Sie haben gemeinsam mit Kathleen Toria McFarland sechs Gespräche mit Henry Kissinger geführt. Sie waren seine Berater. Viele Politiker bitten den 96-Jährigen noch immer um Rat. Was macht ihn so außergewöhnlich?

WINSTON LORD: Es ist eine erstaunliche Leistung, dass jemand mehr als ein halbes Jahrhundert lang so gehört wird. Er berät noch immer US-Präsidenten und Außenminister sowie andere Staatenlenker. Ich glaube, sie suchen seinen Rat wegen seiner offensichtlichen Brillanz und Lebensleistung. Aber auch, weil er nationale Interessen Amerikas immer über Parteinahme stellt. Er hat Präsidenten beider Seiten beraten. Für internationale Staatsführer ist er eine Person, die sich in ihre Lage versetzen kann und ihre Bedürfnisse und Interessen ebenso gut versteht wie die der Amerikaner.

Hat sie in den Interviews etwas bei Kissinger überrascht?

LORD: Nicht in Bezug auf die Substanz. Aber ich war überrascht, auch wenn ich in regelmäßigem Kontakt zu ihm stehe, dass jemand in seinen 90ern über ein Ereignis vor fünfzig Jahren so präzise nachdenken kann. Er erinnert sich nicht nur an die Strategien für dieses Großereignis, sondern alle Details. Er garnierte seine Erinnerungen mit Anekdoten, sowohl humorvoll als auch schimpfend.

Sie haben die Öffnung zu China und das erste Treffen von US-Präsident Richard Nixon und Staatschef Mao Zedong 1972 geebnet. Wie haben Sie sich auf dieses Treffen mit einer feindlichen und unbekannten Macht vorbereitet?

LORD: Wir haben für die Öffnung zu China, mit dem wir seit über zwei Jahrzehnten keinen Kontakt und eine gegenseitige Feindschaft hatten, zwei Wege eingeschlagen. Wir versuchten, über verschiedene geheime Länderkanäle in Kontakt zu treten, und entschieden uns schließlich für unseren gemeinsamen Freund Pakistan. Und wir haben öffentliche Gesten wie Äußerungen und bescheidene einseitige Handelsschritte gemacht, um der Welt und unserer Öffentlichkeit die mutige neue Richtung zu signalisieren, die wir eingeschlagen haben.

Winston Lord
Winston Lord © Beneveto

Wie hat Kissinger agiert?

LORD: Auf seinen Geheimreisen nach China und den anschließenden öffentlichen Reisen haben wir durch Gespräche mit den Chinesen über die auf der Tagesordnung stehenden Themen den Weg für den Gipfel geebnet und mit den Verhandlungen über das Schanghai-Kommuniqué begonnen. Während der gesamten Zeit haben wir sowohl Regierungsbehörden beider Länder als auch externe Experten aufgefordert, sich vorzubereiten. Nixon las dann jede Seite der sechs umfangreichen Briefing-Bücher, die ich federführend für diesen Gipfel schrieb. Ich habe noch nie einen Präsidenten so hart arbeiten sehen.

Wie haben Sie das Treffen in Peking erlebt?

LORD: In der Besprechung sprach Mao in Pinselstrichen und Anspielungen und verwies bei Details auf Premierminister Zhou. Aber er skizzierte die Umrisse der chinesischen Positionen zu den Schlüsselthemen. Es war sehr freundlich, und Mao hat uns und der Welt klar gesagt, dass der Gipfel ein Erfolg wird.

Wie haben Sie Mao persönlich wahrgenommen?

LORD: Mao ging es eigentlich nicht gut. Wir wussten nicht, wie krank er wirklich war. Und sein Arzt war sogar besorgt darüber, dass Mao das unbedingt tun wollte. Aber er dachte, es sei wichtig, ganz am Anfang von Nixons Reise seine Anerkennung diese Schritts der Öffnungspolitik zu zeigen. Was schließlich auch innerhalb seines eigenen Landes wie auf der ganzen Welt und in unserem Land kontrovers diskutiert wurde. Es war ungewöhnlich, weil Mao sich normalerweise erst am Ende des Besuchs mit dem Staatsführer traf, um seine Anerkennung zu zeugen. Hier machte er der Welt, seinen Kadern und seinem eigenen Volk klar, dass er hinter diesem umstrittenen Schritt stand. Der Arzt sagte mir, wir sollten uns nur kurz treffen, weshalb das erste Treffen nur eine Stunde dauerte inklusive der langwierigen Übersetzungen.

Sie zeigen in Ihrem Buch ein bisher unveröffentlichtes Foto, wo Sie mit Mao, Nixon und Kissinger beim Treffen sitzen. Warum war das bislang so geheim?

