Ist die Beschaffenheit von Politik in diesem Land derart komplex, dass es Sie beide braucht, um sie zu erklären?
Armin Wolf: Uns braucht es nicht unbedingt, aber man muss es erklären. Gegen das österreichische Politsystem ist ein sehr kompliziertes Labyrinth eine vergleichsweise gerade Laufstrecke.
Peter Filzmaier: Sonst wird das System von Politikern im Wahlkampf erklärt – mit groben Ungenauigkeiten und teils glatten Falschbehauptungen.
Genau diese Behauptungen im Vorfeld der Bundespräsidentschaftswahl im Vorjahr haben Sie zur Podcastreihe, die nun als Buch erscheint, veranlasst. War der Frust so groß?
Wolf: Ich habe mit Interesse verfolgt, wie Kandidaten versprochen haben, dass sie am Tag ihrer Angelobung die Regierung entlassen, den Nationalrat auflösen, die Inflation abschaffen und quasi ganzjähriges Badewetter für alle einführen werden. Da gab es dann doch Aufklärungsbedarf, dem man in einer normalen Sendung nicht nachkommen kann.
Wäre das nicht die Aufgabe des Bildungssystems?
Filzmaier: Ja. Hier die Defizite von Jahrzehnten auszugleichen, auch in der Erwachsenenbildung, ist die Aufgabe von uns allen.
Zahlreiche Studien zeigen einen schwindenden Glauben an die Demokratie auf. Wie erklären Sie sich das?
Wolf: Eine Erklärung sind langfristige Entwicklungen. In der gesellschaftlich sehr gesunden Emanzipation der 70er- und 80er-Jahre haben Menschen begonnen, traditionelle Hierarchien zu hinterfragen und nicht immer gleich zu wählen. Dann kam die populistische Politik in den 80ern und 90ern mit dem Anzweifeln aller Autoritäten und Eliten, hin zu den sozialen Medien heute, die den öffentlichen Diskurs schwer beschädigt haben. Pandemie, Inflation, Krieg und so weiter haben die Gesellschaft dann noch weiter polarisiert. Das führt in Summe zu einer Atmosphäre, die einem Sorgen macht.
Filzmaier: Wir erleben ein schleichend schwindendes Demokratiebewusstsein. Gerade im Umgang mit Fake News wäre politische Bildung wichtiger denn je.
Was sagen Sie einem jungen Menschen, der Sie fragt: "Warum soll ich mich überhaupt für Politik interessieren?"
Filzmaier: Interessiert es dich, ab welchem Alter du mit dem Moped fahren darfst, welche Fächer in der Schule unterrichtet werden müssen, ob du eine Prüfung machen musst, ab welchem Alter du mit jemandem Sex haben kannst? Nur, wenn dich all das gar nicht interessiert, anerkenne ich deine Meinung. Ansonsten muss ich dir sagen, dass in all diesen Bereichen die Regeln von der Politik gemacht werden. Und vielleicht willst du diese ja doch mitbestimmen. Bei erwachsenen Menschen lautet meine Frage übrigens: Interessiert es dich, wie viel Steuern du zahlen musst? Das Gegenkonzept zu alldem wäre übrigens die Anarchie. Und die hat sich bekanntlich weder theoretisch noch in der Praxis bewährt. Es braucht Regeln.
Teile des TV-Publikums sehen Ihre Unterbrechungen bei Politiker-Interviews als unhöflichen Regelverstoß, Sie bekommen entsprechend viel Post dazu. Was antworten Sie?
Wolf: Ich glaube ja gar nicht, dass ich unhöflich bin. Ich erkläre Menschen, die mir schreiben, aber gerne, dass ich sie in einem normalen Gespräch sicher nicht unterbrechen würde. Aber ein Interview ist eben kein normales Gespräch. Da läuft eine Uhr mit und ich habe einen Gesprächspartner, dessen Hauptinteresse es nicht ist, meine Fragen zu beantworten, sondern vor 700.000 Menschen eine Wahlrede zu halten. Irgendwann muss ich da unterbrechen. Ginge es nur nach mir, würde ich ja noch viel öfter unterbrechen, denn ich merke nach zehn Sekunden, dass die Antwort in eine andere Richtung geht. Spannend ist, dass sich speziell ältere Zuseher über Unterbrechungen ärgern. Die Jüngeren hingegen mögen es, macht's auch schwierig.
Wollen die Menschen auch privat mit Ihnen über Politik debattieren?
Filzmaier: Leider ja. Wenn ich im privaten Umfeld bei einem Abendessen bin oder bei Freunden auf einer Party, möchte ich nicht mehr, anstatt das Essen dort zu genießen, die Unappetitlichkeiten der österreichischen Politik besprechen. Da diskutiere ich deutlich lieber über Sport.
Wolf: Da geht es dir wie einem Arzt, der beim Essen um seine Meinung zu einem Ausschlag gefragt wird.
Politische Beobachter tendieren dazu, den Akteuren häufig eine Strategie zu unterstellen. Werden Emotion und Überzeugung oft unterschätzt?
Filzmaier: Nicht nur das, man unterschätzt auch, dass manches einfach passiert. Angenommen, ich vermute – und das kommt häufiger vor –, dass es keine Strategie gab, sondern jemand schlicht so dumm war. Dann kann ich das nicht einfach so sagen, ohne es zu belegen. Und das ist im Regelfall nicht möglich. Dann sucht man – oft wider besseres Wissen – nach möglichen Strategiemustern, die es nie im Leben gegeben hat. Aber das kann ich nicht pauschal unterstellen.
Wolf: Meine Erfahrung aus 38 Jahren Journalismus ist: Es gibt deutlich weniger Strategie, als man glaubt.
Filzmaier: Große Masterpläne sind tatsächlich die Ausnahme. Aber selbst bei solchen wie dem "Projekt Ballhausplatz", um Sebastian Kurz zum ÖVP-Parteichef und Bundeskanzler zu machen, haben Chats offenbart, wie furchtbar banal das abgelaufen ist.
Ärgern sich Politiker über Interviews und Analysen?
Wolf: Selten bei mir, in über 2000 Interviews wurde ich nur dreimal danach angebrüllt. Im Normalfall sind die Leute professionell genug, um sich höflich zu verabschieden, und erst im Auto ihre Pressesprecher anzubrüllen.
Filzmaier: Ich hatte einen einzigen Anruf von jemandem, der heute nicht mehr in der Politik aktiv ist und den man in die Kategorie "verhaltensauffällig" einordnen kann.
Wissen Sie voneinander, welche Partei Sie wählen?
Filzmaier: Obwohl wir uns mehr als ein Vierteljahrhundert kennen, wissen wir das nicht. Zudem bin ich ein typischer Wechselwähler.
Wolf: Ich habe keine Ahnung, was Peter wählt. Aber wir wählen beide überall, wo wir wahlberechtigt sind. Alles andere wäre zynisch.