Den Zeitpunkt hätte Arlene Foster nicht symbolträchtiger wählen können. Die Ministerpräsidentin der britischen Provinz Nordirland legt Ende Mai ihr Amt nieder und nur vier Wochen darauf auch den Parteivorsitz der Democratic Unionist Party. Die DUB ist die stärkste politische Kraft aus dem protestantisch-loyalistischen Lager, die die Union mit Großbritannien unterstützt. Fosters Ankündigung kurz bevor die Insel dem 100. Jahrestag der faktischen Teilung gedenkt. Am 3. Mai 1921 trat im Vereinigten Königreich ein Gesetz in Kraft, das Nordirland als politische Einheit schuf und die Teilung Irlands besiegelt. Anfang Juni – wenn Foster zurücktritt – feiert Belfast das erste Jahrhundert des Regionalparlaments.

Schon damals bei der Eröffnung richtete König George V. eine zuversichtliche Botschaft an alle Inselbewohner: „Ich appelliere an alle Iren, innezuhalten, die Hand der Vergebung auszustrecken und zusammenzurücken in einer neuen Ära des Friedens, der Zufriedenheit und des guten Willens.“ Hinter den Iran lag damals eine kurze überaus blutige Phase – vor ihnen aber eine weitaus längere und insgesamt nicht weniger blutige. Nordirland wurde zur Unruheprovinz und mit ihr entstand ein fortwährender Kampf um die Einheit mit der Republik, die sich im weit größeren Teil im Süden der Insel am 6. Dezember 1921 konstituierte.

Langer Kampf bis zur Unabhängigkeit

Nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft hatten sich die Iren 1921 einen unabhängigen Staat erkämpft. Der Preis dafür war hoch. Im Norden bildete sich eine Enklave der britischen Besatzer, zudem erhielten die Briten Nutzungsrechte für drei Marinestützpunkte in der Republik und eine Endkontrolle über jene Verfassung, die das Parlament in Dublin absegnen wollte. Zudem blieb König George V. weiterhin Staatsoberhaupt. Der Ire Michael Collins soll als Unterhändler seinem britischen Gegenüber gesagt habe, er unterschreibe soeben sein „Todesurteil“. Jener Collins war Anführer der irischen Aufständler, die ihren Herrschern immerhin ein eigenes Parlament, eine Armee und eine souveräne Außenpolitik abgetrotzt hatten.

Der Weg dorthin war allerdings blutig. Ein halbes Jahrzehnt zuvor scheiterte der Versuch einer Absetzbewegung noch. Der Osteraufstand 1916 kostete nicht nur vielen Freiheitskämpfern das Leben, es legte auch Dublin in Schutt und Asche. Dennoch wurde dies zum Wendepunkt in der Unabhängigkeitsbewegung – die bis heute nachwirkt.

Bewaffneter Kampf

Die Republikaner schlugen damals einen neuen Weg ein und verbanden ihre politische Bewegung mit einem bewaffneten Kampf. Sie gründeten 1919 nicht nur ohne Absprache mit London ein eigenes Parlament, sondern mit der Irish Republican Army auch eine eigene Armee. Die IRA wurde angeführt vom 29-jährigen Collins, der zugleich in der wichtigsten Katholikenpartei Sinn Féin den Ton angab. Deren Kämpfer verübten in den kommenden zwei Jahren zahlreiche Attentate auf britische Sicherheitskräfte, meist in zivil gekleidet. Obwohl im klassischen Sinn Terroristen, genossen sie Rückhalt im Volk und waren so unfassbar. London erkannte schließlich, dass sich die Lage kontrollieren ließ und begann Verhandlungen mit Parlamentsvertretern. Am Ende stand die Teilung in einen republikanisch-katholischen Süden und einen protestantisch-unionistischen Norden.

Während sich die landwirtschaftlich, ärmliche Republik im folgenden Jahrhundert eigenständig entwickelte, blieb der industriell geprägte Norden am Tropf der Zentralregierung – und von blutigen Kämpfen zwischen den Nachkommen der englisch-schottischen Einwanderer (meist Protestante und Loyalisten der Krone) und den – zahlenmäßig stark anwachsenden – Katholiken mit britischem Pass geprägt. Der Untergrundkampf der IRA gegen die Soldaten Londons von 1968 bis 1998 kostete mehr als 3000 Menschen das Leben.

Karfreitagsabkommen

Erst das Karfreitagsabkommen 1998 unter Vermittlung der EU (der Iren und Briten seit 1973 angehörten) schaffte ein Klima der Entspannung. Das Misstrauen wich nur langsam, doch – so beschreibt es Konfliktforscherin Katy Hayward von der Uni Belfast – es gelang, aus dem zerbrechlichen Friedensprozess in zwei Jahrzehnten ein stabiles System zu entwickeln. Es musste nur stetig ausbalanciert werden. Beim neuen Miteinander halfen zahlreiche mit EU-Geldern finanzierte grenzüberschreitende Projekte. Die Grenze – und der Konflikt – schien fast vergessen.

Bis zum britischen Austritt aus der EU. Der Brexit brachte den Ausgleich ins Wanken. Neue Grenzen drohten und damit der Streit über die Zugehörigkeit. Die Mehrheit in Nordirland stimmte im Juni 2016 gegen den Brexit. Mit jedem Schritt dorthin wuchs der Rückenwind für eine Vereinigung mit der Republik. Auch weil London mit der EU keine Lösung für Nordirland fand, der alle Seiten zufriedenstellte. Entsprechen eskalierte die Gewalt in den Vorwochen. Die Unionisten fühlten sich vom Rest des Königreichs angekoppelt. Foster wurde von Parteifreunden als Verräterin beschimpft. Daraus zog sie nun ihre Schlüsse.

Schwierige Suche einer Nachfolge

Eine Nachfolge dürfte schwer zu finden sein, denn das setzt eine Übereinkunft der größten katholischen mit der größten protestantischen Partei voraus. Schon vor Foster konnten sich beide Seiten monatelang nicht auf eine Regierung einigen. Und wieder steht Nordirland vor einem politischen Vakuum. Dabei ist die Spannung überall spürbar – so kurz vor dem heiklen Jahrestag auf der Insel.