LORD: Es war ein außergewöhnliches und historisches Ereignis. Das war ein Privileg für mich, dabei zu sein. Als wir im Februar 1972 in China ankamen, kam Premierminister Zhou En-Lai nur eine Stunde nach unserer Ankunft in unser Gästehaus und sagte, dass der Vorsitzende Mao Präsident Nixon sehen möchte. Nixon lud Kissinger ein, mit ihm zu gehen. Kissinger wandte sich an mich, damit ich mich ihm anschließen, weil ich für das Briefing-Paket des Präsidenten zuständig war und 1971 mit Zhou En-Lai auf einer geheimen Reise war. So könne er sich auch besser auf das Treffen konzentrieren, wenn ich der Schriftführer wäre. Am Ende des Treffens wandte sich Nixon an Zhou En-Lai und sagte, bitte löschen Sie den anwesenden Winston Lord aus dem Kommuniqué und auf allen Fotos. Er wollte den abwesenden Außenminister William P. Rogers nicht weiter demütigen, indem eine dritte Person bei der Sitzung dabei war, ihn aber ausschloss. Zhou En-Lai gab mir ein paar Jahre später das Foto, das im Buch ist, das die Besetzung des Treffens dokumentiert. Denn meine Anwesenheit war für die Welt, abgesehen von meiner chinesischen Frau, viele Jahren ein Geheimnis.

War das nicht ein sehr riskanter Weg auch in Hinsicht auf eigene Wähler?

LORD: Heute, ein halbes Jahrhundert nach der Öffnung zu China, lautet die übliche Weisheit in vielen Beiträgen: Nun, es war eine Art unumgänglicher Weg. Dabei übersieht man die Tatsache, dass der Schritt bis heute umstritten ist. Weil die chinesischen Kommunisten, allen voran Mao, leichtfertig über den Atomkrieg redeten. Viele Menschen waren damals auch besorgt über Taiwan. Es war aber tatsächlich für Nixon einfacher, diesen Schritt zu gehen, als für jeden Präsidenten der Demokraten. Es war trotzdem couragiert. Nixon wusste nicht, wie seine politischen Freunde und seine internationalen Verbündeten reagieren würden. Obwohl das Treffen gut lief, saßen wir mit Nixon und Kissinger auf dem Rückflug in der Airforce One und waren ernsthaft besorgt, was uns in Amerika nach der Rückkehr erwarten würde.

Was war Ihr Anliegen bei den Gesprächen mit Kissinger?

LORD: Unsere größte Herausforderung lag darin, nicht nur die Schlüsselerlebnisse der Nixon-Regierung, sondern dauerhaftere Themen zu fokussieren, die für zukünftige Entscheidungsträger und Historiker von Interesse sind. Nämlich seine persönliche Beziehung zu Nixon, die Qualität von guter Führung, die Notwendigkeit einer Strategie in der Politik, die Komponenten für erfolgreiche Verhandlungen und die richtige Organisation einer Regierung, um Weltpolitik auszuführen.

Winston Lord: Kissinger über Kissinger. Ecowin, 178 Seiten, 22 Euro
Winston Lord: Kissinger über Kissinger. Ecowin, 178 Seiten, 22 Euro © Beneveto

Wie sehen Sie die Konfrontation mit China aktuell?

LORD: Wir sind uns bewusst, dass es sich um die ernsteste Auseinandersetzung mit China seit Tianan’men 1989 handelt. Ich arbeite seit einem halben Jahrhundert für gute Beziehungen und setze sie mit Hoffnung fort. Allerdings glaube ich, dass die Hauptverantwortung für die Spannungen heute bei den Chinesen und insbesondere Präsident Xi liegt. Die Chinesen haben sich einer aggressiveren Außenpolitik zugewandt. Speziell seit 2008, als die Finanzkrise dem Westen die Schwachstellen und Fehler seiner Ökonomie zeigte. China bekam den Eindruck, die USA seien verwundbar und sie selbst würden besser in der Welt angesehen.

Und Donald Trumps Rolle?

LORD: Natürlich beschuldige ich China nicht alleine. Aber Trump als Auslöser der Krise zu sehen, wäre falsch. Ich halte ihn dennoch für den gefährlichsten Präsidenten, den wir je hatten. Er reagiert völlig falsch auf die Politik der Chinesen. Dazu gehört auch die Polarisierung unserer Gesellschaft. Er sollte die USA einen und in die Zukunft investieren, damit wir die Demokratie erhalten und gestärkt in den Wettstreit mit China gehen können. Zweitens sollten wir mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten statt gegen sie. Trump verliebt sich stattdessen in Diktatoren. Ein gutes Beispiel dafür sind die Wirtschaftsverhandlungen mit China. Mit dem Rückzug aus der transpazifischen Partnerschaft zerstört er unseren Hebel dort und wir haben einen Handelskrieg mit Verbündeten.