Mit einer Großdemonstration in Berlin wollen die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer ihre Forderung nach Verhandlungen mit Russland im Ukraine-Krieg untermauern. Für den Protest am Brandenburger Tor an diesem Samstag sind bei der Polizei 10.000 Teilnehmer angemeldet.

Wagenknecht und Schwarzer hatten den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich in einem viel diskutierten "Manifest für Frieden" aufgefordert, "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen" und sich "an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen" zu setzen.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) kritisierte die Demonstration. "Jeder, der bei Sinnen und Verstand ist, wünscht sich Frieden", sagte der deutsche Wirtschaftsminister am Freitagabend in einem ARD-"Brennpunkt". Wagenknecht und die ihr folgenden Leute wollten aber etwas als Frieden verkaufen, das ein "imperialistischer Diktator" Europa aufzwinge. Wenn sich das durchsetze, wäre das eine Einladung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die nächsten Länder zu überfallen.

Die Polizei wird mit deutlich mehr Kräften im Einsatz sein als bei einer großen Berliner Demonstration zur Unterstützung der Ukraine am Freitag, dem Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Hintergrund ist, dass die Demonstranten am Samstag aus verschiedenen politischen Lagern von weit rechts bis weit links kommen könnten und Konflikte befürchtet werden. Im Internet werde in viele unterschiedliche Richtungen mobilisiert, so die Polizei.

Manifest für den Frieden

Schwarzer und Wagenknecht hatten ihr Manifest vor zwei Wochen veröffentlicht. "Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern", hieß es darin. Kritiker hatten ihnen vorgeworfen, der Text sei "naiv". Auch Scholz hatte gesagt, er teile die Überzeugung darin nicht. Man müsse verstehen, "dass der russische Präsident gegenwärtig nur eine Form von Verhandlungen akzeptiert, nämlich dass irgendjemand bedingungslos kapituliert und er alle seine Ziele durchsetzt", sagte der Kanzler in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner".

Führende Politiker von SPD und Linke grenzten sich ebenfalls ab. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagte der "Rheinischen Post" (Samstag): "Die Sichtweise von Frau Wagenknecht ist nicht meine." Es wäre aus seiner Sicht gut gewesen, wenn der Aufruf eine stärkere Abgrenzung gegenüber radikalen Strömungen gehabt hätte. Mützenich sagte aber auch, man müsse anerkennen, dass Teile der Bevölkerung eine noch stärkere Orientierung auf Friedensgespräche wünsche.

Auch Linke-Parteichefin Janine Wissler kritisierte den Aufruf zur Veranstaltung. Der Umgang mit der Mobilisierung in rechten Kreisen mache ihr Sorgen. "Da hat der Aufruf eine Leerstelle", sagte Wissler den Funke-Zeitungen.

"Gegenteil von rechter Politik"

Alice Schwarzer widersprach den Vorwürfen. "Selbstverständlich werden wir gegen jede Art von rechtsextremer Propaganda auf dem Platz angehen", versicherte die Frauenrechtlerin der Deutschen Presse-Agentur. Sowohl Wagenknecht als auch sie stünden für das Gegenteil von rechter Politik. Mit Blick auf die vielen Unterzeichner des Manifestes sagte sie: "Wir sind also auf dem besten Weg, eine richtige Bürgerbewegung zu werden." Es erstaune sie, dass Kanzler Scholz die Bedenken so vieler Menschen offenbar nicht ernst nehme. "Es geht hier um das Überleben der Menschheit", sagte Schwarzer. "Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat gesagt, wir gingen mit offenen Augen in den Weltkrieg."

Schwarzer bestritt auch, dass sie generell gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sei. Diese müssten aber einhergehen mit diplomatischen Bemühungen. Es stimme absolut nicht, dass Wagenknecht und sie eine Kapitulation der Ukraine in Kauf nehmen wollten. "Aber nach einem Jahr Tod und Zerstörung frage ich auch: Was hält uns davon ab, jetzt schon Verhandlungen zu beginnen anstatt noch drei Jahre damit zu warten?"

Demo gegen Krieg

Am Freitagabend hatten mehr als 10.000 Menschen in Berlin gegen den Krieg demonstriert und die Unterstützung der Ukraine gefordert. Das Brandenburger Tor war am Abend blau-gelb angestrahlt. Bei einer Kundgebung riefen Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev zur Solidarität mit der Ukraine auf. Begleitet wurden sie auf der Bühne von vielen Botschaftern weiterer europäischer Länder.

Viele Demonstranten schwenkten blau-gelbe ukrainische Flaggen. Immer wieder riefen sie "Freiheit für die Ukraine" und "Stoppt den Krieg". Vor der Russischen Botschaft nahe dem Brandenburger Tor skandierten die Menschen: "Russland ist ein Terrorstaat".

Botschafter Makeiev dankte den Deutschen für ihre "fantastische Solidarität". Eine Million Ukrainer hätten Schutz gefunden und Deutschland habe Waffen geliefert. "Deutsche Waffen retten Leben. Deutsche Waffen retten Ukrainer", rief er. Makeiev hatte am Freitagnachmittag einen vor der russischen Botschaft aufgestellten zerstörten Panzer besichtigt. Über die Gegner weiterer Waffenlieferungen sagte Makeiev: "Der Frieden muss erkämpft werden."

Haltung zu Waffenlieferung geteilt

Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist der Auffassung, dass die deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine eine Kriegsbeteiligung bedeuten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur stimmen 51 Prozent der Befragten dieser Einschätzung zu, nur 37 Prozent sehen das nicht so. Völkerrechtler sind sich einig, dass Waffenlieferungen in einen Krieg den Lieferanten nicht zur Kriegspartei machen - egal um welche Waffen es sich handelt. Russland sieht die westlichen Verbündeten der Ukraine dennoch als Kriegsbeteiligte.

Ein Jahr nach dem russischen Angriff ist die Haltung zu den Waffenlieferungen in Deutschland geteilt. 40 Prozent der von YouGov Befragten meinen, es seien zu viele Waffen aus Deutschland an die Ukraine geliefert worden. Dagegen halten 22 Prozent die militärische Unterstützung für zu gering, 23 Prozent finden sie genau richtig.