Ab heute müssen sich ÖVP-Klubchef August Wöginger sowie zwei Beamte wegen einer mutmaßlich rechtswidrigen Postenbesetzung im Finanzamt Braunau vor Gericht verantworten. Der Prozess dürfte über diesen konkreten Fall hinaus bedeutsam werden, wird doch indirekt auch über das Selbstverständnis der heimischen Politik verhandelt.

Denn Wöginger bestreitet gar nicht, sich für einen ÖVP-Bürgermeister eingesetzt zu haben. Jedoch habe er zu keiner Zeit Einfluss auf die Stellenbesetzung genommen, verteidigt sich der ÖVP-Klubchef, sondern er habe nur ein Bürgeranliegen weitergetragen. „Ich bin nicht der Einzige, der solche Anliegen weiterleitet. Das ist Teil unserer politischen Arbeit“, schrieb er, als die Ermittlungen begannen.

Es ist denkbar, dass im Prozess in Linz die Grenzen politischen Wirkens neu gezogen werden. Sicher ist, dass die insgesamt 31 geladenen Zeugen, darunter Kronzeuge Thomas Schmid, tiefe Einblicke in den Maschinenraum der Republik gewähren werden. Allein deshalb ist das Verfahren relevant. Es stellt aber eben das Politikverständnis der ÖVP infrage.

Als Österreich Weltmeister bei Parteimitgliedschaften war

Denn wie keine andere Partei sieht sich die Volkspartei mit ihrer lokalen Verwurzelung von knapp 2400 Ortsgruppen und Vorfeldorganisationen, als direkte Anlaufstelle für Anliegen aller Art. Das war auch immer so. Doch über die Zeit haben sich der rechtliche Rahmen und die behördlichen Spielräume geändert. Die einst selbstverständliche Parteienpatronage gehört der Vergangenheit an – aber nicht zur Gänze.

Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschafter an der Uni Wien, spricht in diesem Zusammenhang von einer Veränderung bei „Angebot und Nachfrage“. Ihre Hochblüte erlebte die Patronage, also das intensive Kümmern der Parteien, in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik. Österreich war damals Weltmeister bei Parteimitgliedschaften, rund 40 Prozent der Wahlberechtigten entweder bei SPÖ oder ÖVP eingeschrieben. Diese Form der Loyalität war aber auch ein impliziter Versorgungsauftrag an die Parteien – für Wohnungen, Jobs und sonstige Hilfestellungen.

Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik
Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik © Christoph Kleinsasser

Der Niedergang der Verstaatlichten, der Rückgang des öffentlichen Wohnbaus sowie die Einführung von Objektivierungskriterien bei der Wohnungsvergabe und bei Postenbesetzungen haben die Einflussmöglichkeit der Politik zwar nicht beendet, aber doch begrenzt. Im Jahr 1977 schlossen SPÖ, ÖVP und FPÖ zudem einen historischen Kompromiss: Sie richteten die Volksanwaltschaft als eigenständige Stelle ein.

Damit entmachteten sich die Parteien als Hilfesteller für behördliche Angelegenheiten und Beschwerden gewissermaßen selbst – allerdings nur teilweise. Denn sicherheitshalber wurde damals auch beschlossen, dass die drei stärksten Parteien im Nationalrat je einen Volksanwalt nominieren dürfen. SPÖ, ÖVP und FPÖ haben daher bis heute eine Hand auf dieser Institution. Parallel dazu wurden in einigen Spezialbereichen Ombudsleute und Beschwerdestellen eingerichtet. „Die Versorgungspatronage hat abgenommen“, sagt Ennser-Jedenastik.

Kleiner Spielraum, schärferes Korruptionsstrafrecht

Ein weiterer Punkt: Der Gesetzgeber hat den früher in vielen Bereichen großen Ermessensspielraum der Behörden eingeschränkt. Interventionen gegen Entscheidungen sind dadurch schwieriger geworden und führen weitaus schneller in den heiklen Graubereich zum Amtsmissbrauch. Zudem haben sich die Korruptionsbestimmungen deutlich verschärft. „Abseits vom Strafrechtlichen ist es eine Diskussion wert, welche Art von politischen Interventionen legitim sind“, sagt Politologe Ennser-Jedenastik. „Die Trennlinie ist nicht so leicht zu ziehen“.

Den Prozess in Linz wird aber nicht nur die ÖVP mit nervöser Spannung verfolgen. Auch andere Parteien haben sich zuletzt wieder verstärkt den guten, alten „Bürgeranliegen“ gewidmet. Nicht zuletzt deshalb, da die KPÖ in Graz und in Salzburg dank ihres Wohn- und Sozialservices politische Erfolge eingefahren und dabei ÖVP und SPÖ in deren Königsdisziplin geschlagen hat: dem engen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern. Als Oppositionspartei liefen die Kommunisten aber nicht Gefahr, ihre Macht zu missbrauchen. Mit dem Rollenwechsel in Graz und teilweise in Salzburg hat sich die Situation für die KPÖ verändert: Mehr Vorsicht ist jedenfalls geboten. „Der Spielraum für die Politik ist hier zu verhandeln“, sagt Ennser-Jedenastik. Nachsatz: „Das ist alles andere als trivial.“