Der Verfassungsgerichtshof arbeitet derzeit Beschwerden gegen Maßnahmen der einstigen türkis-blauen Regierung ab. Nach dem Überwachungspaket, das in wesentlichen Teilen aufgehoben wurde, wurden Dienstag auch Kernpunkte der neuen Sozialhilfe gekippt. Aber die Höchstrichter haben auch einige ÖVP-FPÖ-Regelungen bestätigt. So hielt erst vor kurzem - mit kleinen Einschränkungen - die Kassenreform.

Bei der Reform der Mindestsicherung wurden gegen Zuwanderer gemünzten Maßnahmen der "Sozialhilfe neu" aufgehoben: Sowohl die Verknüpfung mit Sprachkenntnissen wie auch Höchstsätze für Kinder sind laut VfGH verfassungswidrig. Letzteres sei sachlich nicht gerechtfertigt und daher eine verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien. Im Grundsatzgesetz selbst sieht der VfGH aber keinen unzulässigen Eingriff in die Zuständigkeit der Länder.

Auch weite Teile des türkis-blauen "Sicherheitspakets"wurden erst in der vergangenen Woche für verfassungswidrig erklärt. Aufgehoben wurden unter anderem Bestimmungen über den "Bundestrojaner" sowie über die automatische Auswertung von Video-und Section-Control-Daten von Autofahrern. Die Überwachungsmaßnahmen hätten keinen ausreichenden Schutz von in die Überwachung einbezogenen unbeteiligten Dritten vorgesehen, argumentierten die Verfassungsrichter.

Die türkis-blaue Sozialversicherungsreform hielt hingegen im wesentlichen vor dem VfGH stand. Sowohl die Strukturreform mit einer starken Reduktion der Träger als auch die paritätische Besetzung der Gremien zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern wurden für verfassungskonform befunden. Verfassungswidrig waren nur die Übertragung der Sozialversicherungsprüfung von den Kassen an die Finanz und die Bestimmungen über den neuen Eignungstest für die Kassenfunktionäre.

Weitere Gesetze wackeln

Wackeln könnten aber noch weitere türkis-blaue Gesetze. So fechten etwa die betroffenen Kirchen und Arbeitnehmervertreter die Abschaffung des Karfreitags als Feiertag für Protestanten, Altkatholiken und Methodisten vor dem VfGH an. Ein anderes Gericht, nämlich der Europäische Gerichtshof, könnte die Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder zu Fall bringen. Über ein Verfahren entscheiden muss die EU-Behörde.

In vollem Ausmaß bestätigt hat der Verfassungsgerichtshof übrigens ein Gesetz, das nach dem Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition das freie Spiel der Kräfte im Nationalrat möglich gemacht hat: Das Rauchverbot in der Gastronomie. Sowohl Shisha-Bar-Betreiber als auch Nacht-Gastronomie blitzten mit ihren Beschwerden ab.

Bundesländer setzten aufgehobene Punkte nicht um

Niederösterreich wird die vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) gekippten Regelungen der Sozialhilfe im Bundesland nicht vollziehen. Dies geschehe, um möglichen Regressforderungen vorzubauen, betonte der zuständige Landesrat Gottfried Waldhäusl am Mittwoch im APA-Gespräch. Das im Juni im Landtag beschlossene Ausführungsgesetz solle dennoch Anfang Jänner Geltung erlangen, betonte der FPÖ-Politiker.

"Die Länder (Niederösterreich und Oberösterreich, die bereits entsprechende Ausführungsgesetze verabschiedet haben, Anm.) dürften auch die aufgehobenen Bestimmungen mit 1. Jänner vollziehen", verwies Waldhäusl auf die - auch laut VfGH - geltende Rechtslage. Er selbst halte davon "aber wenig", Regressforderungen durch Betroffene könnten die Konsequenz sein. Daher setzt der Landesrat darauf, die gekippten Maßnahmen - Verknüpfung mit Sprachkenntnissen und die Höchstsätze für Kinder - von den Bezirksverwaltungsbehörden vorerst nicht vollziehen zu lassen. "Diese Bestimmungen werden nicht angewendet, es gibt einen sogenannten Vollzugsstopp."

"So rasch wie möglich" ändern

Neben Niederösterreich wolle man die aufgehobenen Punkte nun auch in Oberösterreich nicht vollziehen, erklärte Oberösterreichs Landesrätin Birgit Gerstorfer im Ö1-"Morgenjournal". Nun müsse eine neue Lösung gefunden werden, eine Koppelung an die Deutschkenntnisse und die Kindersätze werde man "nicht vollziehen". Jetzt brauche es "so rasch wie möglich eine Änderung".

Das nun in Teilen aufgehobene Gesetz sei nicht mehr dafür gedacht gewesen, Armut zu verhindern. "Eine große Zielsetzung muss jetzt sein, diese wieder zu vermeiden." Zudem müssen Menschen wieder in der Arbeitssuche unterstützt werden. "Da gibt's aktuell wenig Unterstützung."