Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) ist zurückgetreten. Wer der Kärntnerin in das Ministeramt folgen wird, will Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in den "kommenden Tagen" klären. Bis dahin werde Köstinger im Amt bleiben, so Nehammer. Am Nachmittag ist dann auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) zurückgetreten. Ihren Rückzug erklärte sie per Video. Nach dem mittlerweile 14. Wechsel in der türkis-grünen Regierung fordert die Opposition Neuwahlen.

Köstinger dankte in ihrer persönlichen Erklärung für die Erlebnisse in 13 Jahren Politik. Die letzten fünf als Ministerin seien ihre "härtesten Jahre" gewesen, "aber auch die lohnendsten". Mit der Entscheidung von Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz Anfang Dezember, die Politik zu verlassen, sei auch für sie festgestanden, dass sie dieses Kapitel schließen würde. Der Zeitpunkt sei aber noch nicht reif gewesen. Sie sei daher dem Wunsch von Bundeskanzler Karl Nehammer gefolgt, für eine Übergangszeit weiter zur Verfügung zu stehen und habe hier noch wichtige Projekte wie das neue Tierschutzgesetz fertigstellen können, erklärte die Kärntnerin.

Keine Woche vor dem Bundesparteitag in Graz, in dem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auch nominell zum Bundesparteiobmann der Volkspartei gewählt werden soll, geht somit eine der letzten Regierungsmitglieder, die sich zum engsten Kreis von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zählen durften.

Nachfolge offen, erste Namen stehen im Raum

Unklar ist, wer der Kärntnerin als Landwirtschaftsministerin nachfolgen soll. Einiges deutet auf den niederösterreichischen Umwelt-Landesrat Stephan Pernkopf (ÖVP) hin. Niederösterreichs Volkspartei würde somit weiter an Gewicht in der Regierung gewinnen.

Alternativ könnte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ins Landwirtschaftsministerium wechseln. Als frühere Direktorin des niederösterreichischen ÖVP-Bauernbundes würde sie die Expertise mitbringen. Dann müsste die Volkspartei aber jemanden für das Heer finden. Eine solche Rochade sei "nie Thema gewesen", heißt es aus dem Umfeld der Ministerin.

Auch die steirische EU-Abgeordnete und frühere Bürgermeisterin Hitzendorfs, Simone Schmiedtbauer, war am Montag unter den Namen, die als mögliche Nachfolger genannt wurden. "Ich habe vom Rücktritt selbst aus den Medien erfahren", sagte Schmiedtbauer im ORF im Rahmen einer EU-Veranstaltung in Graz. Und weiter: "Wir wissen alle, wie österreichische Politik tickt."

Ebenfalls spekuliert wurde am Montag über einen Umstieg des Landwirtschaftskammer-Präsidenten Josef Moosbrugger, wiewohl ein zweiter Vorarlberger im VP-Regierungsteam aktuell unwahrscheinlich ist.

Im Nationalrat muss die ÖVP wohl nicht umbauen. Köstinger hat zwar ein Rückkehrrecht auf ihr Mandat, zieht sich aber am heutigen Europatag gänzlich aus der Politik in die Privatwirtschaft zurück.

Auch Wirtschaftsministerin Schramböck geht

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) folgte ihrer Parteikollegin und stellte auch ihr Amt zur Verfügung. Gerüchte um den Abgang der Tirolerin hatten bereits in den letzten Wochen die Runde gemacht.

Köstinger an Frauen: "Ihr könnt alles schaffen!"

Die Erfahrung als Mutter und Ministerin hätten ihr gezeigt, dass gerade Frauen besonders im Fokus stehen würden, sagte Köstinger bei ihrer Rücktritts-Erklärung. Gleichzeitig erhalte man aber unglaubliche Unterstützung, erzählte die Landwirtschaftsministerin und richtete allen Mädchen und Frauen des Landes aus: "Ihr könnt alles schaffen, wenn ihr es wollt!"

In ihrer Abschiedsrede ließ die Kärnterin ihre politische Karriere Revue passieren. Ihr "nicht enden wollender Kampf gegen die übermächtigen Handelskonzerne" habe zu faireren Wettbewerbsregeln geführt. Die Ministerin hofft, dass auch ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin den Handelskonzernen auf die Finger schauen wird.

Die letzten fünf Jahre waren die ´härtesten und herausforderndsten´ ihrer 13-jährigen politischen Karriere, sagte Köstinger
Die letzten fünf Jahre waren die ´härtesten und herausforderndsten´ ihrer 13-jährigen politischen Karriere, sagte Köstinger © APA/GEORG HOCHMUTH

Die Zivildienstministerin dankte auch den Zivildienern, deren Dienst sie in der Coronapandemie kurzfristig verlängert hatte. Als Tourismusministerin habe sie von Touristikern und Gastronomen sehr viel lernen dürfen. "Ich sage Danke für die große Unterstützung und freue mich, dass viele aus dieser Branche in den letzten Jahren Freunde geworden sind." Köstinger dankte auch allen Parteikollegen, Regierungspartner, Oppositionsparteien, Medien, ihren Beamtinnen und Beamten im Ministerium und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihrem Kabinett.

