Zum 40. Geburtstag sagten Sie: Alle sagen, dass das Gute vorbei ist und ab sofort alles schlecht wird. Was sagen Sie zum 50er? Halbzeit?
HERMANN MAIER: 100 werden wird schwierig, aber Halbzeit ist gar nicht so schlecht. Früher, da hätte ich gesagt: 50, das ist ja wahnsinnig alt. Aber man verändert sich, sieht das Alter nicht mehr so. Was aber jedenfalls gilt: So eine Besonderheit ist der Fünfziger nicht.

Von "Midlife-Crisis" keine Spur?
Einstweilen noch nicht. Obwohl: Bei mir wird grundsätzlich alles langsamer und gemächlicher, ich brauche keine schnellen Autos oder so – der Genuss steht im Vordergrund. Den Drang, etwas herzuzeigen, den hab' ich nicht.

Wie genießen Sie? Auf Ski?
Das kann gut sein, ich versuche, das ganze Spektrum abzudecken. Alpinski, Tourenski oder auch Langlaufen, bei uns ist es ja immer weiß. Nur Steigungen mag ich nicht, aber bei uns ist es eh eben.

In Zeiten wie diesen: Sorgt sich Hermann Maier um den Skisport?
In dem Sinn, ob er weiterlebt? Nein. Es geht eher darum, wie er beurteilt wird. Mit Skisport schürt man offenbar schnell Neid. Dabei ist es so ein wunderschöner Natursport. Dass sich die Gletscher verändern, ist ja nicht zu übersehen. Aber ich gehe davon aus, dass man mit Kunstschnee noch einige Zeit arbeiten kann.

"Ski-Scham" im Sinne von "Flug-Scham" ist also nichts für Sie?
Warum sollte man sich fürs Skifahren schämen? Also man kann ja immer auf alles schimpfen, wenn man es selbst nicht machen will. Ich will es aber, darum habe ich mehr Begeisterung und mache mir deswegen auch meine Gedanken über die Zukunft des Sports und des Klimas.

Machen Sie sich Sorgen ob der Zukunft ihrer Kinder?
Klar ist: Es wird alles anders aussehen als in meiner Jugend. Es ist alles so schnelllebig geworden. Da muss man irgendwann einen Schritt zurück machen, weil das Tempo können nicht alle mitgehen. Glücklich die, die ihr Tempo selbst gestalten und filtern können. Das ist schwer genug in einem Einheitsbrei, in dem alles wichtig erscheint.

Was ist Ihnen wichtig?
Die normalsten Sachen der Welt: Rausgehen, durchschnaufen in der Natur. Sich die Zeit nehmen, auszuspannen und aufzunehmen. Das sind die wahren Glücksmomente. Aber man kann auch nicht immer so durchs Leben schweben …

Wie schaut denn ein Tag im Leben des Hermann Maier derzeit aus?
Ich bin selbstständig und kann mir die Zeit selbst einteilen. Es geht aber dahin, irgendwas gibt es immer. Ich habe zumindest den Luxus – weil die Wetterberichte mittlerweile recht gut sind – dass ich mir schlechte Tage vollstopfen kann, damit ich an guten Tagen Zeit habe. Es gibt Tage, auch ganze Tage vor dem Laptop, das Administrative bleibt nicht aus.

Welche Werte gibt Hermann Maier seinen Kindern mit auf den Weg?
Das Normale, wie ich es auch vermittelt bekommen habe. Wichtig ist, Kind zu sein, raus in die Natur zu wollen, zu spielen. Dinge, die schon zu kurz kommen. Wo und wann sieht man heute noch Kinder, die draußen herumkugeln oder Drachen steigen lassen? Früher hing ja ein Drachen an jedem Baum.

Andi Goldberger hat erzählt, dass wir uns um den Skinachwuchs keine Sorgen machen müssen, weil "der Hermann seine Kinder gut trainiert …" Stimmt das?
Da kann ich wenig dazu sagen. Wenn ein Kind Begeisterung aufbaut, dann sollte es das machen, wofür es brennt. Bei den ersten Schritten auf Ski, da war ich logischerweise dabei. Wenn die Kinder Skirennen fahren wollen, würde ich sie unterstützen – so wie in fast allen Dingen, für die sie sich begeistern.

Wissen Ihre Kinder – drei Töchter – eigentlich, wer ihr Papa ist oder besser, was und wer er war?
Es ist nicht so, dass ich Ihnen Videos zeige. Aber je älter sie werden, desto mehr bekommen sie natürlich mit, dass der Papa da einmal was gemacht hat …

Wie blicken Sie denn heute auf Ihre Karriere zurück – die einem Hollywood-Drehbuch alle Ehre machen würde?
Es war schon schwierig, hineinzukommen, wenn ich daran denke, was ich für Prügel vor die Füße bekommen habe. Aber dann kam der Erfolg – und es ging von der Baustelle quasi direkt zu Jay Leno in die US-Talk-Show, vor ein Millionenpublikum. Obwohl: Da sagst du auch nichts anderes als sonst. Es waren eigenartige Dinge, gegenüber dem, was davor abgelaufen ist. Aber der Mensch, der war ja letztlich kein anderer.

Wo haben Sie sich wohler gefühlt? Auf der Baustelle oder bei Jay Leno?
Zu der Zeit war mir das ziemlich wurscht. Ich habe mich auf der Baustelle auch wohlgefühlt. Ich habe einfach alles durchgezogen, ohne viel zu überlegen.

War das wie in einer Bobbahn? Oder hatte man Zeit zu reflektieren?
Man bekommt alles mit. Aber es ist auch toll, wenn man danach eine Dokumentation sieht. In der Zeit vor dem Unfall – das war ein anderer Mensch, weil man so dahingeschwebt ist, weil alles funktioniert hat. Mit viel Arbeit, aber trotzdem war alles einfacher. Man sieht den hoch motivierten, austrainierten Athleten. Und dann die Zeit nach dem Unfall, die doch vertrauter ist.

