Noch nicht einmal einen Monat ist her, dass der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) zurückgetreten und in der Folge die türkis-blaue Koalition zerbrochen ist.
Seither herrscht im Nationalrat das "freie Spiel der Kräfte" - jeweils zwei der größeren Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ könnten miteinander Gesetze beschließen, ohne dass ein Koalitionspakt sie aneinander zurrt. Ein ungewohntes Setting, das Risken wie Chancen birgt: Auf einmal findet sich der - üblicherweise von der Regierung dominierte - Nationalrat als Machtzentrum der Republik wieder.
Einfache Gesetze können in dieser Konstellation (die Anwesenheit aller Mandatare vorausgesetzt) in folgenden Mindestallianzen beschlossen werden, die über die nötigen 92 Stimmen verfügen: ÖVP mit SPÖ; ÖVP mit FPÖ, SPÖ mit FPÖ.
Verfassungsgesetze brauchen eine Zweidrittelmehrheit und somit mindestens 122 Stimmen. Die haben zusammen ÖVP und SPÖ und FPÖ, aber auch ÖVP und SPÖ und Neos, ÖVP und FPÖ und Neos, SPÖ und FPÖ und Neos, oder sogar die (unwahrscheinliche) Kombination SPÖ und FPÖ und Jetzt und die beiden "wilden" Abgeordneten Martha Bissmann (Ex-Jetzt) und Efgani Dönmez (Ex--ÖVP).
Die Folge: Eine neue Flut von Gesetzesanträgen. Um den Überblick zu bewahren, hier eine Liste, was welche Partei mit Stand heute (11. Juni) seit Zerbrechen der türkis-blauen Koaltion am 18. Mai beantragt hat:
Alle:
- Auflösung: Mit den Unterschriften der Klubobleute August Wöginger, Pamela Rendi-Wagner, Herbert Kickl und Beate Meinl-Reisinger haben die Parteien gemeinsam beantragt, die XXVI. Legislaturperiode vorzeitig zu beenden. Ein genauer Neuwahltermin ist noch nicht enthalten, es dürfte aber der 29. September werden.
SPÖ:
- Entscheidung über Anfragebeantwortungen: Jörg Leichtfried schlägt vor, der Verfassungsgerichtshof soll entscheiden dürfen, ob ein Minister eine parlamentarische Anfrage ausreichend beantwortet hat.
- Partei-Paket: Leichtfried und Thomas Drozda legen auch drei einzelne Anträge für Parteifinanzierung und -transparenz vor: Überschreitungen der Wahlkampfkosten-Obergrenze um mehr als ein Viertel sollen mit dem Doppelten des Überschreitungsbetrages gestraft werden; Parteispenden über 10.000 Euro pro Jahr sollen verboten, Personenkomittees gemeldet werden; Wahlkampfspenden sollen mit 200.000 Euro gedeckelt, Parteien zur Vorlage eines Wahlkampf-Finanzberichts bis maximal drei Monate nach der Wahl verpflichtet werden.
SPÖ/Grüne:
- Verschiebung Sozialversicherungs-Reform: Die grünen Bundesräte David Stögmüller und Ewa Dziedzic schlagen mit Unterstützung der SPÖ-Mandatare vor, die Sozialversicherungsreform um ein Jahr zu verschieben.
FPÖ:
- Verbot von Großspenden: Norbert Hofer schlägt vor, Parteispenden über 3.500 Euro zu verbieten.
Neos:
- Parteien-Paket: Die Neos schlagen eine Reihe neuer Regeln zur Parteifinanzierung und -transparenz vor, jeweils per eigenem Gesetz: Überschreitungen der Wahlkampfkostenobergrenze sollen mit bis zu dem eineinhalbfachen des Überschreitungsbetrags gestraft werden; diese Grenze soll künftig bei einem Euro pro Wahlberechtigten liegen; Rechenschaftsberichte detailliertere Angaben enthalten; drei Monate nach dem Wahltag sollen Parteien detaillierte Ausgabenbelege veröffentlichen; illegale Parteifinanzierung soll künftig gerichtlich strafbar sein; die Parteiförderung soll nicht mehr an die Inflation angepasst werden; und der Rechnungshof soll Parteien prüfen dürfen.