"Es ist jetzt für mich an der Zeit, der Politik, dem Land und der Volkspartei verbunden zu bleiben und trotzdem dieses Kapitel zu schließen", sagte Köstinger und ging. Fragen wurden keine zugelassen.

Die Ministerin geht
Die Ministerin geht © APA/GEORG HOCHMUTH

Steiler Aufstieg unter Kurz

Nach acht Jahren im EU-Parlament wurde Köstinger unter Kurz im Mai 2017 Generalsekretärin seiner "Neuen Volkspartei". Mit der gebürtigen Wolfsbergerin wechselte die Partei wortwörtlich Farbe, aus schwarz würde türkis. Bei der Nationalratswahl im Herbst 2017 wurde die "Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei (ÖVP)" stimmenstärkste Partei, Köstinger erhielt die zweitmeisten Vorzugsstimmen innerhalb der ÖVP.

Nach ihrem Einzug in den Nationalrat wurde die Kärntnerin zur Nationalratspräsidentin gewählt. Die Entscheidung war nicht unumstritten, wurden ihr doch Ambitionen auf ein Ministeramt nachgesagt. Tatsächlich wurde Köstinger wenige Wochen später zur Nachhaltigkeitsministerin der türkis-blauen Regierung ernannt. Die Kritik, zu wenig Ambitionen zu zeigen, wurde sie unter türkis-grün los, da Umwelt- und Nachhaltigkeit zu Leonore Gewessler (Grüne) wanderten.

Vielfältige Zuständigkeit

In der Coronapandemie war Köstinger gleich an mehreren Fronten gefordert: Auch Gastronomie und Tourismus fielen unter ihre Ägide, öffentlich bot sich die Bauernbündlerin einen regelmäßigen Schlagabtausch mit der roten Stadtregierung in Wien: Ließ die Ministerin im ersten Lockdown noch die Bundesgärten in der Hauptstadt sperren, kritisierte sie später den wirtschaftlichen Schaden, den der strengere Weg Wiens dem Stadttourismus zufügen würde.

Ihr Ministerium verband ein interessantes Gemisch an Themen: Als "Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus" war die Kärntnerin auch für Telekommunikation – etwa den Breitbandausbau am Land – und den Zivildienst zuständig. Die Suche der Regierung nach Flüssiggas in Katar begleitete sie als "Rohstoff-Ministerin".

Agrar-Politik geprägt

Die agrarische Bilanz Köstingers kann man nicht getrennt von den extrem turbulenten Zeiten sehen, in denen sich die heimische Landwirtschaft befindet - eingezwängt zwischen steigenden Kosten, stagnierenden Erlösen, gesellschaftlichen Wünschen (Tierwohl, Pflanzenschutz) und Zukunftsängsten (genährt durch Wetterkapriolen). Man könnte es auch so zusammenfassen: Es hat vor Köstinger wenige Agarminister gegeben, die mehr Geld für die heimische Landwirtschaft herausgeholt haben, aber auch wenige, die von den Bauern selbst mehr kritisiert wurden.

  • Die neue GAP, die Neuordnung der Agrarförderungen bis 2027, ist weitgehend auf Schiene. Dabei schaut für die heimische Landwirtschaft mit 1,7 Milliarden Euro pro Jahr statt eines befürchteten starken Minus sogar ein kleines Plus heraus.
  • Weitgehend geglättet haben sich mit der GAP-Einigung auch die Wogen zwischen der Ministerin und den Bio-Verbänden, die im Ringen um die Agrargelder zwischenzeitlich extrem hochgingen.
  • Das Paket zur Herkunftskennzeichung bei verarbeiteten Lebensmitteln und in Kantinen wurde – nach jahrelangen Ankündigungen – dieser Tage in Begutachtung geschickt.
  • Nach lautstarken Auseinandersetzungen mit den Lebensmittel-Handelsketten (Köstingers Stichwort: "erpresserische Methoden") hat sich mit dem nun installierten Büro gegen unfaire Geschäftspraktiken zuletzt der Ton gemäßigt.
  • Ein Anti-Teuerungspaket, das vor allem die bis zu 300 Prozent gestiegenen Kosten (Dünger) der Bauern in der Produktion abfedern soll, soll noch diese Woche präsentiert werden.

Stete (ungefragte) Begleiter bei Auftritten der auf einem Kärntner Bauernhof aufgewachsenen Ministerin waren in den letzten Jahren Tierschutz-Organisationen, die gegen Vollspaltenböden in der Schweinehaltung protestierten. In diesem Punkt wurde in der Vorwoche gemeinsam mit (dem für Tierschutz zuständigen) Minister Johannes Rauch (Grüne) ein neues Tierschutz-Gesetz präsentiert.

