Die Vereinten Nationen erheben schwere Anschuldigungen gegen Russland: Laut einem neuen Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für die Ukraine sollen russische Streitkräfte gezielt Zivilistinnen und Zivilisten in Frontnähe über längere Strecken mit Drohnen verfolgt und angegriffen haben. Ziel dieser Taktik sei es, die Bevölkerung aus den betroffenen Gebieten zu vertreiben.
Der 17-seitige Bericht, der in dieser Woche der UNO-Generalversammlung vorgestellt werden soll, beschreibt ein Muster von Angriffen, das unter dem Begriff „Drohnensafari“ in der Ukraine bekannt ist. Die Kommission stützt ihre Erkenntnisse auf 226 Interviews sowie die Auswertung von Hunderten verifizierten Onlinevideos.
„Gezielte Strategie zur Vertreibung“
In dem Dokument heißt es, die Angriffe seien „Teil einer koordinierten Strategie, um Zivilisten aus diesen Gebieten zu vertreiben“. Die Kommission dokumentierte Vorfälle über mehr als ein Jahr hinweg in drei südlichen Regionen der Ukraine entlang des Flusses Dnipro. Demnach werden Zivilisten über weite Strecken von Drohnen verfolgt und mit Brandbomben oder Sprengstoff angegriffen. Die Drohnenangriffe hätten zu einem starken Bevölkerungsrückgang in einigen Gebieten geführt, hieß es. Mancherorts seien nur noch ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen zurückgeblieben. Auch Feuerwehrleute, Sanitäter und andere Ersthelfer seien angegriffen worden, wodurch die lokale Bevölkerung von Notdiensten abgeschnitten werde.
Ein Beispiel beschreibt den Angriff auf eine Frau aus Cherson im August 2024: Sie sei von einer Drohne verfolgt worden, als sie ihr Auto parkte. Als sie in ihrer Garage Schutz suchte, wurde sie attackiert und verletzt. Noch am selben Tag trafen weitere Drohnen ihr Haus – sie musste ihr Haus verlassen und zog weg.
„Sie verfolgen wirklich Menschen“
Die Untersuchung, deren Ergebnisse diese Woche der UN-Generalversammlung vorgelegt werden, fußt auf Interviews mit 226 Personen sowie auf der Sichtung Hunderter verifizierter Online-Videos. Die Angriffe seien über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr in drei Regionen im Süden der Ukraine nahe der Frontlinie und gegenüber den russischen Streitkräften auf der anderen Seite des Flusses Dnipro erfasst worden. Der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Erik Mose, erklärte gegenüber Reuters: „Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diese Drohnenpiloten mit Absicht handeln. Sie verfolgen wirklich Menschen – in ihren Gärten, zu Hause oder auf der Straße.“ Teilweise warteten die Drohnen, bis Rettungskräfte an brennende Gebäude herantraten, um dann Granaten abzuwerfen.
„Atmosphäre des Schreckens“
Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Vielzahl solcher Fälle kein Zufall sei. Vielmehr deute alles auf ein systematisches Vorgehen hin, um „eine permanente Atmosphäre des Schreckens“ zu schaffen. So solle die Bevölkerung zermürbt und zur Flucht gezwungen werden.
In ukrainischen Städten wie Cherson versuchen Bewohnerinnen und Bewohner inzwischen, sich mit Schutznetzen über Straßen gegen die Drohnen zu wehren – ein verzweifelter Versuch, zumindest einen minimalen Schutz zu schaffen.
Moskau weist Anschuldigungen zurück
Die russische Regierung bestreitet die Vorwürfe. Moskau behauptet, die Armee greife ausschließlich militärische Ziele an. Seit Beginn der Invasion vor dreieinhalb Jahren kamen jedoch Tausende Zivilisten durch russische Angriffe ums Leben. Auch die ukrainischen Streitkräfte führen Angriffe auf russisches Territorium aus – allerdings in deutlich geringerem Umfang. Dabei werden gelegentlich ebenfalls Zivilisten getroffen.
Ein neuer Tiefpunkt im Krieg
Der Bericht der UNO wirft ein Schlaglicht auf eine besonders grausame Dimension des Krieges. Die gezielte Verfolgung unbewaffneter Menschen mit Drohnen könnte nach Einschätzung von Völkerrechtsexperten einen schweren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen. Mit der Veröffentlichung des Berichts wächst der Druck auf die internationale Gemeinschaft, auf diese neue Eskalationsform zu reagieren – und Wege zu finden, den Schutz der Zivilbevölkerung in der Ukraine zu stärken.