Afrika – das ist in den Augen vieler Europäer der K-Kontinent. Das K steht für Krisen, Kriege, Krankheiten und Korruption. Dabei ist das Bild wenig differenziert. Afrika wird nicht selten als Einheit gesehen mit all seinen Problemen. Dabei besteht der Kontinent aus 55 Staaten, die zum Teil höchst unterschiedlich sind. Eines eint den Kontinent aber doch: Die afrikanischen Staaten werden – mit Ausnahme vielleicht von Südafrika – mit ihrem Potenzial zu wenig wahrgenommen. Deshalb hat Kanzler Sebastian Kurz für den Dienstag ein EU-Afrika-Forum in Wien einberufen, das etliche Staats- und Regierungschefs beider Kontinente mit Unternehmensführern an einen Tisch bringen soll. Das selbst gesetzte Ziel: das Wirtschaftswachstum ankurbeln, damit die Perspektive für junge Menschen abseits der Migration erhöht wird und damit auch Europa einen Vorteil verschafft. Alles natürlich immer auf Augenhöhe.

Genau darin liege aber das Problem, sagt Boniface Mabanza Bambu. Die EU nutze schon seit vielen Jahren die Asymmetrie der Machtverhältnisse aus, interessiere sich vorrangig für einen attraktiven Zugang zu Rohstoffen und einen Absatzmarkt für europäische Produkte, sagt der Afrika-Experte bei einem Besuch in Graz. Er berät seit etlichen Jahren als Fachexperte für sozioökonomische Gerechtigkeit in Afrika auch die deutsche Politik in entwicklungspolitischen Fragen.

Der Literaturwissenschaftler, Theologe und Philosoph stammt aus Kimbongo in Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Er wurde 1974 während der Militärdiktatur von Mobutu Sese Seko geboren, studierte in der Hauptstadt Kinshasa und promovierte 2007 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Seit 2008 arbeitet er als Koordinator in der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg.

Lückenhaftes Wissen über Afrika in Europa

Wenn in Europa über Afrika diskutiert werde, dann sei dies oft von lückenhaftem Wissen geprägt, sagt Mabanza. Er nennt als gutes Beispiel sein eigenes Land – das flächenmäßig zweitgrößte auf dem Kontinent nach Algerien. „Es gibt in der Demokratischen Republik Kongo seit Jahrzehnten – nicht erst seit Maputo – einen Versuch, trotz aller Widrigkeiten die Freiheit nicht aus der Hand zu geben“, sagt Mabanza. Weil die Präsidenten alles versuchen würden, sich an der Macht zu halten, gebe es Repressionen und Morde. Dennoch heißt das nicht, dass die Menschen aufgegeben haben. Der Widerstand in der Bevölkerung sei noch da. Die DR Kongo habe ja auch – bei allen Problemen – eine Verfassung.

In Swasiland sei das zum Beispiel anders. „Als der SADC-Gipfel in Kinshasa stattgefunden hat und die Menschen aus Swasiland erzählt haben, wie sie dort leben, haben die Kongolesen den Kopf geschüttelt und sich gefragt, wie das möglich sein und wie man so leben kann“, erzählt Mabanza, um die Differenzen zwischen den Ländern deutlich zu machen. „Die Wahrnehmung hier ist aber: Dort ist ein Herrscher und alles schauen nur zu.“

Uninformiert bis in die hohe Politik

Dieses lückenhafte Wissen gebe es in der gesamten europäischen Bevölkerung. Das merke man oft schon bei Veranstaltungen an der Art der Fragen, die gestellt werden, betont der Entwicklungsexperte. Das gelte aber auch für die Politik, wo die Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen und politischen Austausch mit dem südlichen Kontinent gesetzt werden.

Aber auch bei vielen Journalisten und politischen Analysten, die sich mit Afrika beschäftigen, fehlten ganz wichtige Faktoren, um die Situation in dem jeweiligen Land richtig einordnen zu können. Diese Fehleinschätzungen führen dann zu Kettenreaktionen, die sich massiv in der Afrikapolitik auswirken. Dazu gehöre aus seiner Sicht auch die Bewertung chinesischer Investitionen in Afrikas Infrastruktur. Er höre bei allen Veranstaltungen immer die gleichen Einschätzungen. Dass die Qualität mangelhaft sei, die Chinesen Afrika ausbeuten würden, Geschäfte mit korrupten Eliten machen würden und dazu noch eigene Leute als Vorarbeiter mitbrächten. „Das ist in den Köpfen der Europäer fest verankert – bis in die hohe Politik, die das dann wieder selbst streut.“ Wissenschaftliche Studien würden aber das Gegenteil beweisen, sagt Mabanza. Es sei nachgewiesen, dass die Qualität hoch sei – in Einzelfällen sogar höher als bei europäischen Infrastrukturprojekten. Es gibt natürlich auch aus China Investoren mit den unterschiedlichsten Motiven und auch unterschiedlichster Vertragstreue, aber dies sei für eine ehrliche Diskussion ebenso wichtig.