Allerdings: Zu einem Vollspaltenverbot konnte man sich nicht durchringen (sehr zum Ärger vieler Tierschützer), man will stattdessen den Neu- und Umbau von tierfreundlichen Ställen mit 120 Millionen Euro pro Jahr fördern. Die Reaktionen bei der Präsentation zeigten ebenfalls den Spagat, in dem sich die Landwirtschaft und ihre zuständigen Politiker befinden. Während Köstinger von einem „Meilenstein“ sprach, und Bauern von großen Hürden, die nun zu stemmen seien, nannte es Rauch „einen ersten Schritt, der wohl vielen nicht genügt“.

Nach Kurz-Rücktritt Vertrauen verloren

Nach seinem "Schritt zur Seite" verteidigte Köstinger Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Der frühere Neos-Chef Mathias Strolz erklärte ihr damals im ORF: "Elli, es ist vorbei." Er sollte recht behalten, wenig später zog sich Kurz aus der Politik zurück – "für immer", wie er erst gestern betonte. Schon damals war fraglich, ob Köstinger weiter in der Regierung bleiben würde – obwohl Kärntens Landesparteichef Martin Gruber die Wolfsbergerin gar als Bundesparteichefin handelte.

Noch im Dezember erklärte sie, das Amt "gerne" weiterzuführen und für eine Wintersaison im Tourismus kämpfen zu wollen. Hinter den Kulissen hatte sich die Ministerin aber bereits für ihren Abschied entschieden, sagte sie heute. Zuletzt hatte die Kärntnerin auch zunehmend das Vertrauen der Bevölkerung verloren: Im März hatten laut APA/OGM die Österreicherinnen und Österreicher in kein anderes Regierungsmitglied weniger Vertrauen.

Opposition fordert Neuwahlen

Aus Sicht der SPÖ-Landwirtschaftssprecherin Cornelia Ecker war Köstinger Rücktritt "angesichts dürftiger inhaltlicher Bilanz der Ministerin unausweichlich". Ecker wünscht Köstinger persönlich "alles Gute" und hofft, dass ihre Nachfolge nicht mehr aus dem ÖVP-Bauernbund stammt.

Für den stellvertretenden SPÖ-Klubobmann, Jörg Leichtfried, zeigt der dreizehnte Kanzler- beziehungsweise Ministerinnenwechsel in der türkis-grünen Regierung, dass diese "ein Hort von Chaos, Instabilität, Planlosigkeit und schweren Fehlern" sei. Der Steirer fordert einmal mehr Neuwahlen.

In dasselbe Horn bläst FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. "Köstinger soll die anderen Minister gleich mitnehmen und so den Weg für Neuwahlen frei machen", forderte Schnedlitz. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach sich für eine größere Regierungsumbildung aus und forderte ein Ende der "Showpolitik, die an Ernsthaftigkeit und Tiefgang so einiges vermissen lässt".

Vom Koalitionspartner kamen zum Abschied Rosen: Er habe Köstinger in den letzten zweieinhalb Jahren Zusammenarbeit in der Bundesregierung als "harte, kompetente Verhandlerin und echte Kämpferin" kennengelernt, meinte Vizekanzler Kogler. Sie sei eine "starke und wichtige Stimme für faire Preise für Bäuerinnen und Bauern" gewesen, betonte er.

Und auch Altkanzler Kurz dankte Köstinger für die "gemeinsame Zeit in der Politik". Kurz wünschte seiner ehemaligen Weggefährtin "alles Gute" für ihr "neues Kapitel" und den weiteren Weg.

Dank und Freude nach Rücktritt

Auch die ersten Reaktionen nach dem Rücktritt Köstingers spiegelten also auch das politische Spannungsfeld wider, in dem sie agierte: Die ÖVP-Kärnten äußert "großes Bedauern" über den Schritt der Wolfsbergerin. Für ÖVP-Landeschef Martin Gruber kam der Rücktritt seiner über lange Jahre in Freundschaft verbundenen Parteikollegin "sehr überraschend". Da Köstinger aber nicht von der Kärntner ÖVP für das Ministeramt nominiert wurde, erwartet er sich "keine umfassende Mitsprache" bei der Wahl ihrer Nachfolge.

Neben ÖVP-Organisationen wie Bauernbund ("Wir respektieren  ihre Entscheidung, auch wenn wir sie bedauern") danken auch Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer Köstinger für ihre Arbeit als Ministerin. Köstinger sei "immer eine zuverlässige Ansprechpartnerin und offen für Input aus der Praxis" gewesen, dankte auch der Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) Köstinger "für ihren jahrelangen enormen Einsatz für den österreichischen Tourismus".

Erfreut über den Köstingers Rückzug zeigen sich indes NGOs: Für die Umwelt-Organisation "Global 2000" stand Köstinger für eine "rückwärtsgewandte Agrarpolitik", der "Verein gegen Tierfabriken" (VGT) ist "erleichtert" über den Rücktritt der "Tierqual-Ministerin", die Vollspalt-Böden nicht verbat.

Nach dem Rücktritt Köstingers fordert "Vier Pfoten" eine Neuverhandlung der Tierschutz-Novelle. Es sei bekannt, dass viele Themen unter der Ministerin blockiert wurden.