Mitte der Achtziger war ich Polizeireporter bei den San Jose Mercury News in Kalifornien, der damals größten Zeitung der Bay Area. Das heißt, ich war kein richtiger Polizeireporter, ich durfte nur den Polizeireporter der San Jose Mercury News bei seinen nächtlichen Einsätzen am Nebensitz begleiten. Ich war Praktikant, der Job war einer der Preise eines Wettbewerbs der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft für Jungjournalisten; ob ich selbst was schreiben durfte, ist nicht überliefert, und im Archiv kann ich nicht mehr nachschauen, weil es die Zeitung nicht mehr gibt. Der Zeitungstod begann an der Westküste und fraß sich ins Innere, dort ist medial nur noch Steppe und lokaldemokratisches Ödland. Den Praktikanten traf keine Schuld, die Zeitungen schon, sie waren nur auf den Aufschlagseiten einladend schön; wer hineinblätterte, riskierte eine Bleivergiftung.

In der freien Zeit fuhr ich mit dem Mietwagen den Highway One hinauf in das malerische Städtchen Carmel, dort war Clint Eastwood gerade Bürgermeister. Straßenschilder und Telefonzellen waren verboten im Ort, dafür erlaubte der Westernheld erstmals den Verkauf von Speiseeis auf öffentlichem Grund. Ich saß stundenlang in seiner Kneipe in der Hoffnung, er würde mit seiner Toscano Antico im Mundwinkel irgendwann auftauchen, schnurstracks auf mich zusteuern und mir ein zehnseitiges, weltexklusives Interview geben. Aber er kam nicht. Stattdessen versumperte ich mit irgendwelchen Locals an der Bar und musste sie von Mal zu Mal freundlich in ihrem unerschütterlichen Glauben korrigieren, Österreich gehöre zum Ostblock und sei ein kommunistischer Satellit. Alle glaubten das, egal, ob sie gerade von der Uni kamen oder von der Baustelle. Sie meinten, ich möge es nicht persönlich nehmen, Amerika sei nicht sehr gut in Geografie und Geschichte.

Die Episode fiel mir ein, als ich gestern den surrealen Auftritt Donald Trumps im Rosengarten im Stream nachschaute und sah, wie ihm die Applauspuppen auf den Stühlen bei seinem Zoll-Irrsinn zujohlten. Hatten die denn nicht einmal die eigene Geschichte als Menetekel im Gedächtnis? 1930, ein Apriltag wie heute. Henry Ford fluchte, warnte vor der „ökonomischen Dummheit“, eine Petition jagte die andere, aber alle Fanfaren der ökonomischen Vernunft und der Wissenschaft verhallten.

Die beiden Republikaner Smoot und Hawley hatten inmitten einer Wirtschaftskrise abgründig hohe Zölle gegen die Außenwelt auf den Weg gebracht; das Gesetz, von US-Präsident Hoover wenige Monate später gegen alle Warnungen unterzeichnet, ging in die Geschichte ein als „Smoot Hawley Act“, es war ein anderes Wort für wirtschaftlicher Sado-Masochismus. Über 30 Länder legten Protest ein. Sie nahmen Anleihe im Alten Testament und ließen ebenfalls die Zollschranken herunter, Protektionismus und Revanchismus setzten als Zwillinge eine Spirale in Gang, die den Welthandel zertrümmerte, die große Depression auslöste und in Europa den schlimmsten aller Kriege befeuerte.

Geschichte lehrt dauernd, meinte Ingeborg Bachmann, aber sie finde keine Schüler. Schon gar nicht im Rosengarten im Weißen Haus.

Würd´trotzdem gerne im Mietauto wieder einmal nach Carmel fahren, muss ja kein Tesla sein. Im Mai wird Clint Eastwood, geboren im Jahr des Zoll-Schocks, 95. Vielleicht krieg ich jetzt das Interview.