Hassan Rohani ließ seinem Zorn freien Lauf. „Bitte erzählt dem Volk nicht, es gebe 17.000, 1700 oder 17 Kandidaten für jeden Parlamentssitz, wenn die alle aus einer einzigen Fraktion stammen“, polterte der iranische Präsident auf einer live im Staatsfernsehen übertragenen Kabinettssitzung. „Dies ist keine echte Wahl. Dies ist wie ein Laden, der einen einzigen Artikel feilbietet und davon 2000 Stück.“ Das Volk wolle politische Vielfalt. „Also erlaubt sämtlichen Parteien, bei diesen Wahlen anzutreten.“ Das Land könne nicht nur von einer einzigen Gruppierung geführt werden. „Die Nation gehört allen.“

Was den 71-jährigen Regierungschef so aufbrachte, war das rigorose Vorgehen des ultraorthodoxen Wächterrats. Im Vorfeld der heutigen Parlamentswahl disqualifizierte das allmächtige Altherrengremium rund 7300 der 14.400 Kandidaten, darunter auch 90 Mitglieder der ausgehenden 290-köpfigen Volksvertretung. Mit dieser selbst für iranische Verhältnisse beispiellosen Intervention ist der Urnengang bereits entschieden, bevor überhaupt ein Wähler seine Stimme abgeben konnte.

Fast alle Reformer wurden ausgebootet. In dem ausgesiebten Kandidatenfeld sind Hardliner und Ultrakonservative praktisch unter sich.
Die Antwort von Revolutionsführer Ali Khamenei auf Rohanis Aufbegehren ließ nicht lange auf sich warten. Die iranische Parlamentswahl sei eines der vorbildlichsten auf der ganzen Welt, belehrte er Rohani, ohne ihn direkt beim Namen zu nennen. „Wer lügt und behauptet, diese Wahl sei manipuliert und keine echte Wahl, der entmutigt die Bevölkerung.“ Ausdrücklich nahm Khamenei den Wächterrat in Schutz.

Noch 2016 hatte Hassan Rohani, vom Volk nach dem Abschluss des Atomvertrags als Hoffnungsträger gefeiert, den Reformern im Parlament zu einer knappen Mehrheit verholfen. Doch seitdem ist viel passiert. Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung löste sich in Luft auf. Donald Trump stieg aus dem Atomvertrag aus und erließ harte Sanktionen, die die iranische Volkswirtschaft immer stärker plagen.

Im Inneren erlebte die Islamische Republik 2018 und 2019 das bisher größte Aufbegehren der Bevölkerung seit ihrem Bestehen. Quer durch das Land revoltierten Hunderttausende gegen Armut und Arbeitslosigkeit, gegen Zwang und Zensur sowie gegen die undurchsichtigen Ausgaben für die schiitischen Milizen im Irak, in Syrien und im Libanon. Während der Unruhen zündete der Mob Tankstellen an und verwüstete Bankgebäude – in den Straßen herrschten Szenen wie in einem Bürgerkrieg.

Angesichts der massiven Manipulationen im Vorfeld der Parlamentswahlen machen sich im Volk Zynismus und Apathie breit. Anders als vor vier Jahren, als rund 60 Prozent der Wahlberechtigten abstimmten, wollen heute viele Iraner zuhause bleiben. „Ich gehe nicht, es ist sinnlos“, beschrieb einer der Händler im Bazar von Teheran die allgemeine Stimmung.

Die Reformgegner dagegen frohlocken. Ihnen dürfte eine geringe Wahlbeteiligung zu einem haushohen Sieg verhelfen. Der Atomvertrag wäre endgültig vom Tisch, gleichzeitig wäre an eine wirtschaftliche Besserung auf Jahre nicht mehr zu denken.
Wie die frustrierte Bevölkerung auf diese Machtmanöver der Hardliner reagiert, werden die kommenden Monate zeigen. Vordenker der Reformer wie Saeed Hajjarian plädieren daher dafür, die aussichtslosen Parlamentswahlen ganz fahren zu lassen, um sich stattdessen voll auf die Präsidentschaftswahlen im Juni 2021 zu konzentrieren.