Hochspannung herrscht  in der spanischen Konfliktregion Katalonien nach der gerichtlich verfügten Amtsabsetzung des katalanischen Ministerpräsidenten und Separatistenchefs Quim Torra. Tausende Menschen haben Montagabend in ganz Katalonien gegen die Absetzung ihres Regierungschefs Quim Torra durch die spanische Justiz protestiert. Allein in Barcelona versammelten sich laut Medienberichten bis zu 1.000 Menschen, die zum Ciutadella-Park vor dem Regionalparlament marschierten. Politologen gehen davon aus, dass es nun zu einer neuen Eskalation des seit Jahren schwelenden Katalonienkonfliktes kommt.

Am Montag verkündete Spaniens Oberster Gerichtshof, dass Torra wegen Ungehorsams gegenüber dem spanischen Staat ein 18-monatiges Amtsverbot und eine Geldstrafe von 30.000 Euro auferlegt werde. Damit bestätigte das Tribunal in Madrid eine entsprechende Verurteilung eines Gerichts in Katalonien, das Torra bereits Ende 2019 ein Betätigungsverbot auferlegt hatte. Da der 58-jährige Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung damals Widerspruch einlegte, war der erstinstanzliche Richterspruch aber noch nicht rechtskräftig.

Quim Torra nach der Urteilsverkündung
Quim Torra nach der Urteilsverkündung © AFP

Keine Berufung mehr

Gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofes ist nun keine Berufung mehr möglich. Das gegen Torra ausgesprochene politische Betätigungsverbot kommt einer sofortigen Amtsenthebung gleich, da das Urteil mit der Veröffentlichung Rechtskraft erlangt. Doch ob Torra sich diesem Richterspruch beugen wird, steht auf einem anderen Blatt. Er habe sich schon mehrfach einer Anordnung der spanischen Behörden widersetzt, teilte der Unabhängigkeitsrebell Torra kurz vor der Urteilsverkündung mit. Und er schließe nicht aus, dass er sich auch ein weiteres Mal in Ungehorsam üben werde.

Einer dieser Akte des Ungehorsams, mit dem Torra den spanischen Staat herausforderte, hatte ihn auf die Anklagebank gebracht. Dabei ging es um ein riesiges Plakat der Unabhängigkeitsbewegung, auf dem „Freiheit für die politischen Gefangenen und Exilanten“ gefordert wurde. Derartige Transparente hängen an vielen Häusern in Katalonien. Aber Spaniens Wahlbehörde störte sich daran, dass diese Botschaft vor der spanischen Parlamentswahl in 2019 auch am Sitz des katalanischen Regierungschefs, also dem Amtsgebäudes Torras, im Wind wehte.

Die Aufforderung, das Transparent zu entfernen, kam Torra damals nicht nach. Auch der Hinweis, dass laut Gesetz in der Vorwahlzeit keine politischen oder parteilichen Botschaften an öffentlichen Gebäuden erlaubt sind, überzeugte ihn nicht. Torra berief sich darauf, dass das Plakat durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Das war übrigens nun auch das Hauptargument seiner Verteidiger, die diesen Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen wollen.

Der EU-Gerichtshof hat schon ein paar andere Urteile gegen katalanische Separatistenführer zur Überprüfung vorliegen. Denn auch die „politischen Gefangenen und Exilanten“, auf welche das Transparent des Anstoßes Bezug nimmt, sehen sich durch Spaniens Justiz ihrer Grundrechte beraubt. Als „politische Gefangene“ bezeichnet die Separatistenbewegung jene neun Anführer, die vor einem Jahr wegen der Organisation eines rechtswidrigen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 zu längerer Haft verurteilt worden waren. Als „Exilanten“ gelten Kataloniens Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont und sechs weitere katalanische Politiker, die nach der unerlaubten Volksabstimmung ins Ausland flohen.

Und jetzt?

Man darf gespannt sein, wie es nun in Katalonien weitergeht. Alles deutet darauf hin, dass Torra die schon Anfang 2020 von ihm angekündigten regionalen Neuwahlen so lange wie möglich hinauszögern wird, um Zeit zu gewinnen. Hintergrund dieses Taktierens ist, dass die bisher in der Region regierende Unabhängigkeitsbewegung tief zerstritten ist.

Umfragen zufolge hat Torras ziemlich kompromisslose Separatistenpartei Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien) an Unterstützung verloren. Stattdessen scheint nun sein bisheriger Junior-Koalitionspartner, die moderatere Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (Republikanische Linke), die Nase vorn zu haben.

Doch der Machtkampf im Separatistenlager scheint die Anhängerschaft eines von Spanien unabhängigen Kataloniens zunehmend zu ermüden. Laut der neuesten Umfrage des öffentlichen katalanischen Meinungsforschungsinstituts CEO wollen mittlerweile nur noch 42 Prozent der Katalanen einen eigenen Staat. Vor drei Jahren, als das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum stattfand, bestanden noch 48,7 Prozent der katalanischen Bevölkerung auf der Gründung eines unabhängigen Katalonien.