- Generalsekretäre abschaffen: Gerald Loacker will die von der türkis-blauen Bundesregierung eingeführten Generalsekretäre abschaffen - genauer gesagt schlägt er vor, ihnen die Weisungsbefugnis gegenüber dem gesamten Ministerium zu entziehen.
- Minister-Hearing: Nikolaus Scherak schlägt vor, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass sich Minister vor Ernennung durch den Bundespräsidenten einem Hearing durch den Nationalrat unterziehen müssen.
- Keine Regierungs-Inserate: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger will der Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode verbieten, Inserate oder sonstige Werbung zu schalten. Ausnahme: Informationen über die Nationalratswahl.
- Senkung AK-Beitrag: Loacker will Einkommen bzw Einkommensteile bis 1.000 Euro von der Arbeiterkammer-Umlage befreien...
- Senkung WKO-Beitrag: ...und die Wirtschaftskammer-Umlage 2 um eine Freistellung aller Einkommensteile von Mitarbeitern unter 1.000 Euro senken.
- Auflösung Sonder-Krankenanstalten für Beamte: Loacker verlangt die Auflösung der 15 Krankenfürsorgeanstalten - Sonderversicherungen, die ausschließlich bestimmten Beamten zugute kommen.
- Kindergeld für Kriseneltern: Michael Bernhard beantragt, dass Krisenpflegeeltern ab dem ersten Tag, an dem sie ein Kind aufgenommen haben, Kinderbetreuungsgeld zusteht.
- Kalte Progression: Josef Schellhorn will die Kalte Progression abschaffen - das Körberlgeld, das der Staat Bürgern durch Vorrücken in höhere Steuerklassen Jahr für Jahr mehr abnimmt.
- Politiker sollen für Pfusch haften: Irmgard Griss schlägt vor, die Organhaftung für Politiker, die Schaden verursachen (etwa im Fall der Hypo oder diverser Swap-Geschäfte), zu erweitern. Der Rechnungshof soll solche Schäden bei ihnen einklagen können. Selbiges soll auf Ebene der Amtshaftung gelten.
- Rauchverbot in Lokalen: Loacker will das Rauchverbot in der Gastronomie ab sofort einführen.
- Korruption in die Sicherheitsstatistik: Griss will eine verpflichtende Analyse von Korruptionstatbeständen im Sicherheitsbericht, den Innen- und Justizministerium jährlich an das Parlament übermitteln.
Jetzt:
- Partei-Paket: Wolfgang Zinggl schlägt vor, Überschreitungen der Wahlkampfkosten-Grenze auf bis zu dem Doppelten der Überschreitungsbetrags zu erhöhen; die Parteiförderung soll um den Anteil der Nichtwähler und ungültigen Stimmen bei der letzten Nationalratswahl verringert werden; der Rechnungshof soll Einsicht in Parteifinanzen bekommen und Geldbußen bei Versößen gegen Finanzierungsregeln erhöht werden.
- Naturschutz als Bundessache: Jetzt-Abgeordneter Alfred Noll will Naturschutz zur Bundsessache machen. Derzeit gibt es keine Regelung dafür in der Verfassung - und alles, wofür es keine Regelung gibt, ist nach Artikel 15 B-VG Sache der Länder.
- Wasserrechte müssen öffentlich bleiben: Noll will per Verfassungsgesetz sicherstellen, dass Bund, Länder und Gemeinden sowie deren Betriebe Trinkwasser und die Rechte daran nicht privatisieren dürfen.
- Rauchverbot in der Gastronomie: Daniela Holzinger-Vogtenhuber will das Rauchverbot in Lokalen ab sofort einführen.
- Tötung männlicher Küken: Holzinger-Vogtenhuber will per Tierschutzgesetz "das Töten männlicher Küken aus rein wirtschaftlichen Gründen" verbieten.
- Gesetze auf Klimatauglichkeit prüfen: Bruno Rossmann schlägt vor, dass Gesetzesvorschläge künftig auch die Auswirkungen auf Klima und Umwelt enthalten müssen.
- Sicherheit für Alleinerzieher: Alleinerzieher, die keine regulären Unterhaltsleistungen bekommen, sollen vom Staat einen "Ergänzungsbetrag" erhalten.
- Ministeranklagen als Minderheitsrecht: Bisher kann nur eine Mehrheit im Nationalrat Minister wegen politischer Verfehlungen beim Verfassungsgerichtshof anklagen. Noll will, dass das künftig schon ein Drittel der Abgeordneten kann.