Herr Professor, in den vergangenen Tagen gab es große Aufregung um die sogenannte „Islam-Landkarte“ der Beobachtungsstelle für Politischen Islam, in der sie Beirat sind. Derzeit ist sie offline. Warum?
MOUHANAD KHORCHIDE: Aus rein technischen Gründen. Wir wollen den Missbrauch von rechtsextremistischer Seite her unterbinden – Es wird zurzeit überlegt, dass man sich künftig mit echtem Namen registrieren muss, um Zugang zu bekommen. Da braucht man die entsprechende Technik, für diese Umstellung wird die Karte bis Anfang oder Mitte nächster Woche offline sein.

Was ist eigentlich das Ziel dieser Islam-Landkarte?
Die Islam-Landkarte wurde 2012 bis 2019 von der Uni Wien betrieben, bis die Mittel ausgeschöpft waren. Es war eine informative Service-Seite, für Muslime, für Forscher, die mehr über das muslimische Leben in Österreich wissen wollten, eine Sichtbarmachung muslimischen Lebens. Jetzt hat die Dokumentationsstelle durch finanzielle Unterstützung die Weiterführung ermöglicht.

Viele vermuten, mit der Karte sollte Generalverdacht gegen Muslime geschürt werden, die Uni Wien hat sich von dem Projekt distanziert. Was sagen Sie dazu?
Ich halte diese Vorwürfe für sehr konstruiert, um von der eigentlichen Arbeit der Dokumentationsstelle abzulenken. Wir haben gleichzeitig drei Dossiers über die drei großen muslimischen Verbände vorgestellt, die Landkarte war ein Nebenschauplatz. Jetzt reden wir seit zehn Tagen in Österreich über eine Landkarte, die ohnehin schon acht Jahre lang online war; die hat niemanden gestört, aber über das eigentliche Thema redet kein Mensch.

Aufgegriffen haben die Landkarte Rechtsextreme, die an einigen der genannten Orte „Achtung Islam“-Schilder angebracht haben. War nicht absehbar, dass ein so stark vereinfachendes Projekt instrumentalisiert wird?
Die Debatte in den letzten zehn Tagen war sehr vergiftet und alle wollen das für sich instrumentalisieren. Es wurde skandalisiert, eine Opferrolle für Muslime konstruiert. Das hat die Leute erst recht auf den Plan gerufen und das zeigt einmal mehr, dass, wenn wir in der Gesellschaft nicht verstehen, wie gefährlich der Extremismus ist – auch der religiös begründete -, dann gewinnen die Rechtsextremisten auf der einen Seite, die Islamisten auf der anderen. Beide freuen sich jetzt. Die Islamisten freuen sich, dass sie vor Kritik immunisiert werden, da sie immer versuchen, jegliche Form am Islamismus als Kritik am Islam an sich zu interpretieren, damit sie uns alle mundtot machen. Und die Rechtsextremisten freuen sich auch über diese Debatte.

Wenn wir auf die Sachebene zurückkommen: Sie haben die Dossiers erwähnt, die die Dokustelle zu Atib, Milli Görüs und den Grauen Wölfen vorgelegt hat. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Das sind die drei größte Islamverbände in Österreich, sie prägen das Bild des Austro-Islam, sie bestimmen die Freitagspredigt und die Inhalte des islamischen Religionsunterrichts – und es gibt klare Herausforderungen bei allen dreien. Bei Atib stellt sich die Frage nach der Abhängigkeit von der Türkei. Wir sehen, dass in Atib-Moscheen das Märtyrer-Narrativ weitergegeben wird, auch an Kinder. Bei Milli Görüs haben wir unter anderem die Frage gestellt, wie sieht es mit der antisemitischen und anti-westlichen Ideologie des Gründers aus. Die Grauen Wölfe werden zum Teil sogar als rechtsextremistisch bezeichnet. Wir forschen dazu, ob es hier klare Wertemuster gibt – gerade am Beispiel des Antisemitismus zeigt sich, dass dringender Redebedarf besteht.

Wie kann man als Staat, der Religionsfreiheit gewährleistet, solcher Tendenzen Herr werden?
Der Staat muss in ständigem Kontakt mit all den Akteuren bleiben, denn nur durch einen ehrlichen und offenen Dialog kann man Probleme beseitigen. Aber ein Dialog, der Probleme unter den Teppich kehrt, ist kein Dialog. In Österreich haben wir das Problem, dass man, sobald man Probleme beim Namen nennt, den Vorwurf bekommt, es ist rechtspopulistische Rhetorik und deshalb reden wir nicht über Probleme.

Sie warnen, den politischen Islam ernst zu nehmen. Haben Sie den Eindruck, dass das in Österreich langsam angekommen ist?
Die öffentliche Debatte zeigt, wie nervös die Anhänger des politischen Islam geworden sind. Sie sehen die Doku-Stelle als eine Institution, die ihre Machenschaften und Strategien entlarven wird und das ist der Grund, warum sie hier mit allen Mitteln diffamiert wird.

Wie lange wird es dauern, bis sich in Österreich ein europäischer, aufgeklärter Islam in der Breite durchgesetzt hat?
Ich glaube, das ist auch eine Generationenfrage. Das sieht man auch an den Konflikten innerhalb der Muslimischen Verbände, bei Atib oder Milli Görüs. Die jüngeren Menschen, die wollen einen Islam europäischer Prägung. Die wollen in der Gesellschaft in Harmonie leben. Ich bin optimistisch, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber realistisch genug, um zu sagen, es ist nicht etwas, das von heute auf morgen geht.

Sie sind nach der Präsentation dieser Landkarte bedroht worden und leben seit Jahren mit Morddrohungen. Glauben Sie, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, wo Sie ohne Polizeischutz leben können werden?
Solange man gegen Extremismus und Islamismus kämpft, wird man immer mit solchen Drohungen konfrontiert sein. Wenn ich in Pension gehe und aufhöre, bin ich für Extremisten und Islamisten keine Gefahr mehr und dann lassen mich die auch in Ruhe. Ich lasse mich aber nicht einschüchtern, denn genau das wollen die ja, dass man mundtot gemacht wird. Aber ich sehe darin auch einen Auftrag, denn Morddrohungen bedeuten, dass wir Menschen in unserer Gesellschaft haben, die sich verweigern und den Raum für Argumente und Gegenargumente nicht öffnen wollen, sondern die Fäuste sprechen lassen wollen. Das zeigt, dass noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist.