MICHAEL FLEISCHHACKER: Das ist eine extrem gemeine Frage, weil naturgemäß jeder weiß, dass niemand, der auf sich hält, eine gute Betragensnote haben will. Was der Schüler von Welt anstrebt, ist ein Notendurchschnitt von 1.0 und ein Oszillieren zwischen „Wenig Zufriedenstellend“ und „Nicht Zufriedenstellend“, also die Dauerdrohung mit dem Schulverweis, die nur nie wahr gemacht wird, weil man auf brillante Schüler nicht verzichten kann. Wer eine Betragensnote überhaupt bedenkt oder gar aktiv auf ein „Sehr Zufriedenstellend“ hinarbeitet, hat verloren, und zwar für immer.

ARMIN THURNHER: Früher gab es (vielleicht gibt es das noch immer) die Note für „äußere Form der schriftlichen Arbeiten“. Meine Mutter erzählt immer von ihrem Abgangszeugnis von der Handelsschule, mit lauter Einsern, aber auf der Rückseite zerstörte ein Gut für „äußere Form der schriftlichen Arbeiten“ alles. Das hätten Sie sich sparen können, meinte sie später, fügte aber hinzu, dass es sich immerhin nur auf Seite Zwei befand. Ich finde es ja ganz lustig und auch zielführend, die Regierung nach ihrer Anmutung zu beurteilen, die einzelnen Fachnoten interessieren doch niemand, oder?

FLEISCHHACKER: Äußere Form der sprachlichen Arbeiten wäre dann im Fall der Politik angemessen, denn Machtausüben ist ja in erster Linie sprechen und in zweiter Linie nichts sagen. Die äußere Form der sprachlichen Arbeit dieser Regierung wiederum halte ich für ausgesprochen durchwachsen, ich kann da nicht allem folgen, aber das kann auch an meinen altmodischen Vorstellungen von Grammatik und Ausdruck liegen. Wir beide haben ohnehin schon verloren, Thurnher, denn mir scheint, dass das Sprechen in ganzen Sätzen nicht nur in den österreichischen Grundschulen keine Rolle mehr spielt.

THURNHER: Ja, wo soll man anfangen! Immerhin ist das Handyverbot ein später Schritt zur Erkenntnis, der allerdings über das Digitalisierungsgebot stolpert, ehe der Fuß den Boden berührt. Ich bin aber dafür, den Begriff der äußeren Form zu erweitern. Sie haben recht, sprachlich ist hier viel zu tun, Kommunikationsberater haben weite Gebiete der Landschaft verwüstet, was übrig bleibt, vernichten die Journalisten, und im Allgemeinen fühlen sich Politikerinnen besonders wohl, wenn sie den Bedürfnissen der beiden genannten Berufsgruppen entsprechen. Es gibt aber Ausnahmen.

FLEISCHHACKER: Sie deuten an, dass sich die Politik in ein Paralleluniversum zurückgezogen hat, in dem Politiker und Berater ihre genau abgestimmten Umlaufbahnen absolvieren und jede Nichtkollision als galaktischen Erfolg feiern. Kontakte mit der irdischen Realität werden vermieden, und dort, wo sie unausweichlich sind, tut man so, als kenne man einander nicht. Das kann sogar gut gehen, wenn sich rund um uns auf der Welt bedeutende Dinge abspielen, denen man im Zweifelsfall alles, was bei uns nicht passiert, als Ursache zuschreiben kann. Dennoch ist das Konzept endlich, denn der wirtschaftliche Abstieg lässt sich nicht ewig durch zusätzliche Geldschwemmen kaschieren.

