Der EU-Wahlkampf mündet langsam in die entscheidende Phase. Nun wartet Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einem weiteren Vorstoß auf. Im Zuge der Reform des EU-Vertrages soll auch die EU-Bürokratie „entstaubt“ werden. „Das Freiheitsprojekt Europa wird immer mehr zum engen Bürokratiekorsett für die Bürger“, klagt der Kanzler gegenüber der Kleinen Zeitung.

"Frage des Hausverstandes"

Konkret verlangt Kurz die Streichung von 1000 EU-Verordnungen bzw. die Rückgabe der Kompetenzen dieser Verordnungen an die Mitgliedsstaaten. „Es ist eine Frage des Hausverstandes, ob sich die EU in die kleinsten Details unseres Alltags einzumischen hat. Kein Mensch braucht EU-Vorgaben etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes.“ 

Mit der ständigen Vergrößerung der EU habe über Jahrzehnte auch die Bürokratie enorm Ausmaße angenommen. Bisher sei noch keine Initiative gestartet worden, den Regelungswahnsinn zu stoppen und kritisch zu hinterfragen. Im Gegenteil. Immer mehr Regelungen werden aus Brüssel vorgegeben, die nur noch Kopfschütteln bei den Bürgern auslösen.

Die Kritik von Kurz (ÖVP) an der EU hat die Opposition auf den Plan gerufen. Wenn Kurz "über EU-Bevormundung klagt, ist das sein eigenes Versagen", kritisierte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried und warf ihm Tatenlosigkeit vor: Kurz, seit insgesamt sechs Jahren Regierungsmitglied, trage als Kanzler "alle EU-Entscheidungen im Kreis der EU-Staatschefs mit".

"ÖVP und FPÖ nicht mehr zu unterscheiden"

Den ehemaligen EU-Abgeordneten Leichtfried erinnern die Aussagen Kurz' an den Stil von Koalitionspartner FPÖ: "Die ÖVP und die Freiheitlichen sind nicht mehr unterscheidbar", heißt es in einer Aussendung am Sonntag.

"Kurz übernimmt im Kampf um Wählerstimmen nun endgültig die europa-feindliche Line der FPÖ", äußerte sich NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Die beiden von Kurz verwendeten Begriffe "Bevormundung durch Brüssel" und "Regelungswahnsinn" seien "Schlüsselwörter im Lager der Nationalisten und Rechtspopulisten". Verwundert zeigte sich Meinl-Reisinger in einer Aussendung am Sonntag, dass Kurz die "Bürokraten in Brüssel" angreift, zumal die Europäische Volkspartei (EVP/EPP), der die ÖVP angehört, seit Jahrzehnten "die Strukturen" dominiert und die ÖVP bisher stets den österreichischen EU-Kommissar stellte.

Experte zeigt sich skeptisch

Für den Europarechtsexperten Walter Obwexer ist die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) genannte Zahl von 1000 EU-Verordnungen ein "sehr ambitioniertes Ziel, das kaum zu erreichen" sein wird. Es sei zwar wichtig, EU-Richtlinien auf ihre Sinnhaftigkeit zu durchforsten, so Obwexer am Sonntag im "Ö1-Mittagsjournal", allerdings handle die EU ohnedies nach dem Prinzip der Subsidiarität.

Die EU regelt also "nur das, was die Mitgliedstaat nicht besser regeln können", erklärte der Experte von der Universität Innsbruck. Es werde dutzende Rechtsakte geben, in denen "die EU-Staaten in der Lage sind, das angestrebte Ziel ausreichend zu erreichen", aber die Zahl von 1.000 EU-Verordnungen erscheine Obwexer "dann doch recht hoch".

Eine Streichung der von Kurz als Beispiel genannten EU-Verordnung zu "Schnitzel und Pommes" sieht der Experte skeptisch. Jeder Mitgliedstaat würde dann regeln, auf welchem Schutzniveau Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, erklärte Obwexer. Das Abschaffen dieser EU-Verordnung "wäre für den Binnenmarkt zumindest nicht förderlich".