Es ist warm in Süditalien mit beinahe schon frühsommerlichen Temperaturen. Das Meer ist ruhig. Das sind beste Voraussetzungen für die Schlepperbanden, auf seeuntüchtigen Booten Migrantinnen und Migranten über den Kanal von Sizilien zu schiffen. Die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat nun Alarm geschlagen. Als Alarm-Signal muss man die Verhängung eines „Ausnahmezustandes“ wegen der zahlreichen Ankömmlinge in den vergangenen Tagen und Wochen einordnen. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums kamen seit Jahresbeginn rund 31 000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien. Allein in den Tagen um Ostern herum erreichten etwa 2000 Menschen das italienische Festland.

Dabei handelt es sich nicht um eine „Invasion“. Diesen Eindruck soll die Parole vom „Ausnahmezustand“ freilich erwecken. Die Erklärung einer „emergenza migranti“ hat politische und praktische Motive. Tatsächlich sind die Überfahrten im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. „Wir verzeichnen einen Anstieg von 300 Prozent“, erklärte der für Zivilschutz und Meerespolitik zuständige Minister Nello Musumeci. Im selben Zeitraum des Vorjahres hatten die italienischen Behörden nur 7900 Ankömmlinge gezählt. Musumeci fügte hinzu, durch die Verhängung des Notstandes werde das Problem nicht gelöst. Eine Lösung sei nur durch ein Eingreifen der Europäischen Union möglich.

Seit Monaten beharrt die im Herbst vereidigte Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf Unterstützung durch die EU. Durch die neue Maßnahme hofft Meloni einerseits, zusätzlichen Druck auf die EU auszuüben. Ihr Ziel ist, dass die EU in einer gemeinschaftlichen Aktion stärker gegen Schlepperbanden vorgeht, mit den Herkunftsländern zusammen arbeitet, die Rückführung der Migranten sichert und genügend Geld für alle diese Ziele bereitstellt. Rom fordert einen Migrationspakt mit nordafrikanischen Staaten, wie die EU ihn 2016 mit der Türkei geschlossen hatte. 

Dublin-Abkommen nicht umgesetzt

In Brüssel hingegen wirft man Italien seit Jahren vor, das sogenannte Dublin-Abkommen systematisch zu unterlaufen. Danach können die Migrantinnen und Migranten nur in dem Land Asyl beantragen, in dem sie erstmals Boden der EU betreten haben. Der berechtigte Vorwurf lautet, die italienischen Stellen registrierten viele Flüchtlinge nicht. Diese würden so in nördlich gelegene Mitgliedsstaaten weiterziehen. Durch die Ausrufung des Ausnahmezustands hofft Meloni, den italienischen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen und Druck auf die EU aufzubauen. In Gegenleistung geht sie bisher nicht.

Schließlich gibt es ganz praktische Motive für die Ausrufung des Ausnahmezustandes. Die Maßnahme wurde für sechs Monate verhängt und gilt für das gesamte Staatsgebiet. Sie ermöglicht auch die unbürokratische Bereitstellung von Hilfsgeldern, die das Parlament nicht erst genehmigen muss. Bisher wurden fünf Millionen Euro bewilligt. Auch neue Auffangzentren sollen nun unbürokratisch errichtet werden können. Aus Rom heißt es, Migranten aus Auffanglagern im Süden könnten leichter nun in nördliche Regionen verlegt werden. Zivilschutz und Rotes Kreuz hätten mehr Mittel zur Verfügung. Auch Abschiebungen seien nun leichter durchzuführen. 

Signal nach innen

Die Regierung Meloni, für die eine strikte Asylpolitik und hartes Vorgehen gegen illegale Migration eines ihrer politischen Kernthemen ist, sendet nicht zuletzt ein deutliches Signal nach innen, an die italienischen Wählerinnen und Wähler. Bislang biss sich Rom vor allem die Zähne im Kampf gegen Hilfsorganisationen im Mittelmeer aus, deren Arbeit boykottiert wird. Nach einem Bootsunglück mit 80 Toten erhöhte die Regierung die Strafen für Schlepper. Ihr erklärtes Ziel, die Abfahrten aus Afrika zu verhindern, hat Meloni bislang glatt verfehlt. Mit der Verhängung des Ausnahmezustands will die Regierungschefin nun zeigen: Die Regierung ist aktiv in der Migrationspolitik, aber kann das Problem nicht alleine lösen.

Begründet wurde der Schritt zunächst mit der Überfüllung der Flüchtlingslager auf der Insel Lampedusa, auf Sizilien und anderen südlichen Regionen. Doch der „Ausnahmezustand“ wurde offenbar auch präventiv ausgerufen. Im Hinblick auf die bevorstehenden Sommermonate befürchtet die Regierung einen starken Anstieg der Überfahrten. Im politisch instabilen Tunesien sowie in Libyen warten nach Geheimdienstangaben mehrere Hunderttausend Migranten auf die Überfahrt nach Italien. Rekordjahr war bislang 2016 mit 181 000 Migranten, die Italien über das Meer erreichten. 2022 erreichten 105 000 Menschen Italien über das Mittelmeer.