Eine Mischung aus Einsamkeit, Trostlosigkeit und der Sorge, dass Alltag und nahe Beziehungen auseinanderbrechen, hat während der Hoch-Zeit der Corona-Pandemie vor allem Jüngere im Alter von 18 bis 30 Jahren belastet; zumindest laut Teilergebnissen Ihrer Studie zu „Liebe, Intimität und Sexualität in Zeiten von Corona“. Können Jüngere mit Einsamkeit schlechter umgehen?
BARBARA ROTHMÜLLER: Einsamkeit wird in der Forschung an sich bei älteren Menschen stark thematisiert, weil diese Altersgruppe auch tatsächlich mehr damit konfrontiert ist. Aber in der Pandemie hat sich gezeigt, dass es vor allem Menschen bis 35 waren, die sich sehr isoliert gefühlt haben und Angst hatten, dass ihre Beziehungen auseinanderbrechen. Bei den Älteren gab es eine stärkere Beziehungsstabilität.

Zum Hineinhören:

Sie haben fast 5000 Menschen in Österreich und Deutschland befragt. Was hat Sie überrascht?
Dass es vielen Menschen in Zeiten der Pandemie auch gut gegangen ist, und dass viele Beziehungen geradezu vertieft wurden. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen ihre Prioritäten neu setzen und sich fragen, was ihnen wirklich wichtig im Leben ist. Sie fragen sich auch, welche die tragfähigen, die verlässlichen Beziehungen in ihrem Leben sind. Es ist vielen Menschen in der Isolation auch schmerzlich bewusst geworden, dass manche ihrer Beziehungen dem Druck einer Pandemie nicht standhalten.

Wie bewerten Sie das neue Gefühl für Distanz? Das Abstandhalten? Was macht das mit Menschen?
Es ist erstaunlich, wie schnell Menschen verinnerlicht haben, dass Nähe auch bedrohlich ist. Man weiß aus der Forschung, dass Nähe und körperliche Berührung extrem wichtig sind; und wenn es nur um kleine Gesten geht, aber die sind für den Beziehungsaufbau elementar. Wenn direkte Kontakte eine Gefahr darstellen, ist es eine Belastung, die alle spüren, vor allem aber die Alleinstehenden. Es stellt sich dabei auch die Frage, wer einem vertrauenswürdig vorkommt. Bei wem fühlt man sich sicher, bei wem ist man übervorsichtig? Und es gibt auch die fast irrige Annahme, dass von vertrauten Menschen keine Gefahr ausgeht. Die psychosozialen Folgen einer länger andauernden und ungewollten Isolation von anderen Menschen sind auf jeden Fall enorm.

Die Liebe in Zeiten der Pandemie - wie geht das zusammen?
Für Menschen, die viel Wert auf Verbindlichkeit legen, war die Hoch-Zeit der Pandemie nicht so irritierend. Anders war das bei jenen, die unverbindliche und auch sexuell unverbindliche Beziehungen haben wollen. Diese Menschen haben sich teilweise sehr stark zurückgenommen und mussten den Wunsch nach Intimität mit ihren Ängsten und Schuldgefühlen in Einklang bringen.

Es muss auch ein Lockdown für die Dating-App Tinder gewesen sein, oder?
Ja, absolut. Ein Drittel der Befragten hat in der Pandemie mit Tinder pausiert. Erstaunlich war, dass etliche Singles, rund ein Drittel der Befragten, in Zeiten des Lockdowns auch entspannter waren, weil der Druck, jemanden finden zu müssen, weggefallen ist. Es ist vielsagend, dass Menschen durch eine Pandemie vom psychosozialen Druck entlastet werden.

In Ihrer Studie kam heraus, dass Paare mehr miteinander kommuniziert haben. Bleibt das?
Da muss man sich auch die sozialen Bedingungen ansehen: Viele Paare haben in meiner Studie angegeben, dass sie einfach mehr Zeit füreinander hatten. Das ist ein Bestreben, das auch über die Pandemie hinaus bleiben könnte. Im Alltagsstress bleibt oft einfach keine Zeit für eine gute Kommunikation. Diese Zeit für Partner, Freunde, Familie zu haben, fanden viele Menschen wirklich bereichernd und waren oft überrascht, wie gut es ihnen damit ging. Weil sich während des Lockdowns die Beziehungen oft vertieft haben. Eine gute Beziehungsarbeit muss ja auch sozial ermöglicht werden. Wenn man Vollzeit arbeitet und dann weiterhetzt, weil man die Kinder abholen muss oder der Freizeitstress wartet, bleibt oft nicht mehr viel Raum dafür.

