Ein Sommer wie damals erwartet die österreichischen TV-Zuschauer während der Fußball-Europameisterschaft. Im Gegensatz zu den europäischen Vereinsbewerben ist die Euro dank langfristiger Verträge hierzulande noch eine Sache des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: ORF zeigt fast alle Spiele, ausgenommen sind sechs an Wolfgang Fellners Nachrichtensender oe24.tv sublizenzierte Parallelpartien, die Finalspiele der Gruppenphase. In Deutschland teilen sich ARD, ZDF und MagentaTV die Übertragungsrechte auf. In Österreich ist es für den ORF vorerst das letzte EM-Solo: Die Rechte an der Europameisterschaft 2024 in Deutschland hat sich bekanntlich Konkurrent ServusTV gesichert.

Knapp 200 Stunden Live-Fußball erwartet die TV-Zuschauer, der EM-Tag beginnt in der Gruppenphase am frühen Nachmittag und endet kurz nach 22 Uhr. Die drei Spiele der ÖFB-Nationalmannschaft in der Gruppenphase teilen sich Boris Kastner-Jirka, Oliver Polzer und Thomas König auf. Neu im ORF-Kommentatoren-Team ist neben Daniel Warmuth die Grazerin Anna Lallitsch. "Endlich wird einmal eine Frau ein Topspiel in ORF 1 moderieren", stellt Sportchef Hans-Peter Trost die Steirerin vor. Die 28-Jährige, die mehrere Jahre bei Antenne Steiermark moderierte, ist die erste Kommentatorin eines EM-Spiels und spricht von einem Traum, "von dem ich gar nicht gewusst habe, dass ich ihn habe." Der Sportchef fügt an, dass es am Küniglberg weiter Aufholbedarf im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit gibt. Derzeit liege der Frauenanteil in der Sportredaktion bei rund 40 Prozent, erklärt Trost. Der ORF war im Bereich Fußball-Kommentatorinnen ein Nachzügler: ARD, ZDF oder Sky setzen schon länger auf Frauen hinter den Mikros.

Was die meisten Fußballfans vor den Bildschirmen nicht merken werden: Abgesehen von den Österreich-Begegnungen werden alle Gruppenspiele vom Küniglberg aus kommentiert. Wenn also Anna Lallitsch am Samstag die Begegnung Dänemark gegen Finnland bespricht, wird sie das nicht im Telia Parken in Kopenhagen, sondern in Wien am Küniglberg tun. Die Gründe für das Kommentieren auf Distanz seien nicht von finanzieller Natur, betont Trost: "Natürlich wollen und werden wir, sobald es die Gesundheitliche Lage wieder, in den Normalbetrieb zurückkehren", verspricht der Sportchef. Wie viel sich der ORF an Reise-, Personal- und technischen Kosten erspart, möchte Trost nicht beziffern. Die Bilder aus den Stadien kämen seit vielen Jahren aus der UEFA-Regie, "da sind einem in gewissem Maß ohnehin die Hände gebunden, egal wo der Kommentator, die Kommentatorin sitzt", erklärt Trost und spricht von einer "durchaus diskussionswürdigen" Entwicklung.

Kritik von Marcel Reif

Nicht bei allen kommt diese Art der Fernberichterstattung gut an. "Für meinen Kommentar brauche ich den Blick auf das große Ganze. Ich muss die Atmosphäre vor Ort spüren", erklärt Kommentator-Altmeister Marcel Reif zur TV-Spielbegleitung vor dem Bildschirm. "Für mich war es immer alternativlos, Fußballspiele live vor Ort zu kommentieren. Entweder so, oder gar nicht", führte der Schweizer gegenüber dem Medienportal "dwdl" aus.

Ob das Finale am 11. Juli für den ORF das letzte EM-Spiel in diesem Jahrzehnt sein wird? "Sport ist sehr wichtig für uns. Wir sind sehr froh, dass wir die ganz großen Sporthighlights haben", erklärt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz dazu bei der Präsentation des EM-Fahrplans. Ob für 2024 und 2028 eine Sublizenzierung der Übertragungsrechte von ServusTV angestrebt wird? Trost sagt dazu nur: "Wir werden sehen, was die Zeit bringt." Wrabetz, der sich im Sommer der Wiederwahl als ORF-Generaldirektor stellt und gerne eine vierte Amtszeit inklusive Spielen der EM 2024 anhängen würde, ergänzt: "Alles ist möglich."