THURNHER: In der Soziologie nennt man das Autopoiesis, glaube ich. Sich selbst stiftende Systeme. Aber diese Diagnose des weiland Niklas Luhmann gilt für alle Sphären der Gesellschaft, auch für die Medien. Interessant wird es dort, wo die Sphären einander berühren. Aber, lieber Fleischhacker, wir wollen nicht abgleiten in so schnöde Bereiche wie Ökonomie, wo wir zwei uns sowieso einig sind, nicht einig zu sein. Bleiben wir doch bei der Stilfrage! Ich zum Beispiel bin der Meinung, dass diese Regierung in einer Zeit allgemeiner Verrüpelung an den Staatsspitzen ein positives Zeichen setzt, indem sie versucht, sich einfach unauffällig und gut zu benehmen. Das ist in Zeiten monströser, digital vorgetragener Verrohung doch geradezu ein Zeichen des Widerstands!

FLEISCHHACKER: Ich weiß, dass Sie ein eleganter Herr sind lieber Thurnher, ein Poet auch, wie ich lese, und da kann ich nachvollziehen, wie viel Ihnen daran liegt, dass die Menschen, die an ihrer schönen Buchstabentafel speisen, nicht rülpsen und brüllen. Zugleich scheint mir das alles in einem sehr biedermeierlichen Rahmen abzulaufen. Die Welt da draußen ist schlecht, man müsste wirklich gravierend eingreifen, aber lasst uns zuerst einmal höflich sein. Kann das wirklich gut gehen?

THURNHER: Ja, da haben Sie richtig gelesen, aber es gab Poeten, die schreckliche Rüpel waren und gar nicht elegant. Jedoch ist unsere westliche Welt der Demokratie auf Vereinbarungen aufgebaut, einander nicht mit Terror und Gewalt zu begegnen, sondern die Macht, die wir (als Staatsoberhäupter zumal) notwendigerweise ausüben, durch Selbstbeschränkung zu zivilisieren. Das ist der tiefere Sinn von Manieren, was auch die Aufklärung erkannte. Der Freiherr von Knigge war eben kein bloßer Benimmonkel, sondern versuchte, eine weitere Stufe im Prozess der Zivilisation zu erklimmen. Die Zerstörer der Demokratie erkennt man auch an ihrem schlechten Benehmen, gleich ob sie nun Trump oder Kickl heißen. Auch der aufschneiderische, gnadenlos marketingkontrollierte Stil von Leuten wie Sebastian Kurz ärgert mich vor allem, weil er mich auf kränkende Weise für dumm erklärt.

FLEISCHHACKER: Ich kann Ihnen, was den direkten Zusammenhang zwischen Benehmen und politischer Effizienz angeht, nicht vollständig folgen. Sollten wir uns darauf einigen können, dass Winston Churchill einer der großen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts gewesen ist, so könnte man doch auch meinen, dass eine gewisse Form der Rüpelhaftigkeit zur politischen Notwendigkeit werden kann. Wenn es sich alle in ihren Konventionen und Paralleluniversen zu bequem gemacht haben, ist vielleicht doch dann und wann Disruption das Gebot der Stunde.

THURNHER: Churchill war deftig, aber kein Rüpel. Donald Trump ist einer, und hier ist der Stil die Sache: Er will nicht Gegner besiegen, er will Feinde zerstören. Disruption von mir aus, aber nicht der Demokratie als ganzer! Deswegen lob ich mir an unserer Regierung, was anderen „zahm“ oder gar „lahm“ erscheint. Und ertrage sogar das Englisch unserer Außenministerin, die zu uns ja nicht mehr Deutsch spricht. Sage ich, der ich nicht als Deutschtümler bekannt bin.

FLEISCHHACKER: Das scheint mir ja nun gerade das Problem: Dass jeder, der von Disruption spricht, als potenzieller Zerstörer der Demokratie gilt. Das ist die Selbstimmunisierung derer, die nichts ändern wollen, und ihr Beharrungsvermögen macht die Disruption immer nötiger – und auch gefährlicher, an dem Punkt würde ich Ihnen sogar zustimmen.

THURNHER: Ja, es kommt im Großen eben immer auf die kleinen Unterschiede an. An diesem Punkt sehe ich mich aus Platzgründen gezwungen, diese Debatte zu disrupten!