Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn in unserer westlichen Welt mehr als 300 Schulbuben gekidnappt würden, wie in Nigeria. Ein Aufschrei ginge um die Welt. Die ganze Welt würde trauern.

Es waren bewaffnete Männer auf Motorrädern, die kürzlich eine Bubenschule im Bundesstaat Katsina im Norden Nigerias stürmten. Die Schüler versuchten in die umliegenden Wald- und Buschgebiete zu flüchten. Dutzende schafften es, mehrere Hundert wurden von den Angreifern verschleppt. Während die Regierung von 333 entführten Schülern spricht, wird in mehreren Medienberichten von weit mehr ausgegangen.

Die Terrororganisation Boko Haram bekennt sich zu dem Angriff auf die staatliche Oberschule in Kankara in der Nordregion Katsina. Nach Angaben des Gouverneurs des Bundesstaates, Aminu Masari, bestehe Kontakt zu den Entführern. Bis jetzt gibt es allerdings keine Anzeichen für eine mögliche baldige Freilassung, wie sie auch die Vereinten Nationen fordern.

Die Schulen bleiben in der Region vorerst geschlossen.  Die Regionalregierungen begründen die Schließungen auf unbestimmte Zeit mit einem Protest gegen die mangelnde Sicherheitslage, vereinzelt  auch mit Corona-Schutzmaßnahmen. Nigerias Lehrergewerkschaft schloss sich den Forderungen nach sicheren Schulen ebenfalls an.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sieht das Bildungssystem des westafrikanischen Staates in Gefahr. "Schulen sollten Horte der Sicherheit sein, und kein Kind sollte wählen müssen zwischen seiner Bildung und seinem Leben", erklärte Amnesty-Mitarbeiterin Isa Sanusi in einer Erklärung. Seit 2012 seien Hunderte Lehrer, Schüler, Schülerinnen und Studierende getötet oder verwundet worden von der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram. Viele verschleppte Buben würden gezwungen, als Kindersoldaten tätig zu werden.

Wer ist die Terrorgruppe Boko Haram?

Die Islamisten der Gruppe Boko Haram wollen im Norden von Nigeria einen sogenannten Gottesstaat errichten und verbreiten seit 2009 in der Region ihren blutigen Terror. Bei Anschlägen der Jihadisten sind Schätzungen zufolge mindestens 14.000 Menschen getötet worden, rund 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Laut Amnesty International hat Boko Haram allein seit dem Vorjahr mehr als 2000 Mädchen und Frauen entführt, und nun auch die Hunderten Buben.

Die islamistische Terrororganisation Boko Haram ist keine religiöse Bewegung, wie sie vorgibt, sondern eine mörderische Raubrittertruppe. Ihre Kämpfer plündern, vergewaltigen, entführen und erpressen. Boko Haram ist mit Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel reich geworden.

Chibok-Mädchen

Im April 2014 überfiel ein Terrorkommando der Boko Haram das Dorf Chibok im Norden Nigerias und entführte 276 Schülerinnen aus einem christlichen Internat.  Damals ging ein Aufschrei um die Welt. Persönlichkeiten wie Michelle Obama versuchten unter dem Hashtag #bringbackourgirls die Welt für diese vergessene Krisenregion zu sensibilisieren. Inzwischen konnten die meisten Chibok-Mädchen befreit werden, doch die Terrorgruppe zieht weiterhin eine Spur der Verwüstung und Gewalt. Boko Haram ist alles Westliche und das Christentum besonders verhasst. 

Nigeria und die Nachbarländer Benin, Niger, Tschad und Kamerun haben im Jahr 2015 in Paris einen Aktionsplan gegen die islamistische Terrorgruppe Boko Haram verabschiedet, der bisher nicht wirklich gefruchtet hat.

Mit Spannung wurde in Nigeria auch beobachtet, wie der (islamische) Staatspräsident Muhammadu Buhari mit Boko Haram umgeht, doch er hat bis jetzt auch nicht mehr Erfolg als sein (christlicher) Vorgänger Goodluck Jonathan, der die Terrorgruppe auch nicht in Schach halten konnte.

Der deutsche Fotograf Andy Spyra hat im Rahmen eines Langzeitprojekts Dutzende der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen porträtiert. „Es ist der absolute Horror, den diese Frauen erlebt haben, die meisten sind schwer traumatisiert“, erklärte Spyra Anfang des Jahres der Kleinen Zeitung im Zuge einer Ausstellungseröffnung im Afro-Asiatischen-Institut in Graz, die dann aber wegen des Corona-Lockdowns abgesagt werden musste.  Auf die Frage, was er mit seinen Fotos vermitteln wolle, erklärte er damals: "Einblick in eine Welt geben, die den meisten von uns – zum Glück – verschlossen ist. Wir leben in einer sehr privilegierten Position, in der eine solche Form von struktureller, immer wiederkehrender Gewalt nie stattfindet. Und um solche Strukturen zu verändern, braucht es Bilder. In einer Welt, die nicht hinschaut, wo Unrecht passiert, kann nichts gut werden."

Fotograf Andy Spyra
Fotograf Andy Spyra © Andy Spyra
© Andy Spyra