Dort, wo Wien am hässlichsten ist, an den Ausläufern von Simmering, startet die Rückeroberung der vor neun Monaten verloren gegangenen Normalität. Eingekeilt zwischen Österreichs größtem Kraftwerk, dessen Schlote den Steffl deutlich überragen, einer aufgelassenen Panzerfabrik, Autobahnen, Gleisanlagen, sinnlosen Betonflächen, vor sich hinwucherndem Gestrüpp liegt das Hauptquartier des größten heimischen Pharmagroßhändlers Herba Chemosan. 400 Personen bedienen das automatisierte Fließbandsystem in den weitläufigen Hallen, 200.000 Medikamentenpackungen werden täglich verschickt, im Minutentakt verlassen weiße Lieferautos das Gelände.

Mittendrin verloren, einsam und verlassen stehen drei dicke weiße Kühlschränke. Hier werden am 26. Dezember die ersten, knapp 10.000 Impfdosen des deutsch-amerikanischen BioNTech-Pfizer-Konsortiums eingelagert - bei minus 76 Grad. Die Fracht kommt direkt per Kleintransporter aus dem belgischen Pfizer-Werk in Puurs. Polizeibegleitung inklusiv.

Für Herba-Chemosan-Chef Andreas Windischbauer ist die österreichweite Verteilung des Impfstoffes alles andere als Business as usual. Noch nie musste ein Medikament bei so extremen Temperaturen gelagert werden. Am 27. Dezember, wenn die ersten Bewohner von Pflegeheimen und Spitalbedienstete in Wien und Niederösterreich vor laufenden Kameras geimpft werden, werden die Fläschchen drei Stunden vor zuvor den Kühlschränken entnommen und per Lieferwagen in speziellen Kühlboxen (zwei bis acht Grad) zugestellt. Innerhalb von fünf Tagen (120 Stunden) muss das Vakzin verimpft werden.

„Die Natur des Impfstoffs stellt uns vor eine besondere Herausforderung denn es bedarf sehr enger Zeitfenster“, erklärt Windischbauer, der seit 2002 dem Unternehmen vorsteht, „Mit engen Zeitfenstern zu arbeiten, ist Teil unseres Kerngeschäfts.“ Weil der Großhändler über ein eingespieltes. logistisch ausgeklügeltes Vertriebssystem besitzt, das dafür sorgt, das innerhalb von 120 Minuten jeder Ort in Österreich mit Medikamenten versorgen werden kann, erhielten Herba-Chemosan und vier andere Firmen vom Gesundheitsministerium den Zuschlag. „Wir bringen den Impfstoff zum Patienten, nicht umgekehrt.“

Vor Silvester ist Impfstoff in allen Bundesländern

Windischbauer enthüllt, dass vor Silvester alle österreichischen Bundesländer mit Impfdosen versorgt werden, an 17 Standorten gibt es ähnliche Kühlschränke. Allerdings mahnt der gebürtige Wiener zur Geduld. „Wir befinden uns in einem Marathon. Wir werden bis in den Herbst brauchen, um alle Österreicher, die das auch wollen, durchzuimpfen.“ Er selbst würde sich am liebsten sofort impfen. „Das eröffnet uns die Chance, dass wir wieder zu einem normalen Leben zurückkehren.“