Mario Draghi ist seit seiner Zeit als Chef der Europäischen Zentralbank für seine zurückhaltende Eleganz und sorgsame Wortwahl bekannt. Umso größer fiel daher das Erstaunen aus, als Italiens Ministerpräsident nach der Sofa-Affäre von Ankara den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unverblümt als „Diktator“ bezeichnete. „Ich war sehr betrübt über die Demütigung, welche die Kommissionspräsidentin wegen dieser – nennen wir sie beim Namen – Diktatoren erleiden musste.“

Die empörte Reaktion Ankaras ließ nicht auf sich warten. Außenminister Mevlüt Çavuolu echauffierte sich auf Twitter über Draghis „inakzeptable populistische Rhetorik“, bestellte den italienischen Botschafter ein und forderte in einer Protestnote die sofortige Rücknahme der Äußerungen.

Im Unterschied zu seinem Vorgänger Giuseppe Conte spart Draghi mit öffentlichen Auftritten. Die Feststellung, Erdogan sei ein Diktator, äußerte er vor neutralem Hintergrund in seinem Amtssitz. Conte posierte für seine häufigen Video-Ansprachen gern vor riesigen alte Gemälden mit Schlachtenszenen, die die Dramatik der Pandemie unterstrichen.

Pragmatisch betonte Draghi die Unumgänglichkeit, mit „diesen Diktatoren“ zum Wohl des eigenen Landes zusammenzuarbeiten. Dabei müssten Meinungsunterschiede „offen“ ausgesprochen werden.



Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler geht verbal zwar nicht so weit wie Italiens Ministerpräsident und meidet im Gespräch mit der Kleinen Zeitung das Wort Diktator. Doch sie sieht sich in ihrer Forderung nach einem Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei bestätigt: „Es ist für mich völlig klar, dass Schluss sein muss mit dem Märchen vom EU-Beitritt der Türkei.“

Das Verhalten des türkischen Präsidenten sei eine „inakzeptable Provokation“, die jedenfalls nicht folgenlos bleiben dürfe. Erdogan habe „vor laufender Kamera gezeigt, was er von Frauenrechten hält, ja wie er Frauen behandelt“. Das müsse „Konsequenzen haben, auch in der Härte der Verhandlungsführung“ in den laufenden Gesprächen mit Ankara. Bei aller Notwendigkeit, mit der Türkei im Dialog zu bleiben, dürfe Europa nicht als Bittsteller auftreten. „Es ist höchste Zeit, dass Europa sich seiner Stärke bewusst wird. Auch in der Migrationsfrage werden wir uns nicht von Erdogan erpressen lassen. Die EU ist der größte Handelspartner der Türkei. Die Türkei will auch etwas von uns wie eine Modernisierung der Zollunion.“

Kritik übt Edtstadler auch an EU-Ratspräsident Charles Michel, der Ursula von der Leyens Verbannung auf das Sofa tatenlos hingenommen hatte: „Es wäre wünschenswert gewesen, wenn irgendjemand oder auch der EU-Ratspräsident gesagt hätte, vielleicht gibt es irgendwo in diesem Palast einen dritten Sessel, weil wir sind drei Gesprächspartner und nicht zwei.“