Wer beim Bundespräsidenten ohne Krawatte erscheint, der gilt in Österreich schon als verwegener Typ. Dem neuen Vizekanzler ergeht es zu diesem offiziellen Anlass in der Hofburg, belagert von Fernsehkameras, Medien- und Politikpersonal, einmal so wie Politikerinnen, deren Garderobe man gerne bespricht.

Kogler, weißes Hemd, schwarzer Anzug (immerhin), gefasste Miene, hat auf dem Weg zum Bundespräsidenten gesagt, dass sich der neue Titel Vizekanzler für ihn noch „ganz komisch“ anfühle, und man sieht ihm das auch an. Er steht ernst neben dem gut gelaunten Kanzler und weiß nicht so recht, wohin mit seinen Händen. Angela Merkel musste sicher auch üben, ehe sie ihre Raute fand.

Kogler mäandert zwischen Botschaften und Selbstironie

Die erste Reihe der Politik ist nicht sein natürliches Habitat. Ein typischer Werner-Kogler-Auftritt sah bisher anders aus. So wie am vergangenen Samstag beim grünen Bundeskongress in Salzburg. Dem Grünen-Chef ist nach zwei Jahren Übung bewusst, wie er zu solchen Anlässen sein übliches Kampfhemd tragen muss. Die Ärmel aufgekrempelt bis zum Ellbogen, das signalisiert Anpacken, zeigt Kampfbereitschaft, soll lässig wirken.

Kogler mäandert zwischen klaren Botschaften und selbstironischenEinlagen (seine Spezialität); verliert sich ein wenig in inhaltlichen Details (seine andere Spezialität), um am Ende nach Wortgirlanden und Schachtelsätzen beim emotionalen Plädoyer ein letztes Mal mit der grünen Sonnenbrille herumzuwedeln, seinem Markenzeichen aus der Zeit der außerparlamentarischen Opposition.

Die neue Identifikationsfigur der Partei

Der 58-jährige Oststeirer aus St. Johann in der Haide bekommt am Samstag nach zwei Jahren grünen Exils 93 Prozent Zustimmung zur parteiintern umstrittenen Koalition und 99 Prozent für sein Regierungsteam – damit ist er heute mehr Identifikationsfigur für die Partei, als es selbst Alexander Van der Bellen war. Zwei Jahre war Kogler auf sich gestellt mit Mini-Team durchs Land getingelt, hat mühsame Wiederaufbauarbeit geleistet, ehe der Ibiza-Skandal die Chance auf eine Rückkehr ins Parlament eröffnete. Doch der Humor kam ihm nicht abhanden. Mit grünem Baumwollsackerl („Bio macht schön“) bewaffnet, machte er bei Terminen auch solche Witze: „Alter Sack mit altem Sack.“

Der Mann im Kampfhemd beweist, dass Durchhalten im politischen Geschäft, das alle Beteiligten durch immer kürzere Zyklen hetzt, möglich ist – und manchmal sogar belohnt wird. Vor allem aber ist der Pragmatiker Kogler eine ungewöhnliche politische Führungsfigur, die mit Ende fünfzig nach vorne trat, weil nach dem grünen Wahldebakel2017 eben einer den Job machen musste. Den Zug zur Macht entdeckte er also erst nach 30 Jahren, schicksalhaft, als alleine der Gedanke an grüne Macht absurd erschien.

Antithese zu seinem Regierungschef

Damit zeigt Kogler auch, dass es nie zu spät ist, sich neu zu entwerfen, wenn man es muss und will. Mit 58 Jahren plötzlich Vizekanzler und keiner hat es geplant – Werner Kogler ist auch in diesem Punkt die Antithese zu seinem 33-jährigen Regierungschef Sebastian Kurz. Dass Kogler allerdings etwas von professioneller Kontrolle versteht, zeigte sich während der türkis-grünen Verhandlungen: So zurückhaltend hat man Grüne selten erlebt. Die „Message Control“ schillert auch in anderen Farben.