Nach Nagano galten Sie als unbesiegbar, als – zumindest sportlich – unsterblich. Und dann waren Sie doch verwundbar. Wie war es, das zu erleben?
Ich war damals am absoluten Höhepunkt, als der Unfall passiert ist. Im Krankenhaus hatte ich noch den Abdruck der Skibrille vom Training in Chile. Ich fühlte mich fit, war in Wahrheit aber total erledigt. Die Muskeln sind zerfallen, wenn man in den Oberschenkel reingedrückt hat, blieb ein Loch wie in Styropor. Und dann versagen die Organe. Der Geist bekommt das noch nicht mit, weil viel Morphium im Spiel ist. Du beginnst, nachzudenken ... und suchst als Sportler nach Möglichkeiten, da wieder rauszukommen.

Hatten Sie auf der Piste jemals Angst?
Nein, das war das vertrauteste Terrain. Aber wenn man beim Besichtigen an Passagen war, wo etwas passiert ist, so wie in Garmisch an der Stelle, wo Uli Maier starb, da beschäftigt dich das schon. Ich habe dort zwar mein erstes Rennen gewonnen, aber wegblenden konnte ich das nicht.

Man sagt, sogar beim Sturz in Nagano dachte Hermann Maier in der Luft: Das geht sich aus ...
Das ist auch so. Man trainiert das Risiko ja, ich war selten Passagier. Damals kam die Erkenntnis erst beim Aufschlag.

Bei all dem Erlebten ist es erstaunlich, dass Sie die Bodenhaftung trotz allen Schwebens nie verloren haben. Hat Sie der Unfall letztlich auch davor bewahrt?
Die Bodenhaftung verliert man nie. Wenn man in so einem Flow ist, dann nützt man das aus und man gibt sich vielleicht ein wenig anders, weil alles zu funktionieren scheint. Aber am Boden bin ich immer geblieben, abgekapselt habe ich mich nie, mich nie versteckt. Ich bin damals ins Gasthaus gegangen, wenn ich daheim war und tue das heute auch noch.

Können Sie heute in Ruhe essen gehen?
Na ja, es ist wie hier gerade, es werden halt Fotos gemacht. Das ist Teil des Ganzen.

Apropos Verstecken: Wie froh sind Sie, dass es zu ihren Zeiten noch keine "Social Media" gab?
Wir hatten damals, Ende der 90er-Jahre schon meine Homepage. Da hat auch schon jeder reinschreiben können, was er wollte, unzensiert. Das war ja sozusagen eine Vorstufe.

Ich meinte die Bilder – Sie haben das einmal am Ausseer Kirtag erlebt, was folgen kann.
Wo wir damals hingegangen sind, waren selten andere. Darauf haben wir schon geschaut. Das hat mich auch in Kitzbühel nie interessiert. Glamour habe ich nie gebraucht. So bin ich all diesen Dingen generell aus dem Weg gegangen. Wir wollten in Ruhe feiern, aber wir haben gefeiert. Das hat sich geändert, keine Frage.

Sie sagten einmal: "Ich kannte keinen Tag und keine Nacht" – ginge sich das im heutigen Sport auch noch aus?
Ich glaube schon. Du musst dann halt auch Leistung bringen. Das war bei uns aber auch so, ich habe auch Leistung bringen müssen. Aber wenn man will, kann man nach wie vor abends unterwegs sein.

Sie haben sich aber komplett zurückgezogen aus der Öffentlichkeit?
Nein, ich habe nur andere Bereiche, in denen ich tätig bin. Was stimmt: An der Front, als TV-Experte, da bin ich nicht, das reizt mich auch nicht. Ab und zu gebe ich meinen Senf eh dazu. Das reicht.

Was sagen Sie dazu, was Johan Eliasch, ihr Ex-Arbeitgeber bei Head, als FIS-Präsident macht?
Ich finde es gut, ein Brainstorming zu machen, Dinge anzusprechen, auch wenn sie vielleicht nicht gehen. Man soll bei den groben Dingen ansetzen und dann in die Feinarbeit gehen. So macht er das ja. Aber wenn er wirklich die Verbände infrage stellt, dann ist mir klar, dass es Aufstände gibt. Da fielen ja viele um ihren Arbeitslohn um. Wenn man da hineinsticht, wird es schwierig.

Apropos Verband: Hermann Maier an der Spitze des ÖSV – unvorstellbar?
Das soll jemand machen, den es interessiert. Verbandsarbeit, das war nie meine Leidenschaft.

Zurück zum 50er: An sich wollten wir ein T-Shirt mitnehmen mit: "50 – I am Legend!" …
Ich bin eher letschert …

Wie verbringen Sie den 50er? Vor dem TV?
Nein, ich schaue mir generell meine Sachen nicht an und versuche, es so gut wie möglich zu vermeiden, dass jemand aus meinem Umfeld das tut. Da nehme ich viel in Kauf, wollte früher sogar alle Zeitungen kaufen, damit es keiner lesen konnte. Das ist in Zeiten des Internets halt schwierig geworden. Obwohl: Wenn man mit etwas Abstand hört, wie andere all das erlebt haben, ist es dann doch wieder recht interessant.

Sie machen also heute eine große Feier, damit niemand den Fernseher einschaltet?
Das könnte sein, ja. Aber ich bin nicht gut vorbereitet, um ehrlich zu sein. Mir gefallen ja andere Zahlen: Beim Fünfziger, da ist Flucht gar nicht so schlecht. Beim 51er, der ist ja annähernd nichts wert, da wäre Feiern dann gut.