Gibt es einen Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Einsamkeit?
Ja, ich würde dazu Alleinsein sagen. Eine gute Einsamkeit war etwa die Erleichterung bei jenen, die mehr zur Ruhe kommen konnten. Das reicht vom Dating-Druck bis zu privaten Treffen, auf die man ohnehin nicht hätte gehen wollen. Diese Menschen haben eine angenehme Form erlebt, mit sich allein sein zu können. Aber wenn man sich sozial isoliert fühlt, also tatsächlich Einsamkeit empfindet, ist das eine psychische Belastung, die auch körperlich krank macht, weil es eine chronische Stress-Situation ist.

Der französische Philosoph Tristan Garcia, Jahrgang 1981, stellt in seinem vor Corona verfassten Essay „Das intensive Leben“ das moralische Lebensprinzip der modernen Gesellschaft dar: Ganz gleich, wie man lebt, ob revolutionär oder fromm, das Entscheidende sei immer, das Leben so intensiv wie möglich zu leben. Wurde durch die Pandemie dieses Paradigma der Moderne ausgehebelt?
Ich denke, dass nicht alle Menschen ein so intensives Leben führen möchten. Nicht alle fühlen sich in dem Leben wohl, das Garcia anspricht. Das habe ich auch in meiner Studie gesehen, ob im beruflichen, im privaten oder im sexuellen Leben. Das wird unter anderem davon geprägt, wie erfahrungshungrig man ist. Menschen in der Pandemie, die es gerne sexuell aufregend mögen, haben beispielsweise häufiger digital vermittelte Sexualität ausprobiert, also das, was man gemeinhin Cybersex nennt. Manche Menschen haben in Zeiten der Pandemie tatsächlich versucht, ein für sie sogenanntes intensives Leben zu realisieren. Aber es gibt eben auch viele, die es auch gern ruhiger haben und angehen.

Wurde die moderne Erfolgsgesellschaft, das Streben nach Vitalität und Vibes, durch Corona einfach ausgehebelt?
Die Frage ist, bei wem man Anerkennung für Erfolg sucht und wem man imponieren möchte. Ich habe mir genauer angeschaut, wie die persönlichen Kontakte im Arbeitskontext gelaufen sind: Sehr viel psychosoziale Unterstützung hat es im Berufsumfeld gegeben. In der Pandemie mehr als vorher, da auch die Grenze zwischen privat und Beruf mehr verschwommen ist. Obwohl sich die Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten in der Pandemie reduziert haben, waren viele mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf konfrontiert und haben den auch eingefordert. Leider fast nur von Frauen.

Gibt es schon Untersuchungen, ob Burn-out in dieser Zeit gestiegen oder gesunken ist?
Bei etlichen hat die Pandemie zu einer enormen Arbeitsbelastung geführt. Und dabei meine ich nicht nur die Systemerhalter, gerade wenn Kinder zu Hause waren. In Österreich muss man sich jetzt die psychosozialen Folgen des Lockdowns ansehen. Alle waren schnell damit, die körperlichen Folgen zu analysieren, aber es hängt ja auch die Psyche dran. Man kann Menschen nicht wochenlang isolieren und denken, dass es sich nur um eine physische Isolierung handelt. Sowohl auf privater als auch auf gesellschaftlicher Ebene muss man sich damit beschäftigen. Man kann es nicht dem Zufall überlassen, dass gewisse Gruppen isoliert sind. Ein Lockdown bringt tiefe psychosoziale Konsequenzen mit sich, wenn man nicht begleitende Maßnahmen setzt.

Frage an die Sozialwissenschafterin: Und wie wollen wir nun künftig leben?
Ich denke, dass viele solidarischer leben wollen. Man hat auch in der Pandemie gesehen, in welch hohem Ausmaß Nachbarschaftshilfe geleistet wurde. In meiner Studie wurde sichtbar, dass sich die Menschen in Zeiten des Lockdowns große Sorgen machten, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen vergessen werden. Während des Lockdowns wurde das Streben nach sozialem Zusammenhalt sichtbar, aber die fürsorgliche Haltung in der Krise kann natürlich auch wieder in Spaltung und Ausgrenzung umschlagen, wenn es darum geht, wer die Kosten der Krise zu zahlen hat. Die hohe Bedeutung von Beziehung, von solidarischem Handeln, von Nähe, hat diese Krisenzeit deutlich gemacht. Vielleicht haben wir das schon immer gewusst, aber jetzt ist uns wirklich bewusst geworden, worauf es im Leben ankommt.