Bis dahin war Koglers Rolle eine weitaus bequemere gewesen. Der studierte Volkswirt und Langzeit-Nationalratsabgeordnete machte seine Arbeit gerne und fachlich anerkannt, immer loyal gegenüber der Spitze, ohne erkennbare Ambitionen auf mehr. Nicht so straff organisiert, etwas chaotisch, so beschreiben ihn manche Grüne von früher. Einer, der seine Abende lieber gemütlich beim Fußballschauen im Café Anzengruber verbrachte, einem bei Wiener Medienmenschen und Szenefiguren beliebten Wirtshaus, statt sich in Machtspielen zu verausgaben.

Die Arbeitsweise eines Langstreckenpolitikers

Kogler war vor allem wegen einer Aktion berühmt-berüchtigt, seiner 12 Stunden und 42 Minuten dauernden Filibusterrede, die er 2010 hielt. Er trat damals gegen den Budgetvoranschlag der rot-schwarzen Regierung an. Die Marathonrede hatte er nicht geprobt, wie er danach erzählte: „Wörtlich vorbereitet hatte ich nur den ersten Satz, eine Anspielung auf das Johannesevangelium: Am Anfang war der Verfassungsbruch. Den Rest habe ich mir mit Stichworten und Kapiteln notiert, auf einem A4-Blatt. Das Budget gibt ohnehin eine Struktur vor, an der man sich dann entlangarbeiten kann.“

Das sagt viel über die Arbeitsweise des Langstreckenpolitikers. Kogler spielte eine wichtige Rolle bei den Grünen, aber meist im Hintergrund. Eine Ausnahme war die Aufarbeitung des Hypo-Alpe-Adria-Skandals, da tourte er mit seinem „Hypo-Krimi“ durch die Gasthäuser des Landes. Sonst blieb ihm die Rolle als Aufdecker hinter Peter Pilz, der jede politische Bühne grundsätzlich als die seine betrachtete. Von Pilz unterschied ihn auch, dass er sich nicht gegen die Frauen an der Spitze auflehnte, sondern Parteichefin Eva Glawischnig als Stellvertreter unterstützte.

Comeback mit der Klimakrise

Egal, ob Koglers Durchhalten in den vergangenen Jahren mehr seiner Verbundenheit als Gründungsmitglied der Alternativen Liste Steiermark geschuldet war oder doch mehr der Tatsache, dass man sich nach Jahrzehnten als Berufspolitiker nichts anderes mehr vorstellen mag – er hat die Parteistrukturen neu aufgebaut und dabei temporär auf sein Gehalt verzichtet. Natürlich verdanken die Grünen ihr Comeback auch der Aufmerksamkeit für die Klimakrise. Dennoch, der Parteichef hat die Stimmungslage geschickt genutzt.

Kogler ist ein Stratege, der mit den Grünen umzugehen weiß: zuhören, kritische Leute einbinden, möglichst viele durch viel reden überzeugen. Beim Bundeskongress umarmte er überzeugte Kritikerinnen des türkis-grünen Pakts nach ihrer Rede herzlich. So gewinnt man die Basis für sich.

Zum ersten Mal geschlossen

Viele Grüne sind froh, dass sie mit Kogler wieder zurück ins Spiel gekommen sind, erstmals mit den Möglichkeiten einer (kleinen) Regierungspartei. So geschlossen wie im Moment war die Partei wohl selten. Immerhin eine Parallele zur ÖVP, die unter Kanzler Kurz ja vormacht, wie eine nach außen geschlossene Truppe agiert. Den Zusammenhalt in den eigenen Reihen werden die Grünen im politischen Alltag mit dem Koalitionspartner nun auch dringend brauchen, um einen gangbaren Weg zu finden. Werner Kogler sollte sein Kampfhemd im Kleiderkasten nicht zu weit nach hinten hängen.