In Syriens Pro-Assad-Gebieten steigt der Frust. „Syrien gehört uns und nicht dem Assad-Clan“, deklamierten Graffiti, die kürzlich erstmals in küstennahen Regime-Hochburgen wie Lattakia und Jableh auftauchten. „Nieder mit Bashar“, hallte es durch die Straßen der Stadt Suweida. „Packt eure Sachen, ab mit euch in den Iran“, skandierte die aufgebrachte Menge. Seit Tagen brodelt es in dieser südlichen Region, wo mehrheitlich Drusen wohnen, die ein gewisse Autonomie genießen. Den gesamten Bürgerkrieg über stand ihre Minderheit loyal zu Bashar al-Assad, doch jetzt schwindet der Rückhalt, wie Videos im Internet zeigen.

Zwar hat der Diktator in dem gut neunjährigen Bürgerkrieg dank iranischer und russischer Waffenhilfe militärisch die Oberhand behalten, seiner Herrschaft gefährlich werden aber könnte nun der Zusammenbruch der Wirtschaft.

Seit Anfang des Jahres befindet sich das syrische Pfund im freien Fall. Gab es zu Beginn des Krieges 2011 den Dollar noch für 50 Pfund, waren es im Oktober 2019 bereits 500. Die Tausendermarke fiel im Januar 2020. Seit letzter Woche geht es Schlag auf Schlag. Anfang Juni kostete der Dollar bereits 2000 Pfund, momentan sind es über 3000 – und ein Ende ist nicht in Sicht. Entsprechend gehen die Preise durch die Decke. Die ersten Lebensmittel-Läden haben bereits dicht gemacht, Medikamente sind faktisch nicht mehr zu bekommen.

50.000 Pfund im Monat, also rund 17 Dollar, verdient derzeit ein syrischer Staatsbeamter – das reicht mittlerweile nur noch für zwei Wassermelonen und etwas Brot. „Alle warten voller Angst darauf, dass sich die Preise wieder beruhigen”, erklärte eine Aktivistin auf dem Lande nahe Damaskus. Die Leute seien hoffnungslos und befürchten, „dass die Dinge schlechter und schlechter werden.”

Finanzminister Mamoon Hamdan löste eine Internetlawine aus, als er seine Landsleute belehrte, jeder könne von seinem Gehalt ordentlich leben, wenn er das Geld richtig einteile. „Wir sind dankbar für jeden Tipp“, schallte es höhnisch aus dem Netz zurück. Denn bereits vor dem jüngsten Währungskollaps waren 80 Prozent der 17 Millionen noch im Land verbliebenen Syrer arm. Vielen droht jetzt zu ihrem Elend auch noch der Hunger. Immer mehr Menschen in den Städten müssen betteln. „Wir sehen jetzt, dass Kinder abends hungrig zu Bett gehen, das kannten wir vorher nicht“, erklärte der UN-Chefkoordinator in Damaskus, Imran Riza.

Bankenkrise im Libanon

Auslöser dieses wirtschaftlichen Erdbebens in Syrien sind die Bankenkrise im Nachbarland Libanon, die Covid-19-Pandemie sowie die neuen amerikanischen Sanktionen. „Viele Syrer haben nichts mehr zu verlieren, jetzt wo ihre Währung im freien Fall ist, und die Inflation durch die Märkte fegt“, zitierte Al Jazeera den syrischen Journalisten Asser Khattab. Lokale Wortführer wie Nizar Bou Ali nennen vor allem die Korruption der Behörden, die „empörenden Preise“ in den Geschäften und den rasanten Anstieg der Kriminalität als Gründe für das ungewöhnliche Aufbegehren, welches Regime-Zirkel sofort mit einer Lawine von Pro-Assad-Tweets beantworteten. In der Küstenstadt Tartus, ebenfalls einer Hochburg der Alawiten, zogen sogar Gruppen durch die Straßen und riefen „Bashar ist nach Allah der Höchste.“

Für Syrien war der Libanon stets die finanzielle Lebensader zur Welt. Über dessen Banken wurden die Importe gegen Devisen abgewickelt. Hunderttausende Syrer parkten ihre Ersparnisse in Beirut. Seit dem Bankrott des Zedernstaates jedoch kommen sie nicht mehr an ihre Dollars. Das würge sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten in Syrien ab, erläuterte der in Damaskus geborene, international bekannte Ökonom Samir Aita. Er habe die Sorge, „dass das syrische Volk in einer Katastrophe endet”.

USA ziehen die Schrauben an

Denn der US-Kongress zieht jetzt auch noch mit seinem so genannten „Caesar Act“ die Schrauben an, dem härtesten Sanktionspaket seit Beginn des Bürgerkriegs. Benannt ist das Gesetz nach einem Deserteur des Militärgeheimdienstes, der in den Anfangsjahren des staatlichen Mordens Fotos von 6780 Opfern aus dem Land schmuggelte, die zu Tode gehungert und gefoltert worden waren. Von kommender Woche an trifft der US-Boykott sämtliche Firmen weltweit, die sich mit „dem mörderischen Assad-Regime einlassen“ und sich an dem Wiederaufbau Syriens beteiligen. „Die Vereinigten Staaten werden den ökonomischen Druck so lange erhöhen“, twitterte die US-Botschaft in Syrien, bis das syrische Regime „unumkehrbare Schritte macht hin zu einer politischen Lösung, die die Rechte und den Willen des Volkes respektiert“.