China bringt Afrika in Schwung

„Dass etwas durch China in Gang gekommen ist, lässt sich sehen. Es sind Infrastrukturmaßnahmen, die die Länder brauchten.“ Es sei bereits mehr durch diese chinesischen Investitionen entstanden als durch 60 Jahre Kooperation mit dem Westen.

Viele chinesische Firmen hätten Fachkräfte anfangs mitgebracht, aber dann lokale Kräfte ausgebildet. Zudem höre Mabanza aus zivilgesellschaftlichen Kreisen in Afrika den Tenor: „Das tut uns gut. Zum ersten Mal in der Geschichte können wir unsere Partnerschaften diversifizieren und hängen nicht allein von Europa und Amerika ab.“

Es sei eine Art von Neokolonialismus, dass Europa über das Niedermachen der chinesischen Investments die Deutungshoheit behalten wolle. „Es gibt keine partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Afrika und Europa“, sagt Mabanza. Von einer ernsthaften Partnerschaft zu sprechen sei schwierig, solange man davon ausgehe, dass die Menschen aus dem globalen Süden Probleme haben, darum nach Europa eingeladen werden und dort die Lösungen aus der Tasche gezogen werden. „So entsteht die allgemeine Wahrnehmung, hier gibt es Lösungskompetenz für die Probleme der anderen.“ Dann könne man auch nicht erwarten, dass dort Lösungen entwickelt werden für die eigenen Probleme.

„Geschweige denn, dass dort Lösungen entwickelt werden für Probleme, die es auch hier gibt“, erklärt der gebürtige Kongolese. Dabei seien die Erfahrungen, die im Süden gemacht werden, auch für den Norden interessant, zum Beispiel hinsichtlich der Familienstrukturen für die Pflege.

Es wird auch in Afrika über Lösungen gesprochen

In den Zivilgesellschaften der afrikanischen Länder und auch in den intellektuellen Kreisen Afrikas werde sehr viel über eigene Lösungsansätze gesprochen. Auch der Vergleich zwischen den einzelnen Ländern und Gesellschaften werde sehr intensiv diskutiert. Dies bleibe aber ein innerafrikanischer Prozess, der kaum bis nach Europa dringe. „Dazu gehört auch, eine gewisse Haltung gegenüber Lösungen von außen vor allem aus Europa zu entwickeln.“ Das liege aber auch an der gefühlten Ohnmacht, bemängelt Mabanza.

„Wir haben keine Verhandlungsmacht gegenüber den ausländischen Mächten, den Regierungen und Konzernen.“ Für den Entwicklungsexperten sei die Feststellung notwendig, dass man als isoliert handelnder Staat nicht weiterkomme. Man müsse die Kräfte bündeln, um auftreten zu können. Die Afrikanische Union sei ein Anfang, aber die Schritte bisher noch zu wenig glaubwürdig.

Muss sich Europa dafür stärker engagieren oder gar mehr zurückziehen? Mabanza vertritt die Position, dass die Entwicklungshilfe zurückgefahren werden muss, weil sie einen Mantel über die Probleme legt. Notwendig sei, gerechte Strukturen zu schaffen. „Dazu gehört es auch, die Verantwortung der Unternehmen für Umweltveränderungen einzufordern.“

Den korrupten Eliten die Bankenkanäle zudrehen

Auch die Finanzstruktur sei kriminell. Sie sorge dafür, dass viel Geld aus Afrika abfließe, sagt Mabanza. „Alle Berechnungen zeigen, dass alle illegalen Geldabflüsse aus Afrika viel höher sind als alle Entwicklungshilfe und Direktinvestitionen zusammen“, sagt Mabanza. „Es würde die Europäer außerdem von ihrem Helfersyndrom befreien.“ Dazu müsse die EU aber den Willen haben, die Bankenregeln zu ändern und die Geldströme der korrupten Eliten zu stoppen.

Die EU hat mit vielen afrikanischen Staaten Freihandelsabkommen abgeschlossen, in denen festgeschrieben ist, dass die afrikanischen Länder ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe öffnen und hierbei schrittweise Zölle und Gebühren abschaffen müssen“, sagt Mabanza. So könnten aber lokale Viehbauern ihre Milch nicht mehr verkaufen, weil die importierte Trockenmilch billiger sei. Oder Hühnerzüchter würden ihre Tiere nicht mehr los, weil sie subventionierte Hühnerteile aus der EU mit Dumpingpreisen vom Markt drängten, erklärt der Fachmann für sozioökonomische Gerechtigkeit. Die Staaten verlören zudem Einnahmen, weil Importzölle aufgehoben wurden und die EU mit subventionierten Gütern die lokalen Märkte in diesen Ländern gefährde. Die Landwirte könnten nicht mehr konkurrieren und verlieren ihre Einnahmen. Ihnen bliebe nur die Abwanderung in die Slums der Großstädte oder sogar die Flucht Richtung Europa.