Es ist das abrupte Ende eines jahrelangen Aufstiegs: Eva Kaili, erst bekannte Nachrichtensprecherin in ihrer griechischen Heimat, später Hoffnungsträgerin der sozialistischen Partei Pasok und schließlich Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, ist über einen handfesten Korruptionsskandal im Zusammenhang mit dem Golfemirat Katar gestürzt.

Die 44-jährige Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament wurde am Freitag festgenommen. Einen Tag später wurden ihr die Befugnisse als Parlamentsvizepräsidentin entzogen. Am Sonntag musste die griechische Politikerin mit den langen blonden Haaren in Untersuchungshaft, nachdem die belgische Bundesstaatsanwaltschaft Ermittlungen wegen bandenmäßiger Korruption und Geldwäsche eingeleitet hatte.

"Säcke mit Bargeld"

Die Ermittler hatten in Kailis Wohnung in der belgischen Hauptstadt "Säcke mit Bargeld" gefunden, wie AFP aus Justizkreisen erfuhr. Ihr Lebensgefährte, der sieben Jahre jüngere Italiener Francesco Giorgi – ehemaliger parlamentarischer Assistent und Spezialist für Menschenrechtsfragen und auswärtige Angelegenheiten – wurde ebenfalls festgenommen. Die beiden sind seit fünf Jahren ein Paar und haben eine zweijährige Tochter.

Ihre Karriere hatte Eva Kaili in ihrer Heimatstadt Thessaloniki begonnen, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Im Alter von 20 Jahren wurde die damalige Architekturstudentin 1998 Stadträtin. Nach ihrem Abschluss in Architektur studierte sie internationale und europäische Beziehungen und absolvierte eine Ausbildung zur Journalistin.

Ab 2004 wurde Kaili ein vertrautes Gesicht für viele Griechen. Sie begann, die Nachrichten bei Mega zu moderieren, einem der großen privaten Fernsehsender des Landes. 2007 wechselte sie dann in die obere Etage der nationalen Politik: Kaili, damals 29-jährig, wurde ins griechische Parlament gewählt. Sie war die jüngste Abgeordnete der Pasok-Partei. 2014 folgte der Wechsel ins EU-Parlament. Bei der Europawahl 2019 konnte sie ihr Mandat verteidigen.

In ihrem Heimatland galt Eva Kaili seit Jahren als Querkopf innerhalb der Pasok. Immer wieder ging sie auf Distanz zur Parteilinie. Als die Regierung in Athen den jahrelangen Namensstreit mit dem Nachbarstaat beilegte, der seither Nordmazedonien heißt, schrieb sie im Kurzbotschaftendienst Twitter von einem "irreparablen Schaden für die Geschichte, Mazedonien und die Griechen" – und vertrat so die Linie der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND).

2019 kritisierte sie Hilfszahlungen der linken Regierungspartei Syriza zur Bewältigung der Folgen der langjährigen Wirtschaftskrise mit den Worten, Sozialleistungen seien etwas "für Faulenzer".

Im Jänner 2022 schaffte Kaili dann den Aufstieg in die Leitungsebene des EU-Parlaments: Im ersten Wahlgang wurde sie zu einer von 14 Vize-Präsidentinnen und -Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt.

Reise nach Katar

Kaili war Teil der Delegation, welche die Beziehungen der Europäischen Union zur arabischen Halbinsel ausbauen sollte. Deshalb war sie kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft nach Katar gereist.

Laut Brüsseler Staatsanwaltschaft geht es bei den Korruptionsermittlungen um den Verdacht, dass Katar mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht hat, Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen.

In ihrer Heimat ging Kailis Partei nach Bekanntwerden des Skandals rasend schnell zu ihr auf Distanz. Schon am Freitag, kurz nach Bekanntwerden ihrer Festnahme, gab die Pasok bekannt, Kaili sei "aus der Partei ausgeschlossen" worden. Am Samstag erklärte der Pasok-Vorsitzende Nikos Androulakis, Kaili verhalte sich "wie ein trojanisches Pferd" der derzeit in Athen regierenden konservativen ND. Er habe Kaili mitgeteilt, "dass sie bei den nächsten Europawahlen nicht mehr für unsere Partei kandidieren wird".