestätigen. Es war sicher ein gewisser Vorteil für uns, dass wir jetzt so viele Spiele in sehr kurzen Abständen hatten, weil wir das von unseren internationalen Auftritten her gewohnt sind und einen  dichten Kader mit hoher Qualität haben. Wir konnten so ohne viel Qualitätsverlust rotieren. Das war der größere Vorteil. Was das Fehlen der Zuschauer betrifft, ist es, denke ich, für alle gleich. Wir hatten in den letzten Jahren ausgesprochen gute Heimbilanzen, dafür war auch die sehr gute Stimmung bei uns in der Red Bull Arena  mitverantwortlich. Das ist also eher Spekulation. Unser Zuschauerschnitt lag vor der Corona-Pause bei 11.000, da haben wir schon einen richtigen Heimvorteil gehabt.

Glauben Sie, dass ein 7:2 in Wien gegen Rapid in einem vollen Stadion ebenfalls möglich gewesen wäre?

Das glaube ich schon. In diesem Match hat uns alles reingespielt. Rapid hat sehr viel Verletzungspech gehabt. Sie waren müde, wir waren frischer. Wir haben fünf Tore aus Standardsituationen gemacht, das wäre auch mit Zuschauern passiert. Ich glaube, das Spiel wäre nicht anders verlaufen.

Es gab ja im vergangenen Jahr nicht nur in der Mannschaft einen gewaltigen Umbruch, es ist auch ein neuer Trainer gekommen. War es zu erahnen, dass Jesse Marsch derart einschlagen würde, noch dazu, wenn es einen Vorgänger namens Marco Rose gab?

Wir haben Jesse schon länger gekannt. Er war ja Trainer bei Red Bull New York, da hatten wir schon Kontakt und die Chemie hat gleich gepasst. Und auch die Art und Weise, wie er Fußball spielen lässt, stimmt mit unseren Vorstellungen überein. Der Kontakt ist nie abgerissen. Wir haben uns also gut gekannt, aber eine Garantie hat man nie. Die Latte ist extrem hoch gelegen, da die Mannschaft im Jahr davor sehr erfolgreich gespielt hat. Zudem ist Marco Rose ein richtig guter Trainer und ein toller Mensch.

Das hat er ja jetzt in Mönchengladbach auch gezeigt?

Er ist einfach ein super Trainer. Das Gesamtpaket Marco Rose ist eines der interessantesten in ganz Europa für mich. Er wird zu einem großen Trainer aufsteigen. Und wenn man so einem Mann nachfolgt, ist es natürlich nicht einfach. Im Nachhinein war es sogar ein Vorteil, dass wir einen Umbruch vollzogen haben. Es gab wieder die Chance, neue Energie hineinzubringen, mit neuen Spielern. Und das ist Jesse gleich sehr gut gelungen, da haben wir ein neues Kapitel aufgeschlagen und noch eines draufgelegt in der Champions League.

Was zeichnet nun Jesse Marsch besonders aus?

Er ist ein sehr positiver Typ, der extrem viel Energie ausstrahlt, der auf die Jungs zugeht, sehr offen ist, viel mit den Spielern und den Vereinsverantwortlichen spricht. Er ist ein großartiger Kommunikator, mit dem man super zusammenarbeiten und diskutieren kann und er ist äußerst  fleißig und er liebt es, hier bei uns in Salzburg zu arbeiten.

Wie wurde in Salzburg die Konkurrenz in Österreich wahrgenommen? Der LASK hat den Serienmeister ja doch stark gefordert und wurde dann durch Corona bzw. das verbotene Mannschaftstraining zurückgeworfen. Wie beurteilen Sie diese Situation, sportlich wie aus disziplinärer Sicht?

Ich glaube, dass der LASK eine sehr gute Saison gespielt hat. Bis zur Corona-Pause war das sensationell, das hat es in den vergangenen Jahren nicht gegeben. Sie waren konstant, haben im Grunddurchgang alle Auswärtsspiele gewonnen und haben auch in Europa mit sehr gutem Fußball Aufsehen erregt. Aber dann war die Corona-Pause und wir wissen, wie das ausgegangen ist. Es muss jeder für sich selbst entscheiden, wie er mit so einer Situation umgeht. Der LASK hat dann in einigen Spielen auch noch Pech gehabt in der Meisterrunde. Aber wir haben es durchgezogen und im Endeffekt sind wir wieder die beste Mannschaft in Österreich.

Wenn wir nun in die Zukunft blicken, so steht ja möglicherweise wieder ein Umbruch ins Haus. Hee-chan Hwang ist bereits weg. Wie sieht es hier aus Salzburger Sicht aus?

Wir werden sehen, was die Transferphase noch bringt. Es ist schon eine sehr außergewöhnliche Zeit, die Transferperiode wird vermutlich etwas anders verlaufen. Eines ist klar: Der Umbruch wird nicht so stark ausfallen wie im vergangenen Sommer. Wir werden wieder eine richtig gute Mannschaft für die kommende Saison ins Rennen schicken. Ich erinnere nur an das Wehklagen nach dem Abgang von Munas Dabbur. Wie können wir das machen? Wer soll in der Champions League jetzt die Tore schießen? Und dann ist Erling Haaland gekommen, der neue Superstar in Europa. Einige werden sich sicher wieder toll entwickeln. Aber wichtig ist, dass das Kollektiv stark bleibt, dass die Mischung passt. Ich bin überzeugt, dass wir den einen oder anderen Abgang auch wieder kompensieren werden.

Als großes Ziel hat Salzburg wie immer die Champions League vor Augen. Heuer muss man wieder eine Qualifikation bestreiten. Wie blicken Sie dieser Aufgabe entgegen?

Wir stehen schon im Champions-League-Play-off, das heißt, wir sind im Herbst auf jeden Fall international dabei. Natürlich wollen wir in die Gruppenphase kommen, wir haben ja gesehen, wie schön es dort ist, welche tollen Erlebnisse wir da gehabt haben. Schauen wir einmal, wen wir im Play-off als Gegner bekommen. Wir werden jedenfalls sehr gut vorbereitet sein.

Wie sieht es in Salzburg mit jungen Österreichern aus? Kommen welche nach?

Ich war immer daran interessiert, junge Österreicher zu integrieren und zu forcieren. Aber es ist eine Leistungsgesellschaft, wir haben einen extrem hohen Level, internationalen Standard, erreicht. Die Besten setzen sich durch. Ob jetzt ein Spieler aus einem anderen Land, einem anderen Kontinent oder aus Salzburg kommt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Natürlich ist es schön, wenn wir Österreicher oder sogar Salzburger Jungs herausbringen, wie einen Stefan Lainer, Konrad Laimer, einen Xaver Schlager, einen Stefan Ilsanker und viele mehr. Mit Niki Seiwald wird wieder ein junger heimischer Spieler fix im nächsten Kader sein. Junge bekommen die Chance, wenn sie gut sind und richtig Gas geben.

Salzburg hat ja die Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren stark beliefert?

Ja, das ist sehr schön für uns. Und diese Tradition wollen wir auch nicht abreißen lassen.