In der Wiener Stadthalle werden sonst nur die Pop- und Rockstars angebetet, die hier auftreten. Am Sonntagabend stimmten jedoch Tausende Besucher ein echtes gemeinsames Gebet an – und zwar für ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Dieser stattete der nicht unumstrittenen Veranstaltung „Awakening Europe“ einen Besuch ab, bei der sich Tausende junge Erwachsene aus zahlreichen Freikirchen und aus der katholischen und evangelischen Kirche zusammengefunden hatten. Die gemeinsame Mission: Menschen für Jesus zu begeistern.

Auf der Bühne verlor Kurz ein paar Worte über Menschen, denen er auf seiner Nicht-Wahlkampf-Tour begegnet war, und bedankte sich bei den Anwesenden. So weit, so unspektakulär – hätte im Anschluss nicht der umstrittene Evangelikale Ben Fitzgerald die Bühne betreten. Der Australier – früher Dealer und selbst drogenabhängig, bis er ein Gotteserlebnis in einem Nachtklub hatte – forderte die Gläubigen dazu auf, ihre Arme auszustrecken und für Kurz zu beten. „Gott, wir danken dir so sehr für diesen Mann. Für die Weisheit, die du ihm gegeben hast. Für das Herz, das du ihm gegeben hast für dein Volk“, sagte Fitzgerald, der „Europa vom Islam zurückholen“ will.

"Peinlich" und "befremdlich"

Ein Moment, der Kurz seither einiges an Kritik einbringt. Die evangelische Kirche distanzierte sich umgehend vom Festival, als „peinlich“ und „befremdlich“ bezeichneten FPÖ und Liste Jetzt den Auftritt. „In Österreich sind solche Bilder ungewöhnlich, weil in Europa – im Gegensatz zum Rest der Welt – aufgrund unserer Geschichte ein erhöhter Säkularismus herrscht“, erklärt Farid Hafez, Politikwissenschaftler an der Uni Salzburg, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. „In den USA ist es hingegen vollkommen normal, dass ein Pastor öffentlich für Trump betet.“ Laut Hafez gebe es in Amerika zwar auch eine Trennung zwischen Kirche und Staat, „aber keine zwischen Religion und Gesellschaft, wie es sie bei uns gibt“.

Signal nach außen

Warum dann dieser Auftritt? Das wurde Kurz auch bei einer Pressekonferenz am darauffolgenden Tag gefragt. Er habe nichts von dem Gebet gewusst und sich dabei auch nicht sonderlich wohlgefühlt, erklärte er. So ganz will ihm das Hafez aber nicht glauben. „Ich denke, dass dieses Unbehagen nicht daher kommt, dass er sich dort fremd gefühlt hat. Es dürfte eher die Rezeption dieser Bilder sein, die ihm zu denken gegeben hat.“

Die zentrale Frage, die sich für Hafez stelle, sei aber jene, warum Kurz überhaupt eine Veranstaltung mit vorrangig Evangelikalen besucht. „Einerseits handelt es sich hier um eine sehr kleine Wählergruppe und andererseits hat gerade die Abschaffung des Karfreitags gezeigt, dass ihn diese nicht sonderlich interessieren dürfte.“ Der Wissenschaftler vermutet ein anderes Motiv hinter der Aktion: „Ich denke, dass dieser Auftritt eher ein Signal an die internationale Gemeinschaft sein soll. Dafür nimmt er die Kritik im Inland in Kauf.“