Der allererste Spitzenpolitiker, der im Mai 2019 gewusst hat, dass an dem denkwürdigen Freitag (17. Mai 2019)  die Ibiza-Bombe platzen würde, war Heinz-Christian Strache - und nicht, wie von FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker behauptet, der Bundespräsident.

Am frühen Nachmittag des 15. Mai 2019 um 14 Uhr 31, also rund 52 Stunden bevor das in der Zwischenzeit weltberühmte Video von der "Süddeutschen Zeitung" und vom "Spiegel" online gestellt wurde, erhielt der damalige Vizekanzler eine Whatsapp-Nachricht und wenige Augenblicke später ein langes Mail – mit den beiden Ibiza-Aufdeckern der Süddeutschen Frederik Obermaier und Bastian Obermayer als Absender. Darin wird Strache – auch im Auftrag des Spiegels - mit dem Treffen auf der Balearen-Insel, den Übernahmeplänen der Kronen Zeitung durch die angebliche Oligarchen-Nichte, Straches Offert, der Frau Staatsaufträge zuzuschanzen, mit den versteckten Spenden an die FPÖ, den Privatisierungsplänen des Wassers konfrontiert. Elf konkrete Fragen, die auch an Straches Ibiza-Kommilitone Johann Gudenus versendet werden. Zur Sicherheit erhielten auch Straches Pressesprecher Martin Glier sowie der Gudenus-Sprecher  den Fragenkatalog. Um 14 Uhr 34 wurde das Whatsapp von Strache geöffnet, das ging aus den Häkchen hervor, die sich blau färbten. Einen Tag später trudelte die Antwort des FPÖ-Chefs bei der Süddeutschen ein, in Form eines langen Whatsapp – alles nachzulesen im Buch „Die Ibiza-Affäre“ der beiden SZ-Aufdecker.

Vieraugengespräch an der Hotelbar

Bundeskanzler Sebastian Kurz weilte gerade bei seiner Großmutter, als das Handy läutete. Ein ziemlich aufgeregter Strache war am anderen Ende der Leitung. Er müsse dringend mit ihm unter vier Augen sprechen, am besten sofort. Die Bitte des Kanzlers, ob man sich nicht am nächsten Tag treffen könne, weil er gerade seine kranke Großmutter im 70 Kilometer entfernten Zogelsdorf besuche, stieß auf taube Ohren. Es sei dringend, und so trafen sich Kanzler und Vizekanzler in den Abendstunden an der Bar eines Wiener Innenstadthotels. Strache erzählte von einer besoffenen Geschichte, die sich auf Ibiza zugetragen habe, die offenkundig mitgefilmt worden sei. An dem Abend sei er mehrfach über den Kanzler hergezogen, er wolle sich dafür entschuldigen.

Rückflug vom Surf-Urlaub in Portugal

Die Tragweite des Abends dürfte Kurz bald bewusst gewesen sein, denn bald darauf kontaktierte er seinen engsten Vertrauten, Gernot Blümel, der allerdings gerade in Lissabon gelandet war, um das erste Wochenende seit langem am Atlantik surfen zu gehen. Der damalige Kanzleramtsminister drehte um und kehrte umgehend nach Wien zurück.

Info von einem Journalisten

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hörte nach eigenem Bekunden am Donnerstag, also rund 34 Stunden vor dem Platzen der Bombe, erstmals davon, dass irgendetwas im Busch sei. Am Mittwoch war Van der Bellen von einem Staatsbesuch in Sotchi zurückgekehrt, am Donnerstagvormittag soll im Zuge der regulären, zumeist eineinhalb stündigen Bürobesprechung ein Mitarbeiter erzählt haben, er habe von einem Journalisten erfahren, dass ein Video mit Strache in den nächsten Tagen das Licht der Welt erblicken dürfte. Dem Gerücht wurde nicht weiter Beachtung geschenkt.

Sonderbare Mail mit Betreff "Testament"

Zum selben Zeitpunkt trudelte in der Hofburg ein Mail des Ibiza-Drahtzieher Julian H. mit dem Betreff  „Testament“ ein. Er wollte, wie dem Standard Anfang Jänner 2020 in einem Interview erzählte, die Staatsspitze über bevorstehende Enthüllungen informieren. Da er Angst vor Repressalien durch das von der FPÖ geführte Innenministerium habe, wolle er sicherstellen, dass er kein Staatsstreich plane. In der Hofburg wird der Erhalt des Mails bestätigt. Dem Mail wurde keine große Beachtung geschenkt.

In dem Mail nahm Julian H. allerdings auch auf ein Treffen Bezug, dass er mit einem ehemaligen Mitarbeiter des Bundespräsidenten eine Woche zuvor hatte, dabei soll er diesem Videopassagen vorspielt haben. Julian H. und der ehemalige Wahlkampfmitarbeiter kannten sich über den Kindergarten der Kinder. Letzterer erzählte nach eigenen Angaben nur seiner Frau davon, so ein Bericht des Standards.

Hektik am Ballhausplatz

Dass die Republik ins Wanken geraten könnte, ahnte der Bundespräsident spätestens Freitag früh, also rund zehn Stunden vor Veröffentlichung des Videos, durch einen Anruf des Bundeskanzlers. Am Freitag liefen die Telefone im Inner Circle der Republik heiß, eine Besprechung folgte auf die andere. Knapp vor 18 Uhr klappten dann auch der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Vizekanzler jeweils in den eigenen Büros, den Laptop auf – in Erwartungen den neuen Enthüllungen.

Tod des Hundes eingetragen

In den Tagen danach soll dann Van der Bellen nachträglich im Kalender am Donnerstag den Eintrag „Gerücht Sp./Süddt. Zu Strache/Gud“ und am Freitag  „Die Bombe platzt: Str + Gud in Ibiza“ vorgenommen haben – um das Ereignis zu dokumentieren. So wie Van der Bellen, heißt es in der Hofburg, etwa auch den Tod seines Hundes Chico nachträglich in den Kalender vermerkt hat.