Also doch Joe Biden: Er ging als Favorit in die Vorwahlen, fuhr zu Beginn schwere Niederlagen gegen Bernie Sanders ein und steht jetzt, nach einer beachtlichen Aufholjagd und dem Rückzug von Sanders, doch als Kandidat der Demokraten fest. Biden, 77, Urgestein der Partei und einst Vize-Präsident unter Barack Obama, steht als Herausforderer Donald Trumps im November fest.

Trump bekommt es nun mit jenem Rivalen zu tun, den er am meisten fürchtete. Biden ist landesweit bekannt, beliebt und ein Profi. Das schlägt sich auch in den Umfragen nieder: Etwa sechs Prozent sahen ihn diese zuletzt im Vergleich zum Amtsinhaber voran. Biden, das weiß nicht nur Trump, hat das Zeug, den sprunghaften Republikaner aus dem Weißen Haus zu jagen.

Virus hat Wahlkampf auf den Kopf gestellt

Und dennoch: Fix ist noch nix - und das liegt an Biden selbst und auch an dem Virus, das derzeit den ganzen Globus und ganz  besonders die USA im Griff hält. Denn die Pandemie hat die Rahmenbedingungen dieses Wahlkampfs vollkommen auf den Kopf gestellt. Davon, wie sehr diese Krise in den USA noch eskaliert und wie Trump sie bewältigt, wird im November sehr viel, wenn nicht alles abhängen.

Der Präsident, der um seine zweite Amtszeit kämpft, hat lange die Gefahren des Virus ignoriert und geleugnet; er kam fahrlässig spät in die Gänge. Doch jetzt versteht es Trump durchaus, sich als Krisenmanager und "Kriegspräsident" zu inszenieren. Er bleibt sich dabei weitgehend treu. Obwohl die Todeszahlen in die Höhe schnellen, wird er nicht müde, die Schuld bei anderen zu finden - der Weltgesundheitsorganisation, die "es vergeigt" habe, oder bei demokratischen Gouverneuren, die von ihm mehr Unterstützung fordern. Und tatsächlich wurde in der Krise viel beschlossen, das bisher nicht gerade auf Trumps Anliegen-Liste stand - nicht nur reichlich Staatshilfe für die Wirtschaft, sondern auch Unterstützung für die Tausenden, die ihren Job verloren haben. In der Frage, wann die Wirtschaft wieder hochgefahren werden soll, ist er wie gewohnt auf Zick-Zack-Kurs unterwegs.

Biden ist sympathisch und allseits bekannt

Dem Sprunghaften steht mit Biden ein Mann gegenüber, der schon vor der Corona-Krise für die Rückkehr zu einer Normalität warb, die mit Trumps polarisierender Politik verloren ging - und das macht ihn für den Präsidenten gerade jetzt gefährlich. Die Menschen kennen ihn als einen sympatischen Mann, der mit dem frühen Tod seiner Frau und zweier Kinder Schickalsschläge zu bewältigen hatte und auch wusste. In der Corona-Krise strahlte "Onkel Joe", wie ihn manche nennen, zu Beginn mit einigen Auftritten staatsmännische Ruhe aus - und doch scheint er zwischendurch beinahe aus der Öffentlichkeit zu verschwinden. Das mag daran liegen, dass Trump als Krisenpräsident permanent im Rampenlicht steht und Biden aus seinem Home Office seltsam an den Rand gedrängt wirkt. 

Kannte man ihn unter Obama für klare und kluge Standpunkte, leistete er sich jetzt im Vorwahlkampf einige Patzer und Aussetzer, Trump stellt ihn als überforderten "sleepy Joe" und Kompromisskandidaten der Demokraten dar. Joe Biden gegen Donald Trump: Tritt da ein Verwirrter gegen einen Chaoten an?

Mitreißend? Eher nicht

Als mitreißender Anführer erwies er sich bisher nicht. Obwohl die Probleme der mangelnden Absicherung weiter Bevölkerungsgruppen in der Krise noch sichtbarer werden als sonst, bleibt er auch in der Forderung sozialstaatlicher Reformen zugunsten der Ärmeren zurückhaltend.

Joe Bidens wichtigste Unterstützung sind die Afroamerikaner. Sie vertrauen ihm mehrheitlich, weil er acht Jahre lang dem ersten afroamerikanischen Präsidenten loyal und verlässlich den Rücken frei gehalten hat. Sie sind es auch, die unter der Corona-Krise am meisten leiden und sich vom Staat im Stich gelassen fühlen. Analysen der "Washington Post" zeigen, dass mehrheitlich afroamerikanische Landkreise teils dreimal so viele Infektionen und fast sechsmal so viele Todesfälle vermeldeten wie Landkreise, in denen weiße Amerikaner in der Mehrheit sind. Die Gründe werden unter anderem in der Armut und dem schlechten Zugang zum Gesundheitssystem gesehen.

Europa wäre wohl froh

Biden steht im Wesentlichen für eine Rückkehr zur moderaten und vernunftgesteuerten Politik unter Obama. Das bedeutet: Eine Rückkehr zu einem höflichen Auftreten, Multilateralismus, wie ihn Europa schätzt und eine linksliberale Gesellschaftspolitik - Revolutionen, wie Sanders sie versprach, liegen ihm fern. Ob das reichen wird, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu verjagen? "Onkel Joe" mag  zwar gute Chancen haben - dennoch wird es vom Home Office doch noch ein weiter Weg sein ins Weiße Haus.