Es ist 2 Uhr nachts. Eine Frau wählt den Notruf und bittet verzweifelt um Hilfe. Polizist Günther Ebenschweiger und sein Kollege machen sich auf zu einem kleinen Haus im Raum Graz. Auf ihr Klingeln reagiert zunächst niemand. Es vergehen Minuten, bis ein mürrischer Mann die Tür öffnet. „Was uns da einfällt, nachts zu anzuläuten, hat er uns gefragt“, schildert Ebenschweiger, der dem Mann erklärt, dass es offenbar einen Notfall gibt.

Nach langem Hin und Her dürfen die Polizisten das Haus betreten und treffen im Schlafzimmer auf die Gattin des Mannes – wach im Bett liegend und bis zur Nasenspitze zugedeckt. „Sie meinte, es sei alles in Ordnung. Aber als Polizist spürt man, wenn etwas nicht stimmt“, sagt Ebenschweiger, der noch vor Ort die Rettung verständigt und die Sanitäter darum bittet, nach der Frau zu schauen. Diese sind schockiert: Die Frau ist schwer verletzt. „Die Rettung hat sie mitgenommen und wir haben den Mann eingesperrt“, erinnert sich Ebenschweiger an diesen Vorfall, der sich in den 80er Jahren zugetragen hat, zurück.

41 Jahre als Polizist

In seinen 41 Jahren als Polizist –  unter anderem als Kommandant im Bezirk Jakomini – hat Ebenschweiger Undenkbares erlebt. „Ich hatte das Gefühl, ich verwalte nur Gewalt. Wir kommen hin und tun was, können aber nichts verändern.“ Denn: Wenn ein Notruf gewählt wird, dann ist das nur die Spitze des Eisbergs. Einem Polizeieinsatz gehen oft Jahre der psychischen und physischen Gewalt voraus. Deshalb hat der inzwischen 67-Jährige und pensionierte Polizist das „Österreichische Zentrum für Kriminalprävention“ gegründet. Seine Organisation bietet Programme für den Kampf gegen Gewalt, Missbrauch und Sucht an.

23 Jahre sind seit der Gründung vergangen. Die gesetzlichen Grundlagen haben sich in dieser Zeit verändert. Betretungsverbote, Wegweisungen – all das sind Hilfestellungen. Aber Ebenschweiger weiß: „Gewalt fängt schon in der Erziehung an. Das tut mir im Herzen weh. Wenn wir nicht wollen, dass Kinder emotional geschädigt werden, dann müssen wir einen anderen Ansatz leben und früher ansetzen.“ Genau deshalb besuchen sein Team und er regelmäßig Schulen. Nicht selten vertrauen sich Schülerinnern und Schüler dem Ex-Polizisten an. „Da gab es zum Beispiel ein Mädchen, das immer langärmlig angezogen und vom Turnen befreit war. Wie sich herausstellte, erlebte es zusammen mit seinen drei Geschwistern zuhause massivste Gewalt.“

Prävention hört aber nicht bei Schul-Workshops auf. Viel mehr müsse man gesamtgesellschaftlich, also mit Frauen, Männern und Kindern arbeiten, „damit Gewalt in der Partnerschaft gar nicht zu den Auswüchsen kommt, die sie jetzt hat. Also bis hin zum Mord.

Zuhören und nicht werten

Wenn sich eine Bekannte oder Freundin einem anvertraut, sei es wichtig, zuzuhören und nicht zu werten. „Wir als Menschen suchen gerne nach schnellen Lösungen, aber so kommt man hier nicht weiter.“ Stattdessen gehe es darum, das Opfer zu ermutigen und eine gemeinsame Geschwindigkeit zu finden, um so aus der Gewaltsituation herauszutreten. Ebenschweiger: „Wir können nicht nur auf das Strafrecht pochen, sondern brauchen neue, niederschwellige Zugänge.“

Um mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu richten, betreibt Ebenschweiger seit Jänner einen Podcast. Das Ziel seines Projektes „Mutmach-Montag“ ist kein geringeres, als gemeinsam die Welt zu verbessern. Erst zuletzt hat er Sonder-Episoden anlässlich des Ukraine-Krieges veröffentlicht, die aufzeigen, wie man mit Kindern am besten Gewalt oder Trauer thematisieren kann. Im April folgt ein Schwerpunkt zum Thema häusliche Gewalt.