Unmittelbar nach der Wahl hatte FPÖ-Chef Herbert Kickl der ÖVP ein Maßnahmenpaket zur Belebung des Wirtschaftsstandorts vorgelegt. Es war ein auf zwei Papierseiten dicht gewebter roter Teppich an Ideen, die weitgehend deckungsgleich mit Wünschen der Volkspartei waren. Die entscheidende Frage ist: Steht das Angebot noch? Denn die Verhandlungsmacht der ÖVP hat sich seither dramatisch verschlechtert. Sie hat keine Koalitionsalternative mehr und eine Neuwahldrohung als Druckmittel in den Gesprächen gleicht für die Volkspartei einer Art Nahtoderfahrung.

Viel wird davon abhängen, wie die FPÖ in die Verhandlungen mit der ÖVP gehen wird, welche Schwerpunkte sie setzt und ob der rote Teppich vielen roten Linien der FPÖ weichen wird, die von der Volkspartei gesundheitsgefährdende Verbiegungen verlangen. Denn im Wahlprogramm der Freiheitlichen sind auch etliche Punkte angeführt, die dem Politikverständnis von Türkis (und vor allem Schwarz) entgegenstehen.

Konsolidierung ist auch für Blau-Türkis große Hürde

Wie schon früher sind Überschneidungen im wirtschaftspolitischen Bereich gegeben und darin speziell beim Dogma „keine neuen Steuern“. Beide Parteien wollen auch ein Standortförderungsgesetz, eine Senkung der Gewinnsteuer für Unternehmen (KÖSt) sowie eine ganze Reihe an steuerlichen Anreizen, etwa bei Investitionen, Überstunden und Beschäftigung von Pensionisten. Streitpunkt ist die FPÖ-Forderung nach einem Ende der Pflichtmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer.

Die steuerpolitischen Wünsche von ÖVP und FPÖ würden, je nach Überschlagsrechnung, 12 bis 15 Milliarden Euro kosten. Die EU-Fiskalregeln verlangen von Österreich jedoch eine Budgetkonsolidierung von rund 18 Milliarden Euro. Diese Realität hat bereits bei der Dreier-Koalition zu unüberbrückbaren Differenzen geführt, zum Beispiel beim Thema Pensionen, die budgetär ein großer Hebel wären. Die SPÖ hatte sich gegen Kürzungen gewehrt, und auch die FPÖ will laut ihrem Programm Pensionen „über das gesetzliche Mindestmaß“ hinaus erhöhen. Die Budgetsanierung wird auch für Türkis-Blau eine große Herausforderung.

FPÖ will bei Asyl EU-Recht umgehen

Beim blauen Kernthema Migration und Asyl sind die Zielsetzungen von ÖVP und FPÖ ähnlich, denn beide wollen irreguläre Einwanderung beenden und den politischen Islam bekämpfen. Aus dem Wahlprogramm der FPÖ geht jedoch hervor, dass dafür Maßnahmen gesetzt werden sollen – Stichwort „Festung Österreich“ –, die gegen EU-Recht verstoßen, wie etwa Pushbacks an der Grenze. Auch soll laut den Blauen das Asylrecht in Österreich temporär ausgesetzt werden und Flüchtlinge grundsätzlich nie die Staatsbürgerschaft erhalten.

In diesem Beispiel offenbart sich auch ein Grundkonflikt zwischen ÖVP und FPÖ, die der europäischen Integration skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Selbst in der Offerte vom Herbst ist nur eine „Außerstreitstellung des Europäischen Wirtschaftsraums“, nicht aber der EU enthalten. Die FPÖ will auch Zahlungen an die EU eigenmächtig zurückhalten, bis diese den Außengrenzschutz gewährleistet. Klima-Strafzahlungen wollen die Blauen nicht bezahlen.

Die EU-Politik war auch bei bisherigen ÖVP-FPÖ-Koalitionen ein Konfliktpunkt, der unter anderem dazu geführt hat, dass die EU-Agenden bei Türkis-Blau aus dem Außenministerium herausgelöst wurden. Als Kanzler würde Kickl aber im EU-Rat der Regierungschefs sitzen, an der Seite Viktor Orbáns, mit dem er bereits jetzt eine Allianz bildet. Darin liegt auch für die Regierungsarbeit während der Legislaturperiode ein bedeutendes Reibungspotenzial. Denn dass Kickl auf das innerparteiliche Gefühlsleben der ÖVP wenig Rücksicht nimmt, bewies etwa auch die in seiner Amtszeit durchgeführte Razzia im Verfassungsschutz.

Austritt aus Sky-Shield?

Das beinhaltet auch die EU-Position in Sachen Krieg in der Ukraine. Die FPÖ hat sich gegen die Sanktionen gegen Russland gestellt, will den Beitritt zur internationalen Flugabwehr Sky-Shield rückabwickeln und keine Zahlungen mehr an die EU-Friedensfazilität leisten. Dies würde erhebliche Verrenkungen von der ÖVP verlangen, die sich sehr klar an die Seite der Ukraine stellte. Die Freiheitlichen verlangen in ihrem Programm auch eine weitere Nutzung von russischem Gas. Dagegen spricht mittlerweile aber auch die Realität, da die Ukraine kein Gas mehr durch ihr Territorium mehr durchleitet.

Zwei Punkte sind für die FPÖ von besonderer Bedeutung: das Aus der ORF-Haushaltsabgabe sowie der Ausbau der direkten Demokratie mit verpflichtenden Volksabstimmungen. Ersteres würde bedeuten, den öffentlichen Rundfunk künftig aus dem Budget zu bezahlen. Das hat die FPÖ bereits mit der ÖVP unter Sebastian Kurz vereinbaren können, wurde aber nicht umgesetzt und wird budgetär in naher Zukunft ähnlich schwierig, wie die von der FPÖ geforderte Abschaffung der CO₂-Steuer. Verpflichtende Volksabstimmungen fanden 2017 ebenso Eingang ins Regierungsprogramm, sie sollten damals am Ende der Legislaturperiode beschlossen werden. Innerhalb der ÖVP gibt es bei diesem Punkt jedoch, vorsichtig formuliert, große Vorbehalte.

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