Erst kürzlich hat sie angekündigt, dass Schluss sei mit dem Schreiben. Nach 150 Büchern konnte und wollte die gesundheitlich schwer angeschlagene Nöstlinger nicht mehr. Sie meinte damals lakonisch, dass sie die Jugend nicht mehr so ganz verstehe. Auch wenn sie dabei resigniert klang, der Witz blieb bei ihr zumindest zwischen den Zeilen spürbar. Der Witz war einer ihrer großen Verbündeten, wenn es darum ging, Kindern Geschichten zu erzählen. Ab 1970 kombinierte Christine Nöstlinger Humor und Herzenswärme in einer Kinderliteratur, die in Österreich allein auf weiter Flur zu stehen schien.

Wer damals jung war und zum ersten Mal ein Nöstlinger-Buch aufklappte, musste einfach beeindruckt sein. Jedes Kind merkte, dass ihre Bücher irgendwie anders waren. Vielleicht weil die Schriftstellerin auf einen plumpen pädagogischen Unterton verzichtete, den man schon als Zehnjähriger zumindest dem Gefühl nach durchschaut. Ihre Geschichten waren einfach und blieben trotz bizarr-komischer Einfälle (man konnte Bauchschmerzen bekommen vor Lachen) immer realistisch. Ihr Erzählsound war zugänglich, aber zugleich raffiniert der Alltagssprache abgelauscht. Sie stellte sich gegen Autoritäten auf die Seite kindlichen Empfindens, ohne sich anzubiedern. Kinder spüren diese Ernsthaftigkeit, mit der man ihnen entgegentritt. Man konnte sich von ihr verstanden fühlen, ja für viele aus der Generation war die Nöstlinger vielleicht überhaupt die erste Erwachsene, die ihnen auf Augenhöhe begegnet ist. Und sie hat nicht wenige geprägt mit ihrer Literatur.

Bildung als einziges Gegengift

„Die feuerrote Friederike“ war der erste Streich der damals
34-jährigen Autorin, eines erwachsen gewordenen Kriegskindes. Sie stammte aus einer Arbeiterfamilie aus Wien-Hernals, wo sie eine Kindheit ohne „Strafen und Watschen“ genießen durfte. Wo sich ihr soziales Gewissen und ihr Abscheu gegenüber der Nazi-Barbarei entwickelte. Wo sie den Mut lernte und trainierte, sich übermächtigen Gegnern zu stellen. Im autobiografischen, verfilmten Roman „Maikäfer, flieg!“ erzählte sie von ihrer Zeit als „wildes und wütendes Kind“.

Ihre durchwegs freche, antiautoritäre Haltung, ihre Zuneigung zu Außenseitern floss nicht nur in ihre Kinderbücher ein. Im Gedichtband „Iba de gaunz oaman Leit“ näherte sie sich mit Verständnis, aber ohne gönnerhaft zu werden, den Verlierern am unteren Rand der Gesellschaft. „Ich würde schon für mich in Anspruch nehmen, menschenlieb zu sein – aber nicht speziell einer gewissen Altersgruppe zugetan“, sagte sie. Sie sagte überhaupt gern ihre Meinung, aber im Gegensatz zu vielen anderen hatte sie nicht nur eine Meinung, sondern auch eine Haltung. Mit 78 Jahren forderte sie bei der Gedenkveranstaltung anlässlich der Befreiung des KZ Mauthausens mehr Bildung als einziges Gegengift gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Und sie beklagte, dass man heute zwar viel von „Integration“ rede, doch von Fremden eigentlich „Assimilation“, reine Anpassung, verlange.

Abschied von einer "absoluten Heldin"

Die Reaktionen auf Nöstlingers Ableben sind von tiefer Betroffenheit gekennzeichnet. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erwähnte Nöstlingers unvergesslichen Sprachwitz und Humor. Kulturminister Gernot Blümel verneigte sich vor einer Person mit „Feingefühl und sozialem Engagement“. Sein Vorgänger Thomas Drozda sprach von einer „schrecklichen Nachricht“. Schriftstellerkollege Clemens Setz brachte es auf den Punkt: „Stop the Day. Die größte Schriftstellerin Österreichs und absolute Heldin ist gestorben.“ Und Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler meinte: „Wie kaum jemand hat sie in ihren Büchern gezeigt, dass ein bedachter Umgang mit Sprache zu einem bedachteren Umgang mit der Welt führen kann.“

1979 kam man in den Genuss, frühmorgens vom „Dschi Dsche-i Wischer Dschunior“ in die Schule geschickt zu werden – einer von Nöstlinger verfassten Radiokolumne für den „Ö3-Wecker“. Für den Autor dieser Zeilen gehörte das Anhören dieser bizarren Erzählungen eines mit merkwürdig verzerrter Stimme sprechenden Wesens mit drei Zahnreihen zum morgendlichen Ritual, immer gerade so, dass man den Bus knapp nicht versäumte. Es war ein Zuckerl für den Weg, das den Schulweg versüßte und die Schule ein bisschen weniger grau oder angsteinflößend scheinen ließ. „Man muss die Schule halt irgendwo überstehen“, erzählte Nöstlinger in einem Interview. Dank Nöstlingers Büchern gelang das leichter. Sie hat uns eine Welt gezeigt, die nicht geschönt ist, aber schön sein kann. Vielen Dank, Frau Nöstlinger.