Der Mann, der mit seinen radikalen Parolen gegen katalanische Separatisten und afrikanische Migranten den zu Ende gehenden Wahlkampf beherrschte, war nicht zum TV-Duell der Spitzenkandidaten eingeladen. Santiago Abascal, Chef der aufstrebenden Rechts-außen-Partei Vox, hatte dies aber gar nicht nötig. Er steuert auch ohne größere Medienpräsenz am Sonntag auf ein zweistelliges Wahlergebnis zu, das in Spaniens politischer Landschaft ein Erdbeben auslösen dürfte. Und das den Blick darauf lenken wird, dass nun auch im iberischen Königreich, wie in den meisten europäischen Ländern, eine starke rechtspopulistische und nationalkonservative Bewegung heranwächst.

Während der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez (PSOE) und der konservative Oppositionsführer Pablo Casado (PP) sich im Fernsehen mit harten Bandagen bekämpften, ließ Abascal in der Stierkampfarena im Madrider Vorort Las Rozas die Muskeln spielen. Die Arena, in die 5000 Menschen passen, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Von derart fantastisch besuchten Veranstaltungen konnten Sánchez und Casado während ihres Wahlkampfes nur träumen.

Weil Abascals Rechtspopulisten bisher noch nicht im spanischen Parlament sitzen, waren sie von den staatlichen Wahlbehörden von der TV-Runde ausgeschlossen worden. Dort beharkten sich neben dem Sozialisten Sánchez und dem Konservativen Casado noch Pablo Iglesias, der Chef der linksalternativen Partei Podemos (Wir können) und der Vorsitzende der bürgerlich-liberalen Ciudadanos (Bürger), Albert Rivera.

Keine verlässlichen Prognosen

Einen klaren Sieger gab es im TV-Ring nicht. Genauso wenig wie die Umfrageergebnisse verlässliche Rückschlüsse auf die künftige Regierung zulassen. Mangels eindeutiger Mehrheiten bekämpften sich die Spitzenkandidaten in den letzten Wochen bis aufs Messer. „Alles Lüge“, empörte sich Sánchez, nachdem ihm die beiden konservativ-bürgerlichen Rivalen vorwarfen, geheime Zugeständnisse an Kataloniens Separatisten gemacht zu haben. „Sánchez will Spanien stückchenweise verkaufen“, behauptete Oppositionsführer Casado.

Der immer noch brodelnde Unabhängigkeitskonflikt in Katalonien überschattete durchweg diese heftige Wahlschlacht, in der die Wahrheit oftmals das erste Opfer war. Nach dem TV-Wahlduell veröffentlichte „El País“, Spaniens größte Zeitung, eine aufschlussreiche Dokumentation über die in der Debatte verbreiteten Unwahrheiten. Insgesamt wurden 26 falsche Aussagen aufgespießt. Allein 15 davon stammten von Oppositionschef Casado, der seine traditionsreiche Volkspartei spürbar nach rechts rückte, um den Aufstieg der Vox-Partei zu bremsen, deren Wählerschaft sich vor allem aus unzufriedenen konservativen Wählern speist.

In Sachen Aggressivität ging jedoch in den letzten Wochen niemand so weit wie der ultrakonservative Vox-Chef Abascal. Er beschimpfte Regierungschef Sánchez wegen seiner Dialogpolitik mit Kataloniens Unabhängigkeitsbewegung als „Verräter“ und „Feind Spaniens“, der genauso wie die Separatistenführer vor Gericht gestellt werden müsse.

Misstrauensvotum

Eine harte Attacke, die darauf anspielt, dass Sánchez vor zehn Monaten dank der Stimmen der Separatistenparteien an die Macht kam, und zwar im Zuge eines Misstrauensvotums gegen den damaligen konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Als Gegenleistung forderten die Separatisten Fortschritte auf dem Weg zur Unabhängigkeit Kataloniens. Monatelang versuchte Sánchez, mit einem Angebot größerer regionaler Autonomie den schwelenden Konflikt zu entschärfen. Doch er stellte zugleich klar, dass eine Abspaltung Kataloniens auch mit ihm nicht zu haben sei.
Deswegen ließen die katalanischen Parteien im Februar Sánchez’ Staatshaushalt im Parlament durchfallen – woraufhin der Premier Neuwahlen ausrief. In der Hoffnung, seine Mehrheit ausbauen und künftig ohne Hilfe der Separatisten regieren zu können.

Nach den Umfragen scheint Sánchez’ Rechnung aber nicht aufzugehen. Ihm wird zwar ein Wahlsieg vorausgesagt – aber mit den prognostizierten 30 Prozent auf niedrigem Niveau. Sodass ihm vermutlich nichts anderes übrig bleiben wird, als eine Neuauflage seiner Wackelregierung zu versuchen. Wie bisher unterstützt von seinem linken Juniorpartner Podemos, der in den Prognosen bei etwa 14 Prozent gesehen wird, und den kleinen baskischen sowie katalanischen Regionalparteien. Aber auch Spaniens konservatives Lager erhebt Anspruch auf die Macht. Volksparteichef Casado muss zwar mit hohen Einbußen für seine Partei rechnen, die 2016 noch 33 Prozent geholt hatte – jetzt werden ihm nur etwa 20 Prozent zugetraut.

Doch zusammen mit der bürgerlichen Ciudadanos, die bei 15 Prozent gesehen wird, und der rechtspopulistischen Partei Vox, der ebenfalls ein zweistelliges Ergebnis vorausgesagt wird, will er eine Regierungsallianz zusammenschmieden. So wie in der südspanischen Region Andalusien, wo dieses Dreierbündnis im Dezember die Sozialisten nach vier Jahrzehnten Dauerregierung von der Macht vertrieb.