Unter Schützen nennt man so etwas einen Querschläger. Man zielt auf das eine, die Kugel gellt ab und trifft etwas anderes. Markus Wallner, Landeshauptmann in Vorarlberg, gab den „Vorarlberger Nachrichten“ ein Interview über die Folgen der Krise für seine Koalition mit den Grünen. Ganz unverfänglich zog der Chefredakteur noch die Schleife über Wien und Wallner sprang auf. „Bei aller Bedeutung eines ausverhandelten Regierungsprogrammes und eines Budgets, das nun ohnedies nicht hält, müssen wir eine neue politische Agenda für das Land entwickeln.“ Dass auch dafür ökologische Fragen eine Rolle spielen werden, sagte er dazu.

Dass der unverfängliche, irgendwie selbstverständliche Satz überhaupt ein Echo jenseits der Landesgrenzen auslöste, ist ohne die von „profil“ am letzten Wochenende veröffentlichte Umfrage schwer zu erklären. 48 Prozent schrieb das Institut der ÖVP zu, was unter günstigen Umständen schon die absolute Mehrheit bedeuten könnte. Der nächste Gedanke, in normalen Zeiten ganz normal, richtet sich auf mögliche Versuchungen des vom Glück Begünstigten: Könnte die ÖVP ihr Heil in Neuwahlen suchen?

Die verdrängte Debatte über ein neues Programm

Man muss kein Politologe sein, um die Realitätsferne der Spekulation zu erkennen. Das Land steckt in der ersten Phase einer schweren Krise. Ist der Umgang mit dem Virus einmal irgendwie gelernt, folgt die Aufarbeitung der wirtschaftlichen Folgen. Das wird Jahre dauern, wie Wifo-Chef Christoph Badelt sagte. Mitten in dieses Krisenszenario hinein Neuwahlen vom Zaun zu brechen, ist das beste Programm, die eigene Glaubwürdigkeit nachhaltig zu beschädigen, vielleicht zu vernichten.

Abseits vom absurden Seitenstrang der Debatte aber wird uns der Kern der Aussage des Vorarlberger Landeshauptmanns schon bald intensiv beschäftigen: Welche Auswirkungen wird Corona auf das im Herbst des Vorjahres unter rosigen Umständen hart erkämpfte Regierungsprogramm haben?

Bevor die Debatte noch begonnen hat, steht das erste Opfer schon fest: das Nulldefizit. Der Stolz der ersten Regierung Kurz war nach wenigen Tagen dahin und wird in dieser Legislaturperiode, wie lange auch immer sie dauern mag, nicht mehr wiederkehren. Was folgt daraus? Was kann sich Österreich, was die Regierung noch leisten von dem ehrgeizigen Programm? Steuersenkung? Ökologische Steuerreform? Das 1-2-3-Ticket für den öffentlichen Verkehr?

Vieles im Programm ist Makulatur

Der Kampf um die Verteilung des Mangels hat noch nicht begonnen. Vielleicht erklärt das die hektischen Reaktionen auf Wallners Nebensatz. Er sprach aus, was alle wissen, aber bisher nicht zu formulieren wagten: Vieles in dem Programm ist Makulatur. Was stattdessen umgesetzt werden kann, muss in voller Fahrt ausverhandelt werden, neben der Bewältigung der Krise, die eigentlich die volle Aufmerksamkeit aller Beteiligten erfordert.

Die ÖVP bemüht sich, die Debatte auszudämpfen, ehe sie unkontrollierbar wird. „Das Regierungsprogramm gilt nach wie vor“, sagte Finanzminister Gernot Blümel der Kleinen Zeitung. Aus der ÖVP hört man, die nötigen Investitionen zur Wiederbelebung der maroden Wirtschaft würden bald viel Gelegenheit bieten, ökologische Steuerungsmaßnahmen zu setzen. Und zur Beruhigung des Partners den flapsigen Satz: „Das wäre uns auch ohne die Grünen eingefallen.“