Die Rede zur Lage der Nation hat in der ÖVP eine lange Tradition. Erfunden wurde sie von Alois Mock in den Achtzigerjahren, seit Wolfgang Schüssel haben sich alle ÖVP-Obmänner darin versucht. Umgesetzt wurde etwa Josef Prölls Transparenzdatenbank, seiner Idee des "Einheitsbeamten" für Bund, Länder und Gemeinden mit gleichem Lohn war kein Erfolg beschieden.

Semantischer Unterschied

Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer knüpft nun an diese Tradition an. Am Freitag will er im 35. Stock der Twin Towers am Wienerberg eine Rede "zur Zukunft" der Nation halten. Auf den semantischen Unterschied zu den bisherigen "Reden zur Lage an die Nation" angesprochen, heißt es in Nehammers Umfeld: "Die Lage kennen wir ohnehin."

Parallele zum Plan A

Bei der Veranstaltung sollen erste Pflöcke eines "Zukunftsplans" mit dem Titel "Österreich 2030" vorgelegt werden. Das ruft beim politischen Beobachter unweigerlich Erinnerungen an Christian Kerns "Plan A", der vom damaligen Kanzler und SPÖ-Chef im Rahmen eines Townhall-Meetings in Wels im Jänner 2017 präsentiert und auf 208 Seiten ausgearbeitet wurde, hervor.

Von der ÖVP organisiert und finanziert

In einem Punkt gibt es tatsächlich Überschneidungen. Nehammers Kanzlerrede wird von der ÖVP organisiert und bezahlt, Kerns "Plan A" wurde von der SPÖ finanziert, auf Seite 206 findet sich das Impressum der Löwelstraße wieder.

Kern legte "zweites Regierungsprogramm" vor

Laut Kanzleramt seien die Unterschiede nicht zu übersehen. Kerns Projekt sei "ein zweites Regierungsprogramm" gewesen. Nehammer will über die unmittelbare Tagespolitik, die von der Krisenbewältigung geprägt ist, hinausgehen und die großen Fragen der Zukunft anschneiden, also deutlich machen, "wofür Nehammer steht". Unter Einbindung von Experten sollen die Details später ausgearbeitet werden.

Stand Volksbefragung zum ORF auf der Agenda?

Im Vorfeld der Veranstaltung machten in mehreren ÖVP-Kreisen Gerüchte die Runde, Nehammer könnte bei der – für die Türkisen – unliebsamen Frage der ORF-Finanzierung einen Befreiungsschlag wagen und am Freitag die Abhaltung einer Volksbefragung über die künftige Finanzierung des ORF ankündigen. Das Ergebnis wäre vorprognostiziert: Eine klare Mehrheit der Bevölkerung würde sich gegen eine Haushaltsabgabe, die die GIS-Gebühr ersetzen und alle Haushalte des Landes umfassen würde, aussprechen. Finanziell müsste dann der Staat in die Bresche springen. Im Kanzleramt heißt es, nichts dergleichen sei geplant.

Eine Volksbefragung käme im Übrigen um Monate zu spät, da das Gesetz bis Jahresende repariert werden muss. Wegen der parlamentarischen Vorlaufzeit bzw. der nötigen EU-Genehmigung sollte die Regierung bis Ostern das Thema erledigt haben.