Joe Biden ist knapp drei Wochen im Amt – und schon hat das Katz-und Maus-Spiel zwischen den USA und Iran um das Atomabkommen begonnen. Direkt an seinem ersten offiziellen Arbeitstag stellte der neue US-Außenminister Antony Blinken klar, Teheran müsse zuerst zur vollen Vertragstreue zurückkehren, dann würden die USA die Sanktionen lockern. Zudem strebe er einen „längeren und wirkungsvolleren Vertrag“ an, der auch „zutiefst problematischen Punkte“ einschließe, verkündete er bei seinem ersten Pressegespräch.

Aus amerikanischer Sicht gemeint sind damit das iranische Raketenprogramm, das Treiben irantreuer Milizen im Irak, Libanon, Jemen und Syrien sowie die düstere Lage bei den Menschenrechten. „Es wird ein langer Weg. Das Ganze wird dauern“, dämpfte der frisch vereidigte US-Chefdiplomat die Erwartungen. Zugleich schickte das Pentagon erneut, wie zuvor bereits zwei Mal unter Donald Trump, einen B 52-Bomber, der Atomwaffen tragen kann, von einer Luftwaffenbasis in Louisiana auf einen 36-Stunden-Rundflug über den Nahen Osten.

Für Irans Regierung ist dieser harte Auftakt unter Joe Biden eine kalte Dusche. „An dem Vertrag wird kein Satz geändert und nichts hinzugefügt“, retournierte Präsident Hassan Rouhani. Außenminister Mohammad Javad Zarif pochte auf einen ersten Schritt durch Washington, dann werde Iran sofort antworten. Die Europäische Union bat er, zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Solange allerdings die US-Sanktionen in Kraft bleiben, will die Islamische Republik die Vertragsgrenzen bei der Urananreicherung ignorieren.

Erst vorletzte Woche kündigte das Regime an, in seiner durch ein Felsenmassiv geschützten Atomanlage Fordow wieder bis zu zwanzig Prozent anzureichern, fünfmal höher, als nach dem so genannten „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) erlaubt ist. Auch die kurzfristigen Kontrollbesuche von UN-Inspektoren sollen nach dem 19. Februar untersagt werden, ohne allerdings die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien gänzlich aufzukündigen.

Es geht um viel

Denn für Irans moderaten Präsidenten Rouhani und seinen Außenminister Zarif steht viel auf dem Spiel. Sie brauchen dringend Erfolge, damit ihr politisches Lager in den kommenden Jahren nicht völlig ins Abseits gerät. Am 18. Juni sind Präsidentschaftswahlen, bei denen Rowhani nicht mehr antreten darf. Ein moderater Kandidat aber kann nur gewinnen, wenn die von Corona und Hyperinflation geplagte Bevölkerung endlich wieder eine Perspektive sieht. Zudem könnte in den kommenden vier Jahren eine Entscheidung anstehen über die Nachfolge des 81-jährigen Ali Khamenei, dessen Gesundheit angegriffen ist. Im Parlament haben die Hardliner seit den Wahlen im Februar 2020 wieder das Sagen.

Könnten sie in fünf Monaten auch das Präsidentenamt erobern, wäre für die Moderaten der Kampf um das mächtigste Amt des Revolutionsführers wohl verloren. Viel hängt also ab von der Entwicklung in den nächsten vier Monaten. Im Wahlkampf würden die US-Sanktionen und der Atomstreit eine Schlüsselrolle spielen, ist Nasser Hadian überzeugt, Politikwissenschaftler an der Universität Teheran. Gebe es eine rasche Rückkehr zu dem Vertrag, „haben die Reformer und Moderaten bei den Wahlen im Juni sehr gute Chancen“. Sollte Rouhani jedoch bei Biden abblitzen, wittern die Scharfmacher in Teheran ihre Chance, den ungeliebten Atomvertrag endgültig loszuwerden sowie freie Hand zu behalten beim Raketenprogramm und ihrem regionalen Machtstreben.

Derweil wird der Druck im Land immer brutaler. Human Rights Watch beklagt eine „gnadenlosen Repression“ gegen friedliche Aktivisten, Menschenrechtler und Rechtsanwälte. Dissidenten wie der Blogger Ruhollah Zam oder der Oppositionelle Habib Chaab aus der Unruheprovinz Khuzestan wurden im Ausland gekidnappt und nach Teheran verschleppt, Zam im Dezember hingerichtet. Mehr als ein Dutzend Bürger mit westlichen Pässen sitzen teilweise seit Jahren als Geiseln in iranischen Gefängnissen, darunter eine deutsch-iranische Architektin und zwei Iraner mit österreichischer Staatsangehörigkeit.

Obendrein wütet das Corona-Virus – abgesehen von der Türkei – in keinem Land des Nahen Ostens schlimmer als in der Islamischen Republik. Im Staatshaushalt klaffen gewaltige Löcher, die rasante Geldentwertung trifft vor allem die Ärmeren in dem 82-Millionen-Volk.

Heerscharen warten jeden Tag vor den Wechselstuben, um wenigstens noch einige Dollar zu ergattern. In den sozialen Medien häufen sich Videos von entnervten Schlägereien in den Warteschlangen vor Wechselstuben und Supermärkten. „Ich glaube nicht, dass die Biden-Präsidentschaft für unser Leben eine echte Wende bedeutet“, schrieb dieser Tage eine 41-jährige Lehrerin aus Teheran an die „Washington Post“, die aus Angst vor Repressionen nur mit ihren Vornamen Shabnam genannt werden möchte. „Um ehrlich zu sein, das Ausmaß an Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung im Iran ist so hoch, dass ich keinen Optimismus habe, egal was iranische oder amerikanische Politiker